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Tom Buhrow ist Intendant des Westdeutschen Rundfunks in Köln und noch bis Jahresende ARD-Vorsitzender.
© Annika Fußwinkel/WDR

Interview mit ARD-Chef Tom Buhrow: „Beide Welten werden wir nicht finanzieren können“

Die lineare wie nonlineare Zukunft: Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow im Gespräch über „Weltspiegel“, Rundfunkbeitrag und Tatendrang.

Herr Buhrow, worüber wird in der ARD fleißig gestritten?
Es geht vor allem um das bestmögliche Programm. Wie erreichen wir die Menschen heute und in Zukunft? Aber wie in der Politik sind manchmal auch Standortinteressen ein Thema.

Bestmögliches Programm: Es gibt Vorschläge der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, die beispielsweise den „Weltspiegel“ von Sonntag nach Montag verlegen und die politischen Magazine zugunsten von Dokumentationen kürzen will. Was halten Sie davon?
Alle Vorschläge werden in den Fachbereichen der gesamten ARD gründlich beraten. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.

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Heißt?
Alles steht unter der Überschrift: Wie erreichen wir mehr junges Publikum im Digitalen, in der Mediathek, als wir in den vergangenen Jahren erreicht haben? Es geht also auch um Generationengerechtigkeit. Da wir kein zusätzliches Geld dafür bekommen, werden wir umschichten, vom Linearen ins Nonlineare. Bis Ende des Jahres werden wir Entscheidungen getroffen haben – das ist doch eine kurze Zeitspanne für eine so umfassende Reform. Schließlich besteht das neue Führungstrio der Programmdirektion erst seit Mai.

Bleibt die Idee der Verschiebung des „Weltspiegels“ auf der Agenda?
Das ist eine Überlegung, zu der es noch keinen Beschluss gibt. Wie gesagt: Die Beratungen laufen. Jede Veränderung bringt natürlich Unruhe, zugleich verwundert es mich, dass die ARD immer ermahnt wird, im Digitalen mehr zu tun – und dann, wenn wir etwas ändern wollen, kommt Kritik. In die Zukunft hinein gesehen wäre es fahrlässig, wenn wir weiter Bücher mit Tinte schreiben wollen, wenn die Druckerpresse doch längst erfunden ist.

Büßt die ARD für eine Entwicklung, die sie selbst verantwortet? Das junge Publikum wurde aus dem Programm hinausgesendet.
Mit Ihrer Analyse bin ich nicht ganz einverstanden. Wir haben viele Angebote für die Jugend, denken Sie an Fritz beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, an 1Live beim Westdeutschen Rundfunk oder funk. Die Jugend will Rundfunk eben mobil und unabhängig von Ausstrahlungsterminen nutzen. Das sehen wir zum Beispiel bei „Babylon Berlin“. Klar, nicht wenige Macher hängen an ihren linearen Produkten, aber man muss sich der Zukunft zuwenden. Ich jedenfalls war als Auslandskorrespondent mehr daran interessiert, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, als eine bestimmte Sendung zu füllen.

Können Sie sich vorstellen, dass der USA-Korrespondent Buhrow mit der Verlegung des „Weltspiegels“ gar nicht einverstanden gewesen wäre, anders dagegen der WDR-Intendant Buhrow, der diesen Schritt begrüßt?

Ich hätte mich an den Beratungen beteiligt, ehe ich mich öffentlich äußere. Hätte gefragt, wie sich eine Verschiebung in die Absicht einfügt, die Auslandsberichterstattung zu stärken. Denn unser Ziel ist hier wie bei Kultur und Wissenschaft, mehr zu machen und nicht weniger.

Zukunft liegt im Digitalen

Ist die ARD in ihrer Gesamtheit so strukturkonservativ, dass nichts so gefürchtet wird wie Veränderung?
Es besteht überall Konsens, dass die Zukunft im Digitalen liegt. Hier im WDR und an vielen anderen Stellen in der ARD haben wir Innohubs mit jungen, sehr guten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Publikum von morgen im Blick haben. Gleichzeitig wird es immer eine Form von linearem Hörfunk und linearem Fernsehen geben. Wir müssen und werden aber den Übergang schaffen, denn zwei Welten nebeneinander komplett zu bespielen, also linear und nonlinear, werden wir nicht finanzieren können. Bei dem abstrakten Ziel der Reform sind sich schnell alle einig, aber bei der praktischen Umsetzung beginnt oft die Uneinigkeit. Dieses Spannungsfeld gibt es auch bei der Macherinnen und Machern. Da sagt manchmal dieselbe Person: „Ich habe schon längst keine Fernseher mehr.“ Und dann kommt die Forderung: „Mein Beitrag muss aber direkt nach der ,Tagesschau’ laufen.“

Nun haben Sie diese frohe Botschaft vernommen: Der Rundfunkbeitrag steigt auf 18,36 Euro. Was ist damit gewonnen?
Das gibt uns Planungssicherheit bis Ende 2024. Wir sind in dieses Jahr eingetreten mit einem Haushalt, dessen Ausgaben durch die Einnahmen nicht gedeckt waren. Das ist jetzt geklärt. Trotzdem werden wir weiterhin sparen müssen. Über das Finanzielle hinaus hat das Verfassungsgericht dem rein politisch motivierten Abweichen vom KEF-Vorschlag durch ein Bundesland einen Riegel vorgeschoben. Einen solchen Alleingang wird es künftig nicht mehr geben können. Zugleich hat das Gericht die Gestaltungsfreiheit der Politik bestätigt, nämlich bei der Bestimmung des Auftrags. Und der hat auch Einfluss auf den Finanzbedarf. Dritter Punkt: Das Verfassungsgericht hat unterstrichen, dass die Öffentlich-Rechtlichen die Vielfalt im Land, auch und gerade im Meinungsspektrum, ausgewogen abbilden müssen. Das ist ein Qualitätsanspruch an uns, den wir sehr ernstnehmen.

Schneller entscheiden

Die Diskussion über den künftigen Programmauftrag für ARD, ZDF und Deutschlandradio geht weiter. Was soll für die Sender ermöglicht werden?
Zu überlegen wäre, wie wir schneller mit unseren Aufsichtsgremien die zukunftsgemäße Erfüllung des Auftrags bewerkstelligen können. Zum Beispiel, ob ein bestimmtes Programmangebot besser im Linearen oder Digitalen aufgehoben ist. Bisher müssen dafür aufwendig Staatsverträge oder Rundfunkgesetze geändert werden. Wenn man hier mehr Dynamik und Beweglichkeit einführen will, käme unseren Aufsichtsgremien eine noch zentralere Bedeutung zu.

Die Rundfunkpolitik weiß das?
Das Stichwort der Flexibilisierung spielt auf der Länderebene durchaus eine zentrale Rolle. Die Unterschiede zwischen den Ländern liegen eher im Verständnis der Gestaltungsrolle von Politik. Diese zeigt sich insbesondere in der Auftragsdiskussion: Was wollen wir vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und was wollen wir nicht? Das ist keine einfache Diskussion, da muss Verantwortung wahrgenommen werden. Für manche ist es eine Versuchung, sich vordringlich in der Finanzierungsfrage zu positionieren.

Verständliche Mechanik

Können Sie da genauer werden, Namen, Länder nennen?
Nein, aber ich kann Ihnen die Mechanik sagen, die sogar verständlich ist: Jede Staatskanzlei sagt sich doch: „Das ZDF kenne ich gut, da bin als Landesregierung in den Aufsichtsgremien, daher weiß ich, dass die sich schon bemühen, sparsam zu wirtschaften. Meine Landesrundfunkanstalt kenne ich ebenfalls gut, da habe ich auch Leute in den Aufsichtsgremien, da weiß ich, wie reformbereit und sparsam die sind.“ Jenseits dieser beiden Sender vermutet man ein Welt, da müsste man mal etwas tun. Unter diesen Bedingungen einen Konsens herzustellen, ist schwierig. Ich habe dafür sehr viel Verständnis: 16 Länder unter einen Hut zu bringen, ist wahrscheinlich noch anstrengender, als neun Landesrundfunkanstalten hinter übereinstimmenden Zielen zu versammeln.

Ist die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen lauter, ja maßlos geworden?
Die Menschen schätzen uns viel mehr, als einige öffentliche Diskussionen glauben machen wollen. Wenn wir zum Beispiel im Sommer den „Tatort“ wiederholen, gibt es lauthals Proteste. Ich nehme das aber als Anerkennung für unsere Produkte. Aber: Bei der Finanzierung gibt es bei einigen diesen Reflex. Der Ton ist zum Teil schärfer geworden. Da müssen wir noch deutlicher machen, dass wir uns nicht selbst Rechnungen ausstellen, sondern dass wir einen unabhängigen Auftrag haben und unsere Programme für die Gesellschaft machen.

Bleibt bis 2025

Sie arbeiten noch bis Ende des Jahres als ARD-Vorsitzender. Patricia Schlesinger, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, soll das Amt übernehmen. Was erwartet Frau Schlesinger?
Der Dialog zwischen der Medienpolitik und den öffentlich-rechtlichen Sender über Reformen wird sicher weitergehen.

Sie sind in Ihrer zweiten Amtszeit, Herr Buhrow. Scheiden Sie vor Ablauf des Vertrages aus dem Amt?
Ich bin bis 2025 gewählt und bis zum letzten Tag voller Tatendrang.

Das Interview führte Joachim Huber.

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