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"Bild" ohne Bilder, Ausgabe vom 8. September
© promo

Boulevard zieht blank: "Bild" ohne Bilder

Deutschlands größtes Boulevardblatt verzichtet auf Fotos. Ist das eine notwendige Erinnerung an den Wert von Bildern? Oder heilloses Selbstlob?

Also gut, dann mal die "Bild" ohne Bilder. Geschehen in der gedruckten Ausgabe und beim Online-Auftritt am 8. September 2015. Auf Seite 1 wird in einem namentlich nicht gekennzeichneten Stück das "Warum" erklärt: "Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Bild zu kämpfen."

Das ist so wahr, wie eine Binse wahr sein kann. Aber das Pathos-Blatt aus dem Springer-Verlag kann es noch doller: "Darum steht Bild immer wieder für die Veröffentlichung umstrittener Fotos ein - oft gegen harte Widerstände." Die Welt müsse die Wahrheit sehen, um sich zu verändern. Diese Aussagesätze werden im Innenteil mit einer Quasi-Sonderseite hinterfangen. Textchef Alexander von Schönburg und Online-Chef Julian Reichelt schreiben in den wahrscheinlich längsten Artikeln, die jemals in der "Bild" erschienen sind, über "Die Macht der Bilder". Von Schönburg erinnert an die Mission des Blatterfinders Axel Springers und erläutert, warum die Zeitung nur im Duett aus Bild und Text wirken kann. Und zwar so: "Bilder ohne Sprache bleiben letztlich stumm." So wie es in der griechischen Tragödie des Chors bedürfe, der das, was der Zuschauer sehe, beweine, brauche das Land jemanden, der es beklage und besinge. "Bild ist dieser Chor".

Online-Chef Julian Reichelt arbeitet sich an der Forderung ab, "Fotos gar nicht oder nur verpixelt zu zeigen, weil sie menschliches Leid zu drastisch dokumentieren, weil sie Menschen ,ihre Würde nehmen' würden." Reichelt hält dagegen: "Das Foto dokumentiert bloß die Welt. Die Welt ist nicht verpixelt. Wir haben kein Recht darauf, es uns leicht zu machen, wenn Unrecht geschieht." Und er schließt: "Fotos sind der Aufschrei der Welt".

Die "Bild": ein Schrei, ein Chor, ein Wir?

Ein Akt der Selbstlosigkeit

Die bildlose Aktion wird gefeiert als Akt der Selbstlosigkeit. Wer, wenn nicht die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands, setzt die Maßstäbe? Selbst, wenn permanent Grenzen eingerissen und der Deutsche Presserat bald zum "Bild"-Gremium wird, so häufen sich die Beschwerden über die "Bild"-Sprache des Blattes. "Bild" geriert als Gralshüter der freien Presse, "Bild" ist tatsächlich der Gralshüter der frechen Presse. Menschen sind oftmals nur das Material, das mit Bild und Text zur Aufmerksamkeitserregung und zur Abwehr der schneller und schneller bröckelnden Auflage benutzt, ja missbraucht.

Ja, es war die "Bild", die das Foto des ertrunkenen Aylan am türkischen Strand würdig und aufrüttelnd gezeigt hat. Eine große Tat, doch der Großtag der "Bild" ist nicht der Alltag der Redaktion.

Wenn nun die Kai-Diekmann-Truppe am 8. September auf jedes Foto verzichtet, so sagt diese Aktion nichts, aber auch gar nichts darüber aus, wie für den 9. September verfahren wird. Möglich, dass die "Texthelden" vom Dienstag am Mittwoch ihre Worte aufessen müssen.

"Bild" will und wird nie schaffen, was immer Not tut: eine ernsthafte und von sich selbst absehende Diskussion über Fotos, die veröffentlicht werden müssen oder nicht veröffentlicht werden dürfen. Die Ausgabe vom 8. September ist eine Selbstfeier, ein Selbstlob für die angebliche Sturmhaube der Pressefreiheit aus dem Springer-Verlag.

Aber wie das so ist, wenn der Profit sich dem Profil in den Weg stellt: Die Anzeigen sind wie gewohnt in Farbe und mit Fotos erschienen. Erinnert an Bertolt Brecht.

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