WDR-Intendant: Bilderstürmer Tom Buhrow
Der neue WDR-Intendant Tom Buhrow blickt nach 100 Tagen ernüchtert in einen „gigantischen strukturellen Abgrund“.
Tom Buhrow, Intendant des Westdeutschen Rundfunks, hat nach 100 Tagen im Amt einen scharfen Sparkurs angekündigt. „Der ganze WDR kommt auf den Prüfstand“, sagte Buhrow gestern in Köln. Bei einem Kassensturz habe sich herausgestellt, dass die Rücklagen des größten ARD-Senders bis Ende 2014 aufgebraucht seien. „Dann geht es in den Keller, da gibt es nichts schönzureden“, erklärte Buhrow. Laut interner Rechnung gerate der WDR bereits im Jahr 2015 mit 61,3 Millionen Euro ins Minus, bis 2023 summiere sich der Fehlbetrag auf 1,28 Milliarden – das entspricht knapp einem ganzen Jahresetat des Kölner Senders. Der WDR blickt nach Buhrows Worten in „einen gigantischen strukturellen Abgrund“. Eine jährliche Preissteigerung von zwei Prozent und Beitragseinnahmen in gleichbleibender Höhe sind darin ebenso eingerechnet wie die bereits im Haushalt veranschlagten jährlichen Kürzungen von 50 Millionen Euro.
Als Sofortmaßnahme kündigte Buhrow zusätzliche Einsparungen von 30 Millionen Euro im WDR-Etat 2015 an – nach der „Rasenmäher-Methode“, also in allen Direktionen und Abteilungen. Außerdem sollen bis Ende 2014 50 der über 4000 Planstellen abgebaut werden. Das sei „schon ein Riesenkraftakt“, sagte Buhrow, der betriebsbedingte Kündigungen vermeiden will. Auch die Rücklagen für Bausanierungen sollen verringert und freiwillige Leistungen des Senders gekürzt werden. Als Beispiel nannte Buhrow die Filmförderung. Sogar die Bilder an den Bürowänden müssen demnächst abgehängt werden, sofern sie jedenfalls dem WDR selbst gehören, denn auch der Kunstfundus soll verkauft werden. Im Laufe des kommenden Jahres will Buhrow dann einen strukturellen Umbau auf den Weg bringen. Ob und in welchem Umfang dies Auswirkungen auf die Programmangebote haben wird, darauf wollte sich Buhrow nicht festlegen. „Wir werden versuchen es hinzubekommen, ohne dass unsere Produkte leiden. Denn unsere Produkte sind gut“, erklärte der ehemalige „Tagesthemen“-Moderator.
Kein neuer digitaler Spartenkanal
Auf die Frage, welche Auswirkungen dies auf den geplanten gemeinsamen Jugendkanal von ARD und ZDF haben wird, antwortete der WDR-Chef: „Es wird auf keinen Fall einen zusätzlichen digitalen Spartenkanal geben.“ Der Jugendkanal könne nur durch die Umwidmung eines bestehenden Kanals ins Leben gerufen werden. Für die „große Herausforderung“, wieder mehr Zuschauer aus der jüngeren Generation zu erreichen, gebe es kein Allheilmittel, sagte Buhrow. Vorerst hat er den drei Millionen Euro großen, von Monika Piel geschaffenen „Innovationstopf“ des WDR in einen „Verjüngungstopf“ umbenannt. Außerdem will der Sender mit einem neu zugeschnittenen „Kreativ-Volontariat“ den „positiv Verrückten ein Forum bieten, um beim WDR anzudocken“.
Der 55 Jahre alte Buhrow, der nach seiner Wahl mit einem Lied auf den Lippen („Ich düse im Sauseschritt und bring die Liebe mit“) vor die Presse getreten war, gab sich gestern ein wenig ernüchtert: „Ich habe es nicht bereut, das Amt übernommen zu haben, aber ich gebe unumwunden zu, dass die Aufgabe viel umfangreicher und der Druck größer ist, als ich es mir hätte vorstellen können.“ Es gebe jedoch keinen Grund zum Jammern. Völlig überraschend können die tristen Zahlen für Buhrow jedoch nicht gewesen sein, denn Vorgängerin Monika Piel hatte bereits Ende 2012 darauf hingewiesen, dass ein ausgeglichener Haushalt ab 2015 bei gleichbleibenden Einnahmen nicht mehr gelingen könne. Buhrow verteidigte Piel: Ohne ihren „bemerkenswerten Sparkurs“ in den vergangenen Jahren „wären wir jetzt schon im Loch“.
Dass der WDR bei seinem Kassensturz mit gleichbleibenden Rundfunkbeiträgen gerechnet hat, bedeute nicht, dass „wir bei der KEF (der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, d.Red.) keinen Bedarf mehr anmelden“, betonte Buhrow. „Ich hoffe schon, dass irgendwann der Bedarf wieder realistisch anerkannt wird.“ Die laufende Beitragsperiode endet 2016. Ob den öffentlich-rechtlichen Sendern die Umstellung von Gebühren auf einen Haushaltsbeitrag höhere Einnahmen beschert, ist nach wie vor unklar. Jeder Haushalt muss zurzeit monatlich einen Rundfunkbeitrag von 17,98 Euro bezahlen.
Buhrow kündigte zugleich an, den WDR stärker auf eine crossmediale Arbeitsweise auszurichten. In den Wirtschafts-, Sport- und Wissenschaftsredaktionen sowie in den Landesstudios soll es in Zukunft keine Trennung mehr zwischen den Abteilungen für Fernsehen, Hörfunk und Internet geben. Auch in den Auslandsstudios in New York, Moskau und Brüssel setzt der Intendant auf crossmediale Zusammenarbeit. „Wir müssen grundsätzlich den kulturellen Wandel schaffen“, forderte er. Gestern hatte Buhrow seine (Spar-)Pläne auch den WDR-Mitarbeitern bei einer Betriebsversammlung vorgestellt. Größere Proteste sind vorerst ausgeblieben. „Die Kollegen schätzen es, wenn man aufrichtig mit ihnen ist“, berichtete Buhrow, dessen Karriere beim WDR begann und der sich gestern doch noch zu einem emotionalen Bekenntnis hinreißen ließ: „Ich liebe den WDR, das ist mein Laden. Aber zur Liebe gehört auch Aufrichtigkeit.“
Thomas Gehringer
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