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In der eigenen Partei umstritten. Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der unter anderem die Agenda 2010 auf den Weg brachte.
© Broadview

Ein Held oder Verräter der SPD?: Arte-Doku zeigt die vielen Seiten von Gerhard Schröder

Genosse, Kraftkerl, Bügler: Torsten Körner porträtiert in „Gerhard Schröder – Schlage die Trommel“ den umstrittenen SPD-Politiker als Mann der Widersprüche.

Er war der letzte Kanzler, den die SPD stellte. Parteigenossen sahen in ihm weniger einen Sozialdemokraten als einen selbstbezogenen Karrieristen. Eine Arte-Dokumentation porträtiert Gerhard Schröder und rekapituliert dabei die rot-grüne Regierungszeit zwischen 1998 und 2005.

Zu Beginn liest der Ex-Kanzler ein Gedicht von Heinrich Heine: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht/Trommle die Leute aus dem Schlaf“. Trommeln – das ist es, was Gerhard Schröder wie kaum ein zweiter deutscher Nachkriegs-Politiker konnte.

Er machte viel Show. Er blieb dabei aber sich selbst treu – und trommelte so die SPD zur Macht. Der Medienkritiker und Filmemacher Torsten Körner, der zuletzt zwei Filme über Angela Merkel realisierte, hat sein Porträt deshalb passenderweise „Gerhard Schröder – Schlage die Trommel“ genannt.

Von den Genossen wird der Politiker für sein Getrommel heute nicht nur geliebt. Nach seiner Abwahl verlor die SPD nach 2005 sukzessive den Status einer Volkspartei. Hat Schröder die Partei verraten? Oder hat die heutige SPD zu wenig von Schröders Charisma?

Für dieses Themenspektrum findet der Film einen trefflichen Vergleich: Schröder sei „der Günter Netzer der SPD“. Wie der Edelkicker, der sich im legendären Pokalfinale 1973 gegen den Willen des Trainers selbst einwechselte und die Partie im Alleingang entschied, so war auch der einstige Mittelstürmer Gerhard Schröder, der für den Provinzclub TuS Talle gegen den Ball trat, ein Solist. Mit wenigen Strichen zeichnet die Dokumentation nach, wie der junge Mann aus armen Verhältnissen sich politisch profilierte: allerdings nie als linientreuer Parteisoldat.

In fünf Kapitel gestaffelt, rekapituliert das Porträt die zentralen Konfliktpunkte der rot-grünen Legislaturperiode unter Schröder. Nach 16 Jahren Helmut Kohl war der neue Regierungschef konfrontiert mit einem „Problemlösungsstau wie kein Kanzler vor ihm“.

Mehrfach musste Schröder deshalb „heilige Kühe schlachten“. Er brachte die Energiewende mit auf den Weg. Im Kosovo-Krieg schickte er erstmals wieder deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz im Ausland. Später verweigerte er dem US-amerikanischen Bündnispartner die militärische Unterstützung im Irak. Instinktiv lag Schröder damit richtig.

Der Mann im feinen italienischen Zwirn ist ein Mann der Widersprüche. Er war sozialdemokratischer Kanzler, galt aber aufgrund seiner Nähe zur Wirtschaft als „Genosse der Bosse“. Dieser Antagonismus spiegelt sich in seinem politischen Vermächtnis, jener Agenda 2010, die zu seiner Wahlniederlage führte.

Schröder habe versucht, „eine Balance zwischen Ökonomie und Solidarität herzustellen.“ Sein Widersacher Oscar Lafontaine hat noch heute Schaum vorm Mund: Schröder sei verantwortlich „für den größten Sozialabbau nach dem Krieg“. Er sei damit „verantwortlich für den Niedergang der SPD“.

Beziehungen zu Russland und Harz IV-Reformen

Die Auswirkungen von Schröders Reformen, so der Tenor der Dokumentation, werden ungerecht verteilt: „Während man die SPD nur negativ mit Hartz IV identifiziert, erntet die CDU die wirtschaftlichen Erfolge der Reform“.

Regisseur Körner zitiert die Regierungserklärung von 2005, in der Angela Merkel ihren Amtsvorgänger ausdrücklich lobt. Er habe mit der Agenda 2010 „mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen“ und diese Reformen „gegen Widerstände durchgesetzt“. Applaus von der falschen Seite?

Etwas vage bleibt das Kapitel über Schröders Tätigkeit im Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft sowie seine berüchtigte Freundschaft mit dem russischen Autokraten. „Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?“ Auf diese Frage, die der Talkmaster Reinhold Beckmann ihm stellte, antwortet der Ex-Kanzler auch heute ausweichend. Er erweist sich als lupenreiner Politiker.

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Im Abschnitt über Schröders Ehen flirtet die Dokumentation schließlich mit dem Boulevard. Einerseits pflege Schröder sein Image als „Macher und Kraftkerl“. Die Frauen an seiner Seite seien aber alle wichtig. Sie hätten ihm Paroli geboten. „Ich habe“, so Sigmar Gabriel, „mit Schröder Fußball geguckt, während er bügeln musste“.

Mit einer vielfältigen Auswahl von Gesprächspartner – darunter Polens Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski, der ehemalige französische Außenminister Hubert Védrine sowie Jonathan Powell, früher Stabschef von Tony Blair – gelingt Körner eine politische Zeitreise. Und obwohl die Ära Schröder zwar erst 15 Jahre zurückliegt, vermittelt der Film das Gefühl, dass eine gefühlte Ewigkeit vergangen ist.

Die SPD, so das Fazit des Schröder- Freunds und Malers Markus Lüpertz, habe die Tendenz, „ihre Helden zu schlachten, weil im Sozialismus zu viel Spießertum herrscht“. Am Ende gibt Schröder den Genossen noch den Rat mit auf den Weg, sie mögen doch „ein bisschen mehr trommeln“.

Im Schlussbild stimmt die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken dann die Internationale an. Im Stuttgarter Akzent. So war das mit dem Trommeln wohl nicht gemeint.
Arte, Dienstag, 14. Juli, 21.45 Uhr

Manfred Riepe

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