Was unser Gesicht verrät: Ausdruck und Eindruck
„Das Gesicht“, eine Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum zur Inszenierung zwischen Stirn und Kinn.
Gehen Sie mal in die von Jasper van Loenen gebaute Kabine und lassen Sie dort Ihr Gesicht fotografieren. Auf der Rückseite sehen Sie das brutale Ergebnis: Das eigene Gesicht hat das Durchschnittsgesicht nicht verändern können, das aus den bisher von anderen Kabinengästen gemachten Fotos zusammengesetzt wurde. Die Individualität unterliegt der Masse. Und die Psychologie behauptet dann auch noch, solche Durchschnittsgesichter wirkten besonders attraktiv. Der Nullpunkt der Vielfalt als Sammelpunkt der Einfalt?
Von solchen Überraschungen hält die Ausstellung „Das Gesicht“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden noch weitere bereit. Die Schau nennt sich eine „Spurensuche“, und das ist sie auch: eine Suche nach Erkenntnissen, ja Gewissheiten. In vier Themenräumen wird mit 300 Exponaten aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft gezeigt und interaktiv nähergebracht, was den Menschen zwischen Kinn und Stirn ausmacht. „Das Gesicht ist“, schreibt Sigrid Weigel, die die Ausstellung konzipiert hat, im Begleitbuch, „neben der Stimme das wichtigste Medium menschlicher Kommunikation, ja der Zwischen-Menschlichkeit“.
Die Eindrücke, die wir mit unserem Gesicht machen, wollen wir steuern, indem wir am Ausdruck arbeiten. Das kann kosmetisch, mit dem Rasierapparat, das kann mittels plastischer Chirurgie passieren. Die Geschichte des Gesichts ist immer auch eine Geschichte kultureller Maßstäbe, wechselnder Schönheitsideale und des Versuchs, ein, sein Gesicht à la mode zu formen. Als Selbstbild, als Fremdbild, als Charakterbild. Das Gesicht der Brigitte Bardot oder, noch eindringlicher, der Barbiepuppe zeigt dann an, wie über Generationen an der Selbstoptimierung gearbeitet wurde – immer streng nach der Vorgabe der visuellen Beauty-Ikonen. „Mit der Fotografie wurde das Gesicht zum Massenmedium“, sagt Kuratorin Kathrin Meyer.
Nichts ist wichtiger als Mimik
Nichts ist, wenn es um die Kommunikation mit anderen geht, wichtiger als Mimik. Das Mienenspiel ist aber selbst bei Basisemotionen – Freude, Ärger, Staunen – rätselhaft. Gesichter müssen gelesen, Gesichtszüge verstanden werden. Das Gesicht ist Experimentier- und Fahndungsfeld zugleich, was der Ausstellung ihre vielfältige Spannung gibt. Die Exzentrik der Mimik, wie sie sich beispielsweise in der Plastik „Charakterkopf 31: Geruch, der zum Niesen reizt“ von Franz Xaver Messerschmidt zeigt, ist die Exzentrik eines Künstlers und die Exzentrik eines Mienenspiels. Lässt sich auch kommerzialisieren, wenn an Supermarktkassen elektronische „Emotionsdetektive“ vermittels der Shore-Software die Reaktionen der Kunden auf eingeblendete Werbung registrieren.
Denn diese Frage bleibt immer: Offenbart eine Mimik ein echtes Gefühl, eine authentische Emotion oder ist Mimik nur Maske? Computerprogramme codieren für Wissenschaft, Werbeindustrie, Verwaltung, Polizei und Geheimdienste Gesichter und Gesichtsausdrücke. Mund, Nase, Augen, Mienenspiel werden Daten, Daten werden Zeichensysteme, diese werden Zeugen der Individualität und Mittel der Identifikation. Sascha Lobo nennt das Gesicht längst „das digitale Nummernschild für Fußgänger“.
Punkt, Punkt, Komma, Strich
Der Test der elektronischen Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin zeigt an, wie, wo und warum aus dem harmlosen Spiel – Punkt, Punkt, Komma, Strich – Ernst wird. „Nous sommes Bobby Watson“, ein Online-Spiel von 2016, lädt den Ausstellungsbesucher ein, mit seinen physiognomischen Vorurteilen zu spielen. Kann man erkennen, welches Gesicht einem Serienmörder und welches einem Hipster gehört? Bei Irrtum beginnt das Spiel von vorne.
Die Ausstellung entscheidet nicht über das Gut und Böse der Biometrie im Geheimen wie im Alltag. Die Schau gibt sich nicht allwissend, sie öffnet Blickfenster. Das „Gesicht als Bildnis“, Thema des letzten Ausstellungskapitels, ist dann ein Universum der Diversität, des gewollten Ausdrucks und doch nie kontrollierbaren Eindrucks. Transportierbar und transportiert durch Zeit und Raum, gedacht als Ideal und Charakter, gemacht fürs eigene Image, immer ein Reflex der wandelnden Vorstellungen vom Menschen. Und eine Provokation. Das Finale spreizt das Thema in viele Richtungen. Das umstrittene Selfie, das zerstörte oder überklebte Wahlplakat, die Fotos von SS-Wächtern in Dachau, die zerkratzt, durchbohrt, mit Flüssigkeiten attackiert wurden. Du sollst Dir (k)ein Bildnis machen? „Das Gesicht“ stellt die Frage, die jeder Besucher für sich beantworten muss.
„Das Gesicht. Eine Spurensuche.“ Deutsches Hygiene-Museum, Dresden. Bis 25. Februar 2018. Weitere Informationen unter www.dhmd.de
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