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Ground Control Box - Reale Geschehen sieht auf dem Monitor aus wie ein Videospiel.
© ZDF und Johann Feindt

3sat-Doku über "Krieg und Spiele": Algorithmen des Tötens

Eine 3sat-Dokumentation zeigt, wie sich das Militär vom Entertainment-Sektor inspirieren lässt

In der DDR war Dietrich Oepke Modellflugmeister. Nun präsentiert der betagte Tüftler eine selbstgebaute Drohne, die, ausgerüstet mit einer anachronistisch anmutenden Digitalkamera älterer Bauart, sein Wohnviertel von oben ablichtet. Das Lächeln über den Hobby-Bastler vergeht einem schnell. Denn gerade der verspielte Zugang zu diesem fliegenden Auge bildet den Schlüssel zu einer neuen Dimension der Überwachungstechnologie, die das Gesicht kriegerischer Auseinandersetzungen grundlegend verändert.

"Krieg und Spiele" hat Karin Jurschick ihren Dokumentarfilm genannt, und dieser Titel ist programmatisch. Früher, so ihre These, hat sich die Unterhaltungsindustrie vom Krieg inspirieren lassen. Doch inzwischen bezieht das Militär immer mehr Ideen aus dem Entertainment-Sektor. Nein, das ist keine postmoderne Gedankenakrobatik à la Friedrich Kittler. Neben Militärtechnikern, Sozialwissenschaftlern und Ethikprofessoren spricht die Filmemacherin auch mit Dave Anthony. Der Spieledesigner berichtet, wie er in Washington verblüfften Spezialisten der Terrorabwehr erklären musste, warum sein Egoshooter-Welterfolg "Call of Duty" so realistisch anmutet.
Wird Krieg effektiver, wenn man ihn wie im Videospiel führt?

Dieses Szenario betrachtet der Film auch aus der entgegengesetzten Perspektive. Ein Offizier der israelischen Luftwaffe präsentiert Bilder, die mit Überwachungsdrohnen aufgezeichnet wurden. Auf dem Schirm ist schemenhaft ein Mann zu erkennen, der sich als israelischer Soldat getarnt hat. Als er eine Sprengfalle postieren will, entlarvt das unsichtbare Kameraauge der Drohne ihn als Hamas-Terroristen. Dieses reale Geschehen, ein Teil der "Operation Gegossenes Blei" aus dem Jahr 2008, sieht auf dem Überwachungsmonitor aus wie ein Videospiel. Wie in "Call of Duty" kämpft der israelische Offizier mit dem Joystick. Der Terrorist auf seinem Schirm besteht aber nicht aus Pixeln, sondern aus Fleisch und Blut.

Krieg und Spiel, Mensch und Maschine durchdringen einander. Während man hierzulande noch über selbstfahrende Autos debattiert, werden in den USA bereits Kriegsroboter nach dem Vorbild von Tieren gebaut, die autonom töten. Der Film zeigt Killermaschinen wie aus einem Arnold-Schwarzenegger-Film. Der moderne "Terminator" steuert sich selbst: er hat einen "ethischen Regulator". Mit Isaac Asimovs nostalgischen Roboter-Gesetzen aus den 1940er Jahren hat dieser "Sensor für Schuld" allerdings nichts zu tun. Maschinen von heute errechnen in Sekundenbruchteilen den Mittelwert aus militärischer Notwendigkeit, den bezifferten Verlusten an eigenen Soldaten, Kollateralschäden und zivilem Sachschaden.

Militärische Einsätze werden so zur "chirurgisch" präzisen Operation, durchgeführt nach versicherungsmathematischem Kalkül. Krieg im herkömmlichen Sinn verschwindet. Doch dadurch entsteht kein Frieden. Im Gegenteil. Krieg wird allgegenwärtig. Denn auf militärische High-Tech-Aufrüstung reagiert Terrorismus von heute mit archaischen Mitteln. Die Bedrohung durch Anschläge wird unkalkulierbar, weil sie aus der Tiefe des sozialen Raums kommt.

Diese Spirale der Gewalt führt der Film mit beunruhigender Konsequenz vor Augen. Karin Jurschick, für "Die Helfer und die Frauen" mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet, schlägt einen weitern Bogen von der Drohnentechnologie über spielerisch anmutende Waffensysteme bis hin zur Robotik und selbst lernenden Algorithmen des Tötens. Dabei geht es nicht nur um eine Leistungsschau aktueller Kriegstechnik. Mit literarisch anmutenden Kommentaren strukturiert die Regisseurin ihr faszinierendes Mosaik der Bilder zu einem poetischen Essay über Maschinen und Menschen, künstliche Intelligenz und natürliche Verschlagenheit.

"Krieg und Spiel", Montag, 3sat, 22 Uhr 35

Manfred Riepe

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