Arte-Doku über Amazon: Amazon is watching you
Für eine berufstätige Mutter sei Amazon ein Segen: Eine Arte-Doku erzählt vom unaufhaltsamen Aufstieg eines digitalen Großkonzerns.
Zu Anfang stellt der Brite David Carr-Brown, der an seinen kürzlich ausgestrahlten Dokumentarfilm übers Silicon Valley anknüpft, das offene Geheimnis des Onlinekaufhauses vor: Amazon-Kunden sind so zufrieden, wie es das Lächeln im Firmenlogo anzeigt. Das hat zu einer Verschiebung der Kräfte auf dem Markt geführt.
Früher, so ein Logistikexperte, waren Hersteller in der Machtposition, später die Einzelhändler. Dank Amazon sei heute der Kunde am Drücker. Katherine Mangu-Ward, leitende Redakteurin bei „Reason“, einem Magazin für „freie Geister und freie Märkte“, lobt das emanzipatorische Potenzial des Großkonzerns. Für eine berufstätige Mutter, die einen Angehörigen pflegt und ein kleines Kind hat, das „ein Meerjungfrauen-Kostüm mit rosa Schwanz“ haben möchte, sei Amazon ein Segen. Die Kritik, der Onlineriese zerstöre den Einzelhandel, lässt die Publizistin nicht gelten.
Hinter den Kulissen des logistischen Systems, das diese Kundenzufriedenheit ermöglicht, ist das Wohl der Beschäftigten zweitrangig. Der Dokumentarfilm schaut Auslieferern über die Schulter, die nicht fest angestellt sind und Sozialabgaben selbst entrichten. Jeden einzelnen Auftrag müssen sie aufrufen mit einer App, die ihren Arbeitsweg durchtaktet und überwacht.
Mit dieser Datenauswertung ist die Doku beim Kernthema angelangt, das bislang vorwiegend bei Google oder Facebook problematisiert wurde. Um die Zufriedenheit der Käufer zu optimieren, werden alle Schritte, die Kunden im Netz tätigen, ausgewertet.
Das sichert den geschäftlichen Erfolg, der gesteigert wird durch die stetige Ausweitung des Warenangebots, das inzwischen bis hin zu viel beachteten Streamingserien reicht: „Als wir den Golden Globe gewonnen haben“, so Amazon-Chef Jeff Bezos über die Anerkennung der hauseigenen Serien-Produktion „The Marvelous Mrs. Maisel“, „half das natürlich, mehr Schuhe zu verkaufen“. Die Auswertung der dabei anfallenden Datenmengen erfolgt durch Amazon Web Service. Dessen Dienste werden auch vermietet.
Nicht nur das Film- und Serienangebot von Netflix ist auf Amazon-Rechnern gespeichert. Längst schon bietet der Mischkonzern, woran die kürzlich ausgestrahlte ARD-Doku „Allmacht Amazon“ erinnerte, Datenanalysen für die Gesichtserkennung bei der polizeilichen Fahndung an. Das Buchkaufhaus ist zu einem privaten Nachrichtendienst expandiert. Amazon is watching you. Das Problem ist noch ein anderes. Dank Steuerschlupflöchern, so der Tenor der Doku, entrichtet Amazon keine Abgaben für die Infrastruktur. Amazon zahlt kaum etwas für die Erneuerung des Straßennetzes, das von Steuergeldern aufgebaut wurde und den Konzern groß machte.
„Der unaufhaltsame Aufstieg von Amazon“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15
Manfred Riepe