Verkauf der WDR-Kunstsammlung: Das ist Kunst, das kann weg
WDR-Intendant Tom Buhrow will die Kunstsammlung seines Senders verkaufen. Eine Milchmädchenrechnung, sagen Kritiker. Auch die anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besitzen hunderte Bilder und Skulpturen. An Verkauf denkt dort aber niemand.
Nackte, weiße Wände sind unschön: Sie wirken kalt. Kälte und Kreativität vertragen sich nicht gut. Wenn also ein neu eingestellter Redakteur beim Hessischen Rundfunk sein Büro bezieht, darf er zu Dekorationszwecken im Senderkeller vorbeischauen. Dort sucht er sich ein Bild aus, vielleicht auch zwei, ganz individuell nach seinem Geschmack. Es ist ja genug da: Frühe Werke von Günther Uecker, Hermann Goepfert, drei Grafiken von Gerhard Richter und vieles mehr. Die Kunstsammlung des Hessischen Rundfunks umfasst rund 800 Exponate. Ihr Wert dürfte bei circa einer Million Euro liegen, schätzt Bernhard Koßmann, der lange Jahre Kunstbeauftragter des HR war.
Familienfotos unerwünscht: Zeitgenössische Kunst sollte für Kreativität sorgen
Die Kunstschätze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Sie erhielten erst Aufmerksamkeit, als WDR-Intendant Tom Buhrow verkündete, 2015 einen Teil der WDR-Sammlung verkaufen zu wollen, um damit Löcher im Sender-Etat zu stopfen. Auf einen Wert von drei Millionen Euro bezifferte Buhrow den Wert der rund 600 Werke, die der WDR ab den 50er Jahren erwarb. Ein Jahresbudget von circa 40 000 D-Mark hätte für Kunstankäufe zur Verfügung gestanden, berichtet Walter Vitt, der die WDR-Sammlung mit aufgebaut hat und bis 1998 ehrenamtlicher Kunstbeauftragter des Senders war. Weil die Preise vieler Werke nach dem Krieg günstig waren, konnte der WDR 1956 beispielsweise einen echten Ernst Ludwig Kirchner kaufen – für gerade einmal 600 D-Mark. Der Kirchner hing lange im Büro von Ex-Intendant Fritz Pleitgen, auch andere Expressionisten zierten und zieren die Chefetage: Max Beckmann, Emil Nolde, Oskar Kokoschka. Der WDR nahm die Sache mit der Kunst zeitweise so ernst, dass er nicht nur einen einzelnen Kunstbeauftragten hatte, sondern einen ganzen Kunstausschuss. „Da wurde überlegt, wo noch Kunst hin muss“ erklärt Vitt. Im Sender galt das ungeschriebene Gesetz, dass Redakteure statt Familienfotos Kunst an den Wänden haben sollten. „Wir wollten ein Haus mit zeitgenössischer Ästhetik und Ambiente“, sagt Vitt. Das sollte die Journalisten zu besonders kreativer Arbeit animieren.
"Alle Sendeanstalten haben größere Bestände und eigene Depots"
Gekauft wurde in Galerien, auf Ausstellungen und aus Katalogen. Auch Auftragsarbeiten wurden erteilt. Für den Flur vor dem Saal, in dem der WDR–Rundfunkrat tagt, wurde ein gesamter Zyklus von 25 Bildern bestellt. 25 „Kölner Fenster“ mit Stadtbezug: ein regelrechter Wandelgang, durch den die Räte zu ihren Sitzungen schreiten. Der Kauf blieb Vitt plus Kunstausschuss überlassen; die Archivierung und Katalogisierung dieser und anderer Objekte war – und ist bis heute – Verwaltungssache. „Die Verwaltung weiß, wo sich welches Bild gerade befindet. Und welches restauriert werden muss“, sagt Vitt.
Wer nun glaubt, der WDR sei einfach ein ganz besonders kulturinteressierter Sender, irrt. Ob ARD-Häuser oder das ZDF, „alle Sendeanstalten haben größere Bestände und eigene Depots“, sagt Rudolf Großkopff, ehrenamtlicher Kunstbeauftragter des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), der früher auch die Kunstsammlung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) betreute. Den Bestand des NDR schätzt Großkopff auf etwa 400 Exponate, „wobei ich da nicht von einer qualifizierten Sammlung sprechen würde: Da ist vom einfachen Druck bis hin zur merkwürdigen Installation alles dabei.“ Der RBB sei im Besitz von 90 Bildern, insbesondere Werken, die die Urbanität Berlins widerspiegeln. Sowohl NDR als auch RBB machen ihre Kunstwerke mittlerweile regelmäßig der Öffentlichkeit zugänglich: Der NDR schickt seine populärsten Exponate unter dem Titel „Weite und Licht“ auf Wanderausstellungen, darunter Bilder von Paula Modersohn-Becker, Fritz Kronenberg, Günter Grass und Armin Mueller-Stahl. Auch der RBB präsentierte seine Sammlung Anfang dieses Jahres in der Ausstellung „Land, Stadt, Land – Blicke auf Berlin und Brandenburg“ im Mühlenhaupt-Museum in Kreuzberg. Zu sehen waren unter anderem Bilder von Karl Oppermann und Susanne Hoppe.
Hatte der Intendant Lust auf Kunst, wurde eingekauft
Der Bayerische Rundfunk (BR) hat ebenfalls eine Kunstsammlung, die Großkopff als „besonders schön“ bezeichnet. Auf Anfrage heißt es in München allerdings, der BR habe „keine Kunstsammlung im klassischen Sinne“. Man sei lediglich im Besitz von 740 Bildern sowie einiger Plastiken und Skulpturen. Gemälde stammen unter anderem von den Expressionisten Max Pechstein und Bill Nagel. Die Plastiken sind von Hans Wimmer – von dem sich beispielsweise auch Werke vor der Alten Pinakothek und dem Lenbachhaus in München finden – sowie Burkhard Backe. Ebenso wie der WDR gab der BR Kunstwerke in Auftrag: Bruno Lenz porträtierte für den Sender zwei Chefdirigenten des Rundfunkorchesters. Die meisten Objekte befinden sich laut BR in Büros und Konferenzsälen, öffentlich zugänglich ist das Wenigste. Der Wert ist ebenso unbekannt, da die Sammlung nicht regelmäßig geschätzt oder katalogisiert wird. Die getätigten Anschaffungen seien aber eine Bedingung der Rundfunkwerbung gewesen, heißt es aus München: Ein Teil des Gewinns hätte verpflichtend in Kunst re-investiert werden müssen. Anfang der 90er, mit Rückgang der Werbeerlöse, habe man die Kunstkäufe eingestellt.
Ähnliche Gründe führt auch NDR-Intendant Lutz Marmor an. Er sagt, „der Sender sei gesetzlich verpflichtet“ gewesen, „überschüssige Einnahmen für Kunst auszugeben“. Der WDR wiederum beruft sich bei seiner Sammelleidenschaft darauf, dass man nach dem Krieg unter den Nazis verfemte Künstler – wie etwa Kirchner oder Beckmann – rehabilitieren wollte. Rudolf Großkopff sieht das etwas differenzierter: „Gekauft wurde nicht zwingend aus politischen Gründen. Sondern oft zum puren Schmuck. Es lag am Intendanten, ob erworben wurde oder nicht“.
Zu Deutsch: War der Intendant eines Senders kunstaffin, wurde eingekauft. War der Intendant eher ein Kunstbanause – was manchmal, aber selten vorkam – ruhten die Geschäfte. Ein vorgegebenes Budget, wie es etwa Vitt beim WDR hatte, gab es nicht überall: „Im vorigen Jahrhundert konnte ich noch ohne festgesetztes Budget einkaufen“, erinnert sich Großkopff. Auch Bernhard Koßmann vom HR hatte kein offizielles finanzielles Limit. Allerdings sagen beide, es sei nicht übermäßig viel ausgegeben worden: „Wir haben da keine Warhols gekauft“. Mittlerweile sei der Kunsterwerb bei allen Sendern auf Eis gelegt, heißt es offiziell. Kunst für Intendanten und Mitarbeiter mit Rundfunkbeiträgen zu bezahlen, ist heutzutage nur noch schwer bis gar nicht vermittelbar.
WDR-Intendant Tom Buhrow gilt in Sachen Kunst als "beratungsresistent"
Kein Neuerwerb also. Dass WDR-Intendant Tom Buhrow jetzt aber das, was ohnehin bereits vorhanden ist, verkaufen will, stößt nicht nur Walter Vitt bitter auf. Dass der sich ärgert, verstehen auch seine Kollegen. Großkopff kann Buhrows Intention schlicht und ergreifend „nicht nachvollziehen“. Koßmann sagt: „Ich wäre auch sauer. Das ist ein Stück Geschichte, Hausgeschichte. Ein öffentlich-rechtlicher Sender sollte einen umfassenden Kulturbegriff haben. Dieser geplante Verkauf signalisiert Desinteresse an einem speziellen Sektor.“
Das größte Problem: Was verkauft wird, ist endgültig weg. Künstlerische Tabula Rasa. Doch die Finanzlücken des WDR würden auch einmalige Verkäufe eines Kirchner, Nolde oder Beckmann auf keinen Fall stopfen, glauben Großkopff und Koßmann. „Das ist eine Milchmädchenrechnung“, sagt Koßmann. Erklären könne man sich Buhrows Pläne lediglich damit, dass er „ein Mensch sei, der für Kunstwerke offensichtlich keinen Sinn“ habe.
Walter Vitt, in diesen Tagen leidgeprüfter Ex-Kunstbeauftragter des WDR, sieht das natürlich ähnlich – wenn nicht gar noch schlimmer. „Ich habe immer gesagt, es ist in Ordnung, wenn wir von Gebührengeldern Bilder für Räume kaufen, in denen Menschen arbeiten. Aber wenn mit diesen Objekten jetzt spekuliert wird, ist das nicht in Ordnung“. Vitt sagt, er habe auf dem diesjährigen WDR-Pensionärstreffen von Buhrow erfahren, dass die Sammlung bereits neu geschätzt sei und nur Stücke verkauft werden sollen, die „mehr als 6000 Euro wert seien“. Was das beispielsweise für die 25 Gemälde im Flur zum Rundfunkrat-Sitzungssaal bedeutet, die schließlich ein zusammenhängendes Ensemble bilden, mag sich Vitt gar nicht vorstellen. Er habe Buhrow ein Ausstellungskonzept vorgeschlagen, ähnlich dem des NDR und RBB. Vergeblich. Der Intendant sei „nicht nur in dieser Hinsicht beratungsresistent“. Die anderen Sendeanstalten sind wohl ebenfalls nicht wirklich glücklich über Buhrows Vorhaben. Jedenfalls versichern sie, auf gar keinen Fall den Verkauf ihrer Kunstobjekte zu erwägen.
„Ich habe mich mit dieser Sammlung identifiziert“, sagt Vitt. Es klingt nicht traurig, eher so, als täte Buhrow derzeit gut daran, ihm keinen Hausbesuch abzustatten. „Das ist mein Sender. Und ich will Schaden von ihm abwenden.“