Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Auftrag präzisieren – Akzeptanz stärken
Schweizer SRG als Orientierung: Hälfte des Rundfunkbeitrags für Information, ein Viertel für Kultur verwenden
Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Zukunft für wen zu welchen Kosten leisten? Diese Frage wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern diskutiert. So hat erst unlängst die Schweiz bewiesen, dass es in einem betont dezentralen Bundesstaat nach breiter öffentlicher Diskussion möglich ist, den öffentlichen Rundfunkauftrag modern auszugestalten. Ende August wurde die dortige Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) detailliert etwa damit beauftragt, im Bereich der Information außerhalb der Regionaljournale über lokale und regionale Ereignisse von überregionaler Bedeutung zu berichten.
Der SRG wurde dabei vorgegeben, für die Erfüllung des Leistungsauftrags im Bereich Information mindestens die Hälfte der Abgaben und im Bereich der Kultur etwa ein Viertel einzusetzen. Im Bereich der Unterhaltung wurde der SRG aus Gesichtspunkten der Leitbildfunktion, Unterscheidbarkeit und Unverwechselbarkeit gegenüber kommerziellen Anbietern ein hoher Anteil an Eigenentwicklungen und -produktionen aufgegeben. Und bei der ausdrücklich neu beauftragten Sportberichterstattung wurde herausgestellt, dass Sport ein wichtiges Element sowohl der täglichen Information als auch der Unterhaltung ist und eine hohe identitätsstiftende und integrative Bedeutung hat.
Rundfunkfreiheit ist Programmfreiheit
Zurück nach Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 mit Bindungswirkung für den Gesetzgeber zentral herausgestellt, dass die Rundfunkfreiheit vor allem Programmfreiheit ist und gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt, Umfang und Gestaltung des Programms Sache der Rundfunkanstalten selbst ist. 2007 hat es an seine Rechtsprechung angeknüpft und herausgearbeitet, dass das Programmangebot auch für neue Inhalte, Formate und Genres sowie für neue Verbreitungsformen offenbleiben muss, der Auftrag also dynamisch an die Funktion des Rundfunks gebunden ist.
Das bedeutet gleichzeitig, dass Programme, die der Auftrag nicht erfordert, verfassungsrechtlich nicht garantiert sind. Auch ist die Heranziehung der Beitragszahler in dem Maß – aber auch nur so weit – gerechtfertigt, wie dies zur Funktionserfüllung geboten ist. Der Gesetzgeber muss also einen Ausgleich zwischen der verfassungsunmittelbar gesicherten Programmautonomie der Rundfunkanstalten und den schutzwürdigen Interessen der Rundfunkteilnehmer vor finanzieller Überforderung herstellen und gewährleisten, dass diejenigen Programme über den Beitrag finanziert werden, die zur Wahrung dieser Funktion erforderlich sind. Aus dem gesetzlich ausgeformten Auftragsumfang folgt demnach der Finanzbedarf und nicht umgekehrt.
Mit der Karlsruher Entscheidung vom 18. Juli dieses Jahres wiederum steht endgültig fest, dass der Rundfunkbeitrag im Wesentlichen verfassungskonform ausgestaltet worden ist und die Beitragshöhe von 17,50 Euro monatlich selbst für Einpersonenhaushalte nicht unangemessen hoch ist. Zwingender rechtlicher Änderungsbedarf besteht also nicht, ganz im Gegenteil: Das Staatsvertragssystem ist hinsichtlich Beauftragung und Finanzierung verfassungskonform. Um die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Finanzierung geht es also entgegen manchen Stimmen nicht.
Das heißt aber auch: Werden keine Veränderungen am Auftrag vorgenommen, resultieren daraus unabweisbar Beitragssteigerungen von 2021 an, denen von den Landesparlamenten nachzukommen ist und die nicht aus bloßen politischen Opportunitätserwägungen gedeckelt werden dürfen.
Wenn den Landesgesetzgebern diese Entwicklung unangemessen erscheint, müssen sie deshalb den öffentlichen Auftrag so präzisieren, dass einerseits der gebotenen Entwicklungsoffenheit im digitalen Zeitalter Rechnung getragen wird, andererseits aber aus dem bisherigen Angebot das womöglich zwar noch Funktionsentsprechende, aber nicht mehr Funktionsnotwendige identifiziert und vom öffentlichen Auftrag ausgenommen und damit künftig auch nicht mehr finanziert wird.
Täglich 2200 Programmstunden
Einen lohnenden Ansatzpunkt bieten die täglich etwa 2200 öffentlich-rechtlichen Programmstunden dafür durchaus. Eine solche Rückführung auf das Funktionsnotwendige vorzunehmen, sind die Landesgesetzgeber nicht nur gegenüber den Rundfunkanstalten berechtigt, sondern gegenüber den Beitragszahlern sogar verpflichtet.
Ein ernsthaftes Nachdenken über eine Präzisierung des Rundfunkauftrags würde zudem die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern. Dabei wäre eine mit Rückführungen verbundene Anpassung des öffentlichen Auftrags nicht ausschließlich durch einen Kraftakt der Länder zu bewerkstelligen, sondern kann und sollte vielleicht auch von den Rundfunkanstalten selbst initiiert und betrieben werden. Ich jedenfalls habe den Eindruck, dass der Aufräumbedarf zwischen den einzelnen Häusern und ihren Programmen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Im ARD-Verbund gibt es hier deutlich mehr Potenzial als beim klarer strukturierten ZDF.
Bei der Präzisierung kann der Gesetzgeber versuchen, sich inhaltlich zum Teil an dem zu orientieren, was der Schweizerische Bundesrat vorgemacht hat. Dazu sollten die Landesgesetzgeber inhaltliche Debatten in den Landtagen nicht scheuen, sondern suchen. Denn die Landtage sind die Orte, in denen gesellschaftliche Debatten zur Medienpolitik in politische Entscheidungen überführt werden können. Das Dilemma der rundfunkrechtlichen Diskussion in Deutschland besteht gerade darin, dass ihr gegenwärtig ein öffentlicher Ort zur finalen Entscheidung fehlt. Es erscheint nahezu paradox: Gerade wegen der vom Bundesverfassungsgericht besonders weit ausgeformten und insoweit gesetzgeberischer Gestaltung entzogenen Verfassungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nimmt die Akzeptanz des Systems in der Bevölkerung tendenziell ab. Debatten und Entscheidungen im Parlament über den öffentlichen Auftrag können den Öffentlich-Rechtlichen nur den Rücken stärken.
Keine Verschlüsselung des öffentlich-rechtlichen Angebots
Für eine bessere Akzeptanz sorgt also in erster Linie das diskursive Verfahren, vielleicht aber auch das Ergebnis, wenn dem partiell sich ausbreitenden Ohnmachtsgefühl bei aller gebotenen Erweiterung in neue Verbreitungswege auch eine punktuelle Rückführung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks auf das Funktionsnotwendige gegenübergestellt wird. Wenn man sich nicht sicher ist, in allen Landtagen eine Mehrheit zu finden, sind einerseits die wiederholten Fingerzeige des Bundesverfassungsgerichts zur einstimmigen Einführung eines – beispielsweise zwei Drittel umfassenden – Quorums aufzugreifen und zum anderen ist deutlich zu machen, dass aufs Ganze gesehen kein Landtag eine Vetoposition hinsichtlich der notwendigen Finanzausstattungsgewährung für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besitzt. Darauf haben diese nämlich einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, der angesichts eines die Beitragsfestsetzung verweigernden Landtages dann seitens des Landes auf andere Weise zu erfüllen ist.
Deutlich zu warnen ist vor in jüngster Zeit vorgetragenen Verfahrensalternativen. In jeder Weise kontraproduktiv ist der Vorschlag, die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks künftig verschlüsselt anzubieten, um es auf diese Weise Nichtnutzungswilligen zu ermöglichen, der Abgabenpflicht zu entgehen. Zentrale Aufgabe der vielfältigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebote ist es ja gerade, möglichst alle Bevölkerungsteile zu erreichen und zum Teil erstmals zu erschließen.
Auch die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Neustrukturierung des Auftrags würde nur noch weiter das Expertentum befördern und die gebotene politische Debatte verhindern. Schließlich ist vor einem Indexierungsmodell für den Rundfunkbeitrag nachdrücklich zu warnen, mit dem sich die Landtage ihrer Auftragsbestimmungsverantwortung entziehen und letztlich die Anstalten nur über die automatische Beitragsentwicklung steuern würden. Auch hier entfiele die dringend gebotene öffentliche Debatte über den Auftrag selbst.
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk tut es gut, wenn es zu einer Konzentration und einer Schärfung der Unterscheidbarkeit, einer Reduzierung von Doppelungen und einer Abkehr vom „more of the same“ bei gleichzeitiger Einführung neuer Formate und Erschließung neuer notwendiger Verbreitungswege kommt. Aber auch den Landtagen tun Debatten darüber gut. Angst vor der eigenen Courage wäre insoweit für die Länder kein guter Ratgeber.
Hans-Günter Henneke ist Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages und gehört seit 2002 dem ZDF-Fernsehrat bzw. -Verwaltungsrat an. Bisher erschienen: Patricia Schlesinger (15. April), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni), Frauke Gerlach (22. Juni), Ulrich Wilhelm (5. August), Heike Raab (2. September)
Hans-Günter Henneke