Besuch bei Amazon Prime Video: Ich sehe was, was du nicht siehst
Die schönste Streamingserie nützt wenig, wenn die Technik nicht richtig funktioniert: Ein Blick hinter die Kulissen von Amazon Prime Video in London-Shoreditch.
„Prime Video Builder Tools“, „Client Farm Operations“, rote Warndreiecke, keine Bilder, bitte! Wir sind in London, im dritten Stock des europäischen Hauptquartiers von Amazon Prime Video, neben Netflix der größte Steamingdienst der Welt. Draußen Shoreditch, das durch und durch gentrifizierte Viertel im Nordosten von Englands Hauptstadt. Tief drinnen dieses Labor, das „Video Builder Tool“, drum herum rund 3000 Mitarbeiter auf 16 Stockwerken, deren Job es auch ist, darauf zu achten, dass beim Streaming all der schönen Serien auf all den verschiedenen Fernsehern, Smart TVs, Smartphones, Tablets, iPads und Konsolen weltweit nichts schiefgeht.
Man muss sich das so vorstellen: Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass die neue Actionserie „Jack Ryan“ an irgendeinem Serverpunkt der Welt eingespeist wird und dann überall einfach so problemlos abgerufen werden kann, im Wohnzimmer oder unterwegs. Es gibt über 6000 verschiedene Geräte oder Devices, wie es neudeutsch heißt. Das heißt im Grunde: über 6000 verschiedene Möglichkeiten, Erscheinungsformen, technische Abläufe, bewegte Bilder zur Darstellung zu bringen. Der Fehler kann im Detail stecken. Wäre schade, wenn Serien wie „You Are Wanted“ oder „Jack Ryan“ bei dem einen problemlos über den Bildschirm streamen, während es bei dem anderen rumpelt und grau wird.
Zauberwort Kundenzufriedenheit. 69 Euro im Jahr für eine Amazon-Prime- (und damit auch Prime-Video-)Mitgliedschaft. Über 100 Millionen zahlende Kunden weltweit, etwas weniger als beim Konkurrenten Netflix, dem reinen Streamingdienst. Amazon-Prime-Kunden wollen zwar alle schnell an ihre online bestellten Pakete kommen. Die Userbility von Prime Video ist aber mindestens ein ebenso wichtiger Faktor, der den Abonnentenstamm hält beziehungsweise wachsen lässt, sagt Jay Marine, Vice President Prime Video Europa.
Marine ist quasi ein Amazon-Veteran, seit 16 Jahren in der Firma. „Wir müssen permanent die Kundenerfahrung verbessern.“ Es gibt Kunden, die gehalten werden, und es gibt Interessierte, die mit tollen, neuen Serien für ein Abo gewonnen werden wollen, in guter Qualität. Dafür arbeiten hier 3000 Leute.
Gut, ganz so groß ist Amazon Prime Video noch nicht. Diese junge Abteilung – im Februar 2014 aus dem Zusammenschluss des Onlineversandhandels Amazon Prime und der Onlinevideothek Lovefilm entstanden – besetzt die Stockwerke drei bis fünf des Büroturms. Das größte Amazon-Gebäude neben dem Headquarter in Seattle. Viele Lounges, Verbindungsräume. Auch zu anderen Geschäftsfeldern wie Vertrieb, Geräte, Mode und so weiter. Drohnen, Buchläden, neuerdings auch richtig analoge Shops ohne Kassen – es gibt ja kaum noch etwas, wo Amazon seine Finger nicht im Spiel hat.
Davon zeugen diverse Reliquien, Plakate, Kleider und Gadgets in langen Gängen und Fluren. Drum herum lichte Büros der Zukunft, junge Menschen an Laptops, die manchmal so hip aussehen wie in „Transparent“, der Prime-Serie. Spezialisten aus Indien, Deutschland, Belgien, Österreich, Spanien. Was ist eigentlich, wenn im März der Brexit kommt? Darüber möchte hier in London keiner mutmaßen. Amazon wird’s schon richten.
Zurück zu Prime Video, den technischen Grundlagen und dem, was da am Ende dieser Gänge wartet, im Inneren des Streamingdienstes. Ein Gang durch die Ingenieurlabore, die Eingeweide von Amazon Prime Video. „Ist Content König? Oder nicht doch auch die Technik?“, wird Jay Marine gefragt. So richtig darauf antworten möchte er nicht, blickt zu seinem Nachbarn, dem Verantwortlichen für die Technik, Tim Kohn, Vice President Prime Video Technology. Er führt die Journalisten in die vollklimatisierten, fensterlosen Labore. Dort steht ein Fernseher neben dem anderen.
Was ist eigentlich, wenn im März der Brexit kommt?
Auf dem Einen läuft „Jack Ryan“, auf dem anderen „The Marvelous Mrs. Meisel“, die Emmy-Preis-gekrönte 50er-Jahre-Serie. Daneben sitzt ein Mitarbeiter an seinem Laptop über einer Programmierung, tippt konzentriert ein. Fehlerbehebung, permanente Kontrolle von Bild und Ton. Hunderte von Entwicklern stellen sicher, dass das, was hier zu sehen ist, auf Fernsehern, Tablets oder Smartphones weltweit läuft, unabhängig, davon, wie alt das Gerät ist, welche Software benutzt wird und wie schnell das Internet vor Ort ist.
Ein Stockwerk tiefer, runter in einem der zehn (!) Fahrstühle, vorbei an einem großen Matthias-Schweighöfer-Plakat, ein weiterer Laborraum, Archiv und Zukunftswerkstatt zugleich. Ein Flatscreen hängt hier wiederum neben dem anderen, alle Bildschirmgrößen, Marken und damit auch Benutzeroberflächen. Wieso eigentlich, fragt man sich dann doch, braucht man hier so viele Fernseher? Jeder, der sich zuletzt mal einen Fernseher zugelegt hat, kennt das: Die Features auf einem Samsung-Gerät sehen anders aus als bei einem Sony oder Panasonic.
Was das betrifft, gibt es unter den Herstellern eine regelrechte Balkanisierung. Andere Strukturen, andere Systeme. Und selten steht ein Fernseher länger als fünf, sechs Jahre im Wohnzimmer. Dann kommt die nächste Smart-TV-Generation, samt dazu passender Streaming-App.
Smartphones machen, so Kohn, weniger Probleme. Android und iOS seien aus Entwicklersicht leichter zu pflegen. Gar nicht mehr pflegen muss man ein Gerät auf dem Boden dieses „Farm“-Labors, wie aus einer anderen Zeit, noch mit Bildröhre. Tim Kohn lacht, darauf dürfte keine Streamingserie mehr laufen. „Wir haben die TV-Geräte der Zukunft im Auge, stehen auch im ständigen Austausch mit den Herstellern, was da hard- und softwaretechnisch noch auf uns zukommt.“
Content is King? Vielleicht. „Aber vergessen Sie die Ingenieure nicht.“ Aus einem Versandhandel, dem E-Commerce-Riesen, ist längst auch ein Medienunternehmen geworden. Amazon-Prime-Video-Serien laufen in über 200 Ländern. Damit kann ein herkömmlicher Sender/Broadcaster nicht mithalten. Das ist Chance und Risiko zugleich.
Es sei eben die Arbeit hinter den Bildern, sagt Jay Marine, die der Kunde nicht sieht, das Vermindern der Pufferung, das Vermeiden von Komplexität, Friktionen, Unterbrechungen. Das betrifft nicht nur alte Geräte, Stichwort Updates, neue Features werden x-mal getestet, bevor sie auf den Markt kommen. Vom neuesten Smart TV bis zur 15 Jahre alten Set-Top-Box oder Spielkonsole, aufgerufen in London, Berlin oder Mumbai.
Ein Geheimnis wird bei diesem Ortstermin im European Headquarter dann auch noch gelüftet. Es gibt sie tatsächlich, sagt Tim Kohn, die sogenannten „Golden Eyes“: Probe-Seher, die ganz genau auf Farben, Pixel, Körnigkeit etc. achten, mehr wahrnehmen als der Durchschnittsgucker. Ist der Schatten auf dem Kleid von Serienstar Mrs. Meisel auf einem TV-Gerät farblich nicht perfekt, wird hier, in London-Shoreditch, an Software und Daten nachgebessert.
Den ganzen Tag Serien schauen. Wie viele „Golden Eyes“ das sind, wo die sitzen und ob man sich für den Job bewerben kann, das verrät Amazon nicht.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität