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Weniger los an Russlands Kiosken. Zwei Wochen nach der Einstellung der „Nowaja Gaseta“ soll das Projekt der „Nowaja Gaseta Europa“ an den Start gehen. In Lettland wurde ein neues Medienunternehmen gegründet, das die Zeitung herausgeben soll.
© imago/Itar-Tass

Neue Stimme gegen Russlands Krieg: Auf die „Nowaja Gaseta“ folgt die „Nowaja Gaseta Europa“

Die berühmte „Nowaja Gaseta“ musste wegen Putins rigider Medienpolitik schließen. Von Riga aus startet nun die „Nowaja Gaseta Europa“.

Seine Zeitung darf nicht mehr erscheinen, doch aufgeben will Kirill Martynow deshalb nicht. „Wir werden die Zeitung in Russland wiederaufbauen, vielleicht dauert es Monate, vielleicht Jahre“, sagt der bisherige Vize-Chefredakteur der unabhängigen russischen „Nowaja Gaseta“. Bis es so weit ist, soll außerhalb Russlands eine neue Zeitung entstehen, die „Nowaja Gaseta Europa“. Martynow ist zugleich Gründer und Chefredakteur.

Formal und rechtlich wird das neue Medium keine Verbindung zur bekanntesten kremlkritischen Zeitung haben, das betont der 40-Jährige mehrfach. Schließlich soll die Berichterstattung im Ausland nicht auf die noch im Land verbliebenen Journalistinnen und Journalisten der „Nowaja Gaseta“ zurückfallen. Die Zeitung hatte Ende März ihr Erscheinen einstellen müssen, nachdem sie von der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor verwarnt worden war.

Mit der Einstellung kam die Zeitung einer möglichen gerichtlichen Schließung zuvor, denn die Aufsichtsbehörde hatte die Berichterstattung des Blattes über den Krieg in der Ukraine wiederholt beanstandet. Die Redaktion sprach von einem vorläufigen Aus, bis zum „Ende der Spezialoperation“, wie Russlands Krieg in der offiziellen Propaganda genannt wird.

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Seit dem russischen Überfall auf das Nachbarland haben Moskaus Behörden die Repressionen gegen unabhängige Medien in Russland massiv verstärkt. Nicht einmal der Begriff „Krieg“ darf in diesem Zusammenhang verwendet werden. Untersagt ist es auch, den Überfall der russischen Armee einen „Angriff“ oder eine „Invasion“ zu nennen. Medien müssen sich dieser Zensur unterwerfen. Diejenigen, die sich nicht an deren Vorgaben halten, werden per Gerichtsbeschluss zum Aufgeben gezwungen, oder ihnen drohen hohe Geldstrafen.

Der unabhängige russische Fernsehsender „Doschd“ wurde bereits geschlossen, auch der Radiosender „Echo Moskwy“ musste seinen Betrieb einstellen. Damit sind in Russland nun die traditionsreichen und bekannten kremlkritischen Medien in den Bereichen Print, Radio und Fernsehen ebenso verstummt wie unabhängige Online-Medien. Viele Journalistinnen und Journalisten, die bis vor Kurzem für diese Medien gearbeitet haben, fühlen sich nun in Russland nicht mehr sicher. Die einen haben das Land schon in den ersten Kriegswochen verlassen, andere planen in diesen Tagen ihre Emigration - auf unbestimmte Zeit. Vor allem in den baltischen Staaten haben viele regierungskritische russische Journalisten mittlerweile Zuflucht gefunden, aber auch Georgien und die Türkei gelten wegen der noch funktionierenden Flugverbindungen als erste Ziele der neuen Emigranten.

Kirill Martynow, der bisherige Vize-Chefredakteur der unabhängigen russischen „Nowaja Gaseta“.
Kirill Martynow, der bisherige Vize-Chefredakteur der unabhängigen russischen „Nowaja Gaseta“.
© privat

Der Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“ und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hat sich offenbar entschieden, in Russland zu bleiben, obwohl der Druck und die Versuche der Einschüchterung wachsen. In der vergangenen Woche wurde Muratow auf einer Zugfahrt von Moskau nach Samara angegriffen. Zwei Männer betraten sein Abteil und überschütteten ihn mit roter Farbe, der wohl eine ätzende Substanz beigemischt war. Er erlitt Verletzungen an den Augen.

Bei der „Nowaja Gaseta“ haben die Planungen für ein Zeitungsprojekt außerhalb des Landes bereits im vergangenen Jahr begonnen, noch bevor Muratow mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Auf diese Überlegungen konnte das Team nun zurückgreifen. Die „Nowaja Gaseta Europa“ richte sich „an russischsprachige Europäer, die die europäischen Werte teilen und den Krieg nicht unterstützen“, sagte Martynow dem Tagesspiegel bei einem Besuch in Berlin. Berichten will die neue Redaktion sowohl über Ereignisse in Russland und den Krieg in der Ukraine als auch über internationale Themen. Die russischsprachige Community in Europa sei gespalten, aber es gebe Millionen Russen, die den Präsidenten Wladimir Putin nicht unterstützten, betont Martynow. Er sieht das neue Medienprojekt als „Stimme der Russen, die gegen Putin sind“.

Die russischsprachige Community im Blick

Moskaus Staatsmedien versuchen seit Jahren, die russischsprachige Community in Deutschland und anderen EU-Staaten anzusprechen. Dagegen gab es bisher nur sehr wenige Medien außerhalb Russlands, die der Propaganda des Kremls in russischer Sprache etwas entgegensetzen.

Nur etwa zwei Wochen nach der Einstellung der „Nowaja Gaseta“ soll nun das Projekt der „Nowaja Gaseta Europa“ an den Start gehen. In der vergangenen Woche wurde in Lettland ein neues Medienunternehmen gegründet, das die Zeitung herausgeben soll. Bis zum Sommer will Martynow in Riga eine Redaktion aufbauen, in der ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Nowaja Gaseta“, die Russland verlassen haben, neue Jobs finden.

Allerdings hat die Arbeit des Teams bereits begonnen: Noch vor dem offiziellen Start eröffnete die „Nowaja Gaseta Europa“ einen Telegram-Kanal, den in den ersten fünf Tagen mehr als 92.000 Menschen abonnierten. Die Webseite des neuen Mediums startet an diesem Donnerstag. In den baltischen Staaten ist mittelfristig zudem eine Printausgabe geplant, die allerdings nicht täglich erscheinen wird. Die Texte sollen nicht nur auf Russisch, sondern zusätzlich in weiteren europäischen Sprachen veröffentlicht werden. Auch in Berlin will die „Nowaja Gaseta Europa“ mittelfristig ein kleines Büro mit eigenen Reportern eröffnen.

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