Verfassungsgericht billigt höheren Rundfunkbeitrag: Ab jetzt muss Schluss sein mit dem Geldmangel-Gejammer!
Beitragszahler müssen die Öffis künftig mit 18,36 Euro pro Monat finanzieren. Das Plus muss in ernsthaften Rundfunk, in die Information fließen. Ein Kommentar.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland wird teurer. Das Bundesverfassungsgericht hat die Blockade Sachsens-Anhalts gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrages aufgebrochen, damit wurde vorläufige Quorum eines Jas aus 15 Bundesländern und eines Neins in einem Bundesland in ein amtliches Endergebnis verwandelt: Der Rundfunkbeitrag kann um 86 Cent von 17,50 Euro auf 18,36 Euro steigen. Die Richter in Karlsruhe haben der Landesregierung in Magdeburg sehr deutlich, ja unmissverständlich dekretiert, dass die Rundfunkfreiheit nicht zum Spielball eines Koalitionshändels geraten darf.
Was ARD, Deutschlandradio und ZDF als public value für die Gesellschaft leisten, gehört in einer anderen Dimension behandelt und verhandelt. Jedes Risiko einer Einflussnahme auf Programmauftrag und Programmgestaltung durch Staat und Parteien muss ausgeschlossen bleiben. Die Rundfunkfreiheit wird durch das Urteil gestärkt, Programm wird weiterhin in der Eigenverantwortung der Anstalten produziert. Die Rundfunkpolitik hat dafür die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen und nicht die Inhalte zu bestimmen.
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Denn auf die Inhalte kommt es an, in Zeiten von Filterblasen, Fake News und Deep Fakes. Authentische, geprüfte Informationen sind mehr denn je das Kerngeschäft öffentlich-rechtlichen Arbeit. Bedürfnis und Nachfrage danach sind gewachsen. Die „Tagesschau“ meldet Rekordquoten, und dass der Privatsender RTL Mitte des Monats eine direkte Magazinkonkurrenz zu den „Tagesthemen“ ins Programm setzen wird, zeigt, was Macher wie Zuschauerinnen und Zuschauern als relevant und was sie als redundant in den audiovisuellen Medien ansehen. Erst die Information, dann die Zerstreuung.
Dieses Grundgesetz für ARD & Co. betonen die Verfassungsrichter, indem sie - quasi als Fernsehkritiker - festhalten, das Sensationelle dürfe nicht in den Vordergrund geraten. Die Erwartung nicht nur in Karlsruhe ist klar: Die Mehreinnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro bis 2025 müssen in ernsthafte Informationssendungen und dürfen nicht in Jux und Dollerei investiert werden. Nur damit kann die "bedarfsgerechte Finanzierung" gemeint sein, der das Verfassungsgericht das letztgültige Wort redet.
Wozu 8,5 Milliarden Euro jährlich?
Der Richterspruch vom Zuschlag für die Öffis wird sofort die Generalfrage verschärfen: Wozu brauchen ARD, ZDF und Deutschlandradio mehr als 8,5 Milliarden Euro jährlich? Der Markenkern hieß und heißt heißt Information, Bildung, Unterhaltung, daraus muss sich die Priorisierung des Auftrags ableiten. Mehr "Tagesschau"- und "heute"-Formate, mehr "Terra X", weniger Quiz, weniger Soap, kluges statt lautes Radio.
Jede Beitragszahlerin, jeder Beitragszahler hat etwas anderes im Sinn, wenn sie das Fernsehen von ARD und ZDF, den Hörfunk von ARD und Deutschlandradio und alle drei im Netz nutzen. Hier wird es nie zu permanenter Zufriedenheit kommen können, zugleich das Publikum, geschult über die intensive Mediennutzung, ein feines Gespür entwickelt hat, was die öffentlich-rechtliche und was die kommerzielle Rundfunksache ist.
Mehr Geld = mehr Verantwortung
Mehr Geld heißt da mehr Verantwortung. Die ARD-Programmdirektion hält es aktuell für eine brillante Idee, den „Weltspiegel“ vom frühen Sonntagabend in die „Todeszone“ nach den „Tagesthemen“ am Montag zu verlegen, zudem soll die Zahl der wöchentlichen Magazine zugunsten von Dokumentationen reduziert werden. Solche Thermomix-Vorschläge schwanken zwischen Rat- und Hilflosigkeit.
Noch schräger wird das Gesamtbild, wer erleben muss, wie verschiedene Sender mit Literatur umgehen. Kann die weg, ist die nicht lästig, wer blättert noch um, wenn er längst alles wegwischen kann? Es zeigt sich, wie kein Geld der Welt die Kreativität, das Können und die Überzeugung kaufen kann, in welchen Programmen und auf welchen Wegen sich die öffentlich-rechtlichen Sendern in die digitale Zukunft transferieren müssen. Fernsehen noch linear oder nur noch in der Mediathek, Radio noch live oder gleich als Podcast? Das sind Grundsatzentscheidungen, die das Urteil aus Karlsruhe nicht trifft.
Zukunftstaugliche Verfassung
Das muss die Rundfunkpolitik en gros, das müssen die Sender en détail leisten. Da müssen 16 Staats- und Senatskanzleien eine zukunftstaugliche Verfassung für Struktur und Auftrag dieses Rundfunks zusammendenken, da müssen neun ARD-Sender, das ZDF und das Deutschlandradio einen nachhaltigen, werthaltigen Programm-Kanon ausbilden. Also muss mit dem heutigen Donnerstag Schluss sein mit dem Gejammer vom ewigen Geldmangel.
Welche Institution außer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat das sagenhafte Privileg von gesicherten, vom Verfassungsgericht testierten Milliardeneinnahmen? Derartigem Luxus darf nur mit einer Haltung begegnet werden, die sich als formidables öffentlich-rechtliches Programm ausweisen will.