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Viele Worte zum Antisemitismus: Anne Will und ihre Gäste
© Anne Will

TV-Talk: „Anne Will“: Verliert Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus?

Ob Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus verliere, wollte Anne Will von ihren Talkgästen wissen. Deutlich wurde, dass der Bedrohung mit Worthülsen nicht beizukommen ist.

Wo fängt ein Lippenbekenntnis an, wo hört es auf? Wer spricht mit Leidenschaft, wer nur mit gesalbter Routine? Und kann es sie - die ritualisierte Empörung - im Lande des Holocaust überhaupt geben? Anne Wills Sendung am Sonntagabend stand unter dem seltsamen Titel: „Verliert Deutschland den Kampf gegen den Antisemitismus?“

Impliziert die Frage nicht, dass der Antisemitismus etwas gerade eben erst Entdecktes, gar ausschließlich Importiertes sei? Und kämpft wirklich ganz Deutschland gegen den Antisemitismus, so als ob Deutschsein und Antisemitismus zwei verfeindete Galaxien wären?

Shimon Stein, Israels Botschafter in Berlin von 2001 bis 2007 und seit mehr als 40 Jahren aufmerksamer Beobachter des Landes wies völlig zurecht darauf hin, dass es keine „Stunde Null des Antisemitismus“ gegeben habe. Angesichts der jüngsten antisemitischen Vorfälle sagte er vielsagend: „Ich wundere mich, dass man sich wundert.“ Und an Volker Kauder (CDU) gewandt: „Man kann das nicht mit einem Beauftragten für Antisemitismus erledigen.“

Es waren überhaupt die interessantesten Momente, wenn Stein den matt wirkenden und unpräzise formulierenden Kauder in die Nachdenkpflicht nahm. Als Kauder von „jüdischen Mitbürgern“ sprach, hielt Stein richtigerweise den Begriff „Bürger“ dagegen, weil das „Mitbürger“ so tut, als seien sie die Juden keine Normal- sondern mühsam angenommene Ausnahmebürger. Und als der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende einwarf, man müsse überlegen, ob man an Schulen vielleicht Mentoren für jüdische Schüler bräuchte, drehte Stein den Gedanken um, Mentoren bräuchten doch eher die, die jüdische Schüler antisemitisch attackierten.

Katja Kipping (Die Linke) mahnte: „Wir müssen über die reden, die daneben stehen und zusehen. Die Rapper segeln im rechten Zeitgeist mit, die sind nicht mutig, die sind feige.“ Es erstaunte, dass an diesem Abend kaum jemand die AfD erwähnte.

Der Psychologe Ahmad Mansour forderte mehr Bildungsanstrengungen: „Die Lehrer werden im Stich gelassen. In den Integrationskursen werden keine Werte vermittelt.“ Und: „Wir brauchen Gegennarrative im Internet, die wir gegen die Verschwörungstheorien setzen.“

Bildung und ein langer Atem

Mansour war sich mit „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt einig, dass in der Integration viel versäumt worden sei, auch in der Vergangenheit. Der Journalist wollte eine deutlichere Vermittlung unseres liberalen Weltbildes und verlangte härtere Strafen für antisemitische Straftäter. Hier wies Kauder darauf hin, dass es nach Paragraph 54 des Aufenthaltsgesetzes möglich sei, jemanden auszuweisen, wenn er zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufrufe.

Als aber Shimon Stein forderte, Angela Merkel müsse einen Gipfel zum Thema Antisemitismus veranstalten, druckste der Knappe der Kanzlerin herum, ein Gipfel mache ja nur Sinn, wenn auch was rauskomme.

Einig waren sich alle, dass es mehr Bildung braucht und einen langen Atem. Poschhardt erwähnte kurz, dass man sich auch mal über antisemitische Stereotypen in den öffentlich-rechtlichen Medien Gedanken machen sollte, doch diesen Gedanken griff niemand auf. Es war eine wortreiche, aber schweigsame Sendung. Der Applaus fiel schwermütig wie Regen.

Torsten Körner

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