Grimme-Preise 2016: Böhmermann, „Deutschland 83“ und „Marhaba“ ausgezeichnet
Kein "Tatort", dafür Serien: Der Grimme-Preis 2016 bietet Überraschungen und eine Trophäe für Jan Böhmermanns "Stinkefinger".
Der Grimme-Preis 2016, das ist ein besonderer Jahrgang. Die Privatsender, ansonsten unter der Wahrnehmungsschwelle beim bedeutendsten Fernsehpreis in Deutschland, holten sich vier der 14 Auszeichnungen. Und dann haben die Jurorinnen und Juroren in der Kategorie Fiktion/Spezial die Serie promoviert, drei der vier Preise gingen an dieses Format: „Deutschland 83“ (RTL), „Weissensee“ (MDR/Degeto) und „Weinberg“ (TNT Serie). Nimmt man die Vox-Produktion „Club der roten Bänder“ in der Kategorie Kinder & Jugend/Innovation hinzu, dann hat die Serie den Preiswettbewerb in diesem Jahr dominiert.
Sind die Serien wirklich preiswürdig?
Frauke Gerlach, Chefin des Grimme-Instituts, zog daraus den Schluss, „wir sehen hier die Renaissance eines Formates – und dass sich Ausdauer und Risikofreude lohnen“. Das mit der Ausdauer stimmt für „Weissensee“, tatsächlich aber war in der dritten Staffel der Abschwung unübersehbar. Die ARD-Produktion hat die Stasi-Dramen-Ebene verlassen, es geht Richtung Beziehungskisten mit Stasi-Hintergrund. Risiko? Ja, der Privatsender Vox ist mit dem „Club der roten Bänder“ in selbiges gegangen. Eine Dramedy um schlimme Krankheiten und um tragische Schicksale junger Menschen, gespielt und inszeniert im Achterbahntempo von Emotion, Lebensbejahung und Todesnähe. Und dann noch horizontal erzählt, was ja im linearen Fernsehen als Unmöglichkeit gilt. „Deutschland 83“ ist ein Beleg dafür. Die acht Folgen der RTL-Serie berichten vom Spionageauftrag des NVA-Soldaten Martin Rauch (Jonas Nay) in der Bundeswehr der 80er Jahre, als sich Nato und Warschauer Pakt gegenseitig hochrüsteten. Die Ufa-fiction-Produktion war beim Publikum kein Erfolg, außergewöhnlich war sie auch nicht. Ob der Grimme-Preis die Enttäuschung des Senders zu überwinden hilft und eine Fortsetzung auslöst?
Der "Tatort" ohne Grimme-Preis?
Der Sieg der Serie bei Grimme 2016 geht einher mit der Niederlage des Einzelstücks, in anderen Jahren die Königsdisziplin bei Grimme. Nur der ZDF-Film „Patong Girl“ um das Thema „Transsexualität“ schafft den Preissprung, aber kein 20-Uhr-15-Film der ARD am Mittwoch, kein Fernsehfilm der Woche im Zweiten am Montag – und kein „Tatort“? Hat die NDR-Produktion „Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“, das Duell zwischen Axel Milberg und Lars Eidinger, nicht die Grenzen der Routine übersprungen und sehr kenntlich gemacht, wie sehr gutes Fernsehen von sehr guten Büchern und sehr gutem Schauspiel abhängt?
In der Preiskategorie Unterhaltung/Spezial/Innovation war die Grimme-übliche Rangordnung wiederhergestellt: drei Preise und alle für öffentlich-rechtliche Produktionen und Protagonisten. ZDF-Satiriker Jan Böhmermann bekam den Preis für seine Satire „#Varoufake“ im „Neo Magazin Royale“. Für eine Nacht hatte Böhmermann Medien-Deutschland stark verunsichert. Er hatte frech behauptet, seine Redaktion habe das Varoufakis-Video mit dem Stinkefinger im Jauch-Talk erst erfunden, dann ins Netz gestellt und anschließend beobachtet, wie sich die skandalgierige Medienmeute darauf stürzte. Die Grimme-Jury war außer sich vor Freude. In ihrer Begründung heißt es: „Böhmermann hat nicht nur die Inszenierungsmechanismen der Boulevardindustrie entlarvt, ihm gebührt auch das Verdienst einer großen Medienkritik.“ Olli Dittrich gewann mit der WDR-Produktion „Schorsch Aigner – der Mann, der Franz Beckenbauer war“ seinen schon vierten Grimme-Preis: „Das Wichtigste ist, man hält den Ball flach“, sagte Dittrich am Mittwoch in Essen bei der Pressekonferenz zu Grimme 2016. Der zum ersten Mal vergebene Innovationspreis in der Unterhaltung geht an „Streetphilosophy“ (RBB/Arte), da werden große Themen, große Gedanken in so kurzer wie kluger Form behandelt.
"Marhaba", eine Netzdoku für Flüchtlinge
Grimme-Direktorin Frauke Gerlach hob bei den Auszeichnungen für Privatsender beispielhaft die Reihe „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ für Flüchtlinge hervor, mit der n-tv und Autor Constantin Schreiber „großes gesellschaftliches Engagement“ bewiesen hätten. Zum ersten Mal wurde damit ein Format ausgezeichnet, das zunächst ausschließlich für das Netz produziert wurde. Drei Preise wurden in der Kategorie „Information und Kultur“ vergeben: für die Langzeitdokumentation „Göttliche Lage“ (WDR/Arte) über den sozialen Wandel in einem Dortmunder Stadtviertel, für „Die Folgen der Tat“ (WDR/SWR/NDR) über die Morde der RAF und deren Konsequenzen und für die Reihe „Vom Ordnen der Dinge“ (ZDF/Arte). Den erstmals für besondere journalistische Leistung vergebenen Grimme-Preis bekamen SWR und BR für die Recherche „Tödliche Exporte“ zum Thema illegalen Waffenhandel.
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