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Bloß keine „fehlende Mentalität“. Thomas Broich, 40, spielte für Borussia Mönchengladbach, 1. FC Köln und Nürnberg, von 2010 bis 2017 beim australischen Erstligisten Brisbane Roar, dokumentiert auch in dem Kinofilm „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“. Seit 2018 ist er Taktik-Experte bei der „Sportschau“ im Ersten, für die Fußball-EM als Co-Kommentator im Einsatz. Zuerst beim Spiel Österreich gegen Nordmazedonien am 13. Juni.
© WDR/Lena Heckl

Interview mit ARD-Experte Thomas Broich: „Alleine ist schwer“

Fernseh-Experte Thomas Broich über Scheitern als Fußballer, Empathie mit Sammer, Hass-Mails, EM-Favoriten und Bücher im Entmüdungsbecken.

Herr Broich, haben Sie Lampenfieber vor dem EM-Start?

Noch nicht. Das Kribbeln kommt, wenn es zu meinem ersten Spiel geht, Österreich gegen Nordmazedonien am 13. Juni. Das ist eine leichte Nervosität wie als Fußballprofi damals.

Eine europaweit ausgetragene EM ist nicht ungefährlich in Corona-Zeiten. Wo sind Sie als TV-Experte „stationiert“?

Es gibt ein starkes Sicherheitskonzept. Ich bin diesmal auch kein Experte, sondern Co-Kommentator, begleite mit Reportern wie Tom Bartels das Spiel.

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Keine Solo-Reporter-Show. Das kann der Qualität nicht schaden.

Im US-Sport ist diese Rollenverteilung längst etabliert: ein „Play-by-Play-Mann“, der das Geschehen beschreibt, und ein „Color Commentator“, meist ein Ex-Spieler, der Hintergründe liefert. Mir macht das unheimlich Spaß, dem Kollegen Sandro Wagner bei Dazn zuzuhören, wie beim Champions-League-Finale. Als Nebenmann kann ich mich während des Spiels, in der Situation, viel mehr einbringen.

Geht es dafür vor der EM mit Tom Bartels ins Trainingscamp?

Nein (lacht). Zur Vorbereitung durchkämme ich sämtliche Medien, schaue mir Länderspiele und Highlights an, bei transfermarkt.de vorbei. Wer kickt wo? Was hat der Spieler für einen Marktwert? Wer ist gerade heiß international?

Was soll das eigentlich für ein EM-Feeling werden? Viele nerven die leeren Stadien.

Es wird ja auch Zuschauer geben. Das mit der fehlenden Atmo ist nicht ungewohnt für mich. Ich habe beim Scouting am Bildschirm öfters den Ton ausgemacht, um pur zu sehen, was auf dem Platz passiert, rein analytisch.

Das passt. Viele Fußballfans stellen den Ton bei Live-Übertragungen ab, weil Sie das Gequatsche nervt. Und schwärmen von Zeiten mit Delling und Netzer.

Ich mochte den Netzer sehr. Wortgewandt, sehr coole Art, den Leuten Fußball näher zu bringen. Ich hätte mir nie träumen lassen, einen ähnlichen Job im Fernsehen machen zu dürfen.

In Ihrer lässigen Art sind Sie Günter Netzer nicht unähnlich.

Ich habe mich stark von Matthias Sammer inspirieren lassen. Die Kombination Jan Henkel und Sammer auf Eurosport war bahnbrechend. Wieviel Zeit die sich genommen haben, der Vorlauf, mit Taktiktafeln, Scouting-Feeds. Auch die Art, wie Sammer über Fußball gesprochen hat, der Sachverstand, die Leidenschaft, immer auch mit Empathie, Respekt vor den Spielern. Nie von oben herab.

Apropos Kombination. Sie standen im Ersten lange mit Matthias Opdenhövel vor der Kamera. Der geht jetzt zu ProSieben. Werden Sie ihn vermissen?.

Ich habe das sehr genossen mit Opdi, immer locker, erfrischend, top vorbereitet. Es war seine persönliche Entscheidung zu gehen.

Ihr Weg dahin war weit, siehe den Kino-Film „Tom meets Zizou – kein Sommermärchen“ von 2011 über ihre Profikarriere, wo Sie Aljoscha Pause acht Jahre mit der Kamera begleitet hat. Das hat fast was Legendenhaftes, Romantisches.

Das sagen Sie.

Der tragische Held mit großen Erwartungen. Gladbach, Köln, Nationalteam, das Spielerglück in Australien. Der Eindruck: Sie alleine mit Buch im Entmüdungsbecken oder auf dem Hotelzimmer statt an der Spiel-Konsole. Typ einsamer Wolf.

Ich muss gestehen, dass das bei mir oft auch eine Attitüde war. Ich habe Leute provoziert, mich angreifbar gemacht. Das hat mich isoliert, zum Scheitern als Profifußballer geführt. Ich möchte in meinem Leben aber nicht mehr anders sein, sondern das Gemeinsame mit Anderen vorne an stellen, die unbändige Leidenschaft für Fußball.

Was haben Sie denn da im Entmüdungsbecken gelesen? Hesse? Salinger? Sartre?

Alles mögliche. Hesse war bestimmt dabei, auch ein Spanisch-Vokabelbuch oder Bücher zum Thema Musizieren. Heute muss ich selber drüber lachen.

Sie wirken auf mich eher scheu, zurückhaltend, sehr selbstkritisch. Als ob Sie gar nicht so gern in der Öffentlichkeit stehen.

Finden Sie? (überlegt) Es ist tatsächlich etwas paradox. Manchmal würde ich gerne gänzlich hinter den Inhalten zurücktreten. Ansonsten möchte in jeder Situation so authentisch sein wie möglich.

Ihr Metier scheinen vor allem die Taktik-Videos in der „Sportschau“ zu sein, die Sie mit Jerome Polenz abliefern. Fußballfans staunen, was sie über Fußball noch nicht wussten.

Wir wollten die Komplexität, die Grundprinzipien des Fußballs vermitteln. Warum funktionierte etwas? Warum war Bayern gut oder Schalke 2020/21 schlecht? Ohne Polemik und möglichst zeitgemäß in seiner Darreichungsform als eine Art Fußball -Tutorial.

Wollten? Sie sprechen im Präteritum. Müssen wir darauf bald verzichten?

Das kann ich noch nicht sagen. Wir entscheiden das gemeinsam mit der ARD von Saison zu Saison. Es war sehr viel los bei mir zuletzt. Die Analysen, Firma gegründet, Experte im Ersten, Trainerlizenzen, Auftritte bei Veranstaltungen, Fulltime-Jugendtrainer bei Eintracht Frankfurt. Ich muss mich nach der EM sortieren, schauen, wohin die Reise gehen soll.

Diese Tendenz hat aber nichts mit einer Fehl-Prognose zu tun….

Nein. Aber es stimmt, ich hatte drei Überraschungsmannschaften voraus gesehen: Augsburg, Mainz und Hertha. Alle haben gegen den Abstieg gespielt.

Bekommen Sie auf so was Feedback: Lob, Hass-Mails von Fans?

Gott sei dank nicht. Ich bin auch nicht präsent in den Sozialen Medien, habe da kein dickes Fell. Wenn von zehn Kommentare neun nett sind, denke ich drei Tage über den einen ätzenden Kommentar nach. Da schütze ich mich selbst.

TV-Experten werden von uns Medienkritikern öfters als „Dampfplauderer“ abgetan. Schützen Sie sich da auch?

Ich versuche das außen vor zu halten, bekomme Wichtiges nur durch mein Umfeld mit. Was kann ich mit den meisten Kommentaren anfangen? Wenn jemand sagt, der Broich ist ein Dampfplauderer, hilft mir das ja in keiner Weise weiter.

Ich habe mal „bester TV-Co-Kommentator“ gegoogelt, ein Ranking bei der „Sportbild“. Raten Sie das Ergebnis.

Keine Ahnung.

Thomas Broich vor zwei Dazn-Kollegen, Ralph Gunesch und Per Mertesacker und Steffen Freund von RTL.

Aha (lacht).

Vielleicht liegt’s auch am Gebrauch von Wörtern und Stanzen, die wir von TV-Experten und Reportern nicht hören wollen.

Ich versuche, allzu vage Begriffe zu meiden. So was wie „fehlende Mentalität“.

Wie ist die Mentalität unter Experten? Schweinsteiger, Broich, Matthäus, tauscht man sich da aus? Gibt es Konkurrenz?

Wir arbeiten oft auf verschiedenen Baustellen. Man trifft sich eher selten.

Oder jetzt, beim Turnier. Sie als Experte müssen’s wissen: Wer wird Europameister?

Über meine Tippfähigkeiten haben wir doch gerade gesprochen, siehe Hertha…

Deutschland?

Nicht ausgeschlossen. Wer unsere Gruppe mit Frankreich und Portugal überlebt, ist EM-Favorit. Titelverteidiger Portugal ist viel stärker als vor fünf Jahren.

Damit es wieder deutsche Sommermärchen gibt: Wenn Sie nach der EM verstärkt als Trainer arbeiten sollten und einen Burschen haben, der Sie an den jungen Thomas Broich erinnert. Was würden Sie dem hinter die Ohren schreiben?

Dass er sein Ziel, erfolgreich und glücklich zu sein, im Leben eher erreicht, wenn er es gemeinsam mit Anderen macht. Alleine ist schwer.

Das Gespräch führte Markus Ehrenberg

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