Marcel Reifs letzter Spieltag bei Sky: Abpfiff für den Sportreporter
Genug Routine: Heute beim Champions-League-Finale nimmt Marcel Reif bei Sky seinen Abschied. Kaum ein Fußball-Kommentator ist so umstritten.
Es gibt eine Anekdote über Marcel Reif, die sein Freund Günther Jauch zum Besten gab, vor Jahren bei der Verleihung des Mira-Awards, der für herausragende Leistungen im Pay-TV vergeben wird. Reif erhielt den Award für sein Lebenswerk. Jahrzehntelang ist Reif ja als Fußball-Reporter in die Stadien Europas und der Welt geflogen, für ZDF, RTL, Premiere/Sky. Wenn es da zum Beispiel mal nach Orten wie Dnipropetrowsk in der Ukraine ging, hieß es bei Reif sinngemäß: Ach, da könne man doch auch am Spieltag hinfliegen. Das reicht, ich bin gut vorbereitet. Wenn das Spiel allerdings in Mailand stattfand, durfte es mit der Anreise auch schon mal einen Tag früher sein.
Jauch darf so etwas erzählen. Er ist mit Reif befreundet. Der Moderator sagte auch: „Marcel Reifs Kommentar ist die akustische, die rhetorische Meisterleistung, die selbst einen durchschnittlichen Kick in ein sportjournalistisches Gesamtkunstwerk zu verwandeln vermag“.
Marcel Reif. Sportreporter. Künstler. Geliebt, gehasst, Geehrt, bepöbelt. Viele solcher Geschichten, Anekdoten wie die von Jauch erzählte werden vermutlich nicht mehr zu hören sein. Wenn am Samstag (20 Uhr 45, ZDF und Sky) Real Madrid und Atlético Madrid im Finale der Champions League aufeinandertreffen, ist das die Abschiedsvorstellung von Marcel Reif. Deutschlands bekanntester Fernsehreporter geht beim Pay-TV-Sender Sky in Rente, nach 17 Jahren als „Chef-Kommentator“ (ein singulärer Titel, den es so bei Sky wohl nicht wieder geben wird), beim ZDF hat er zuvor 22 Jahre gearbeitet, fünf Jahre bei RTL.
Um obige Anekdoten, um das Phänomen Marcel Reif besser zu verstehen, braucht es auch einen Blick in seine Biografie. Eigentlich sah es nicht nach einer Karriere als Sportreporter aus. Reif begann ein Studium der Publizistik, Politologie und Amerikanistik, das er ohne Abschluss aufgab. Stattdessen wurde er, nachdem er als freier Mitarbeiter in der politischen Redaktion des ZDF gearbeitet hatte, „heute“-Reporter. 1981 bis 1983 war er im Londoner ZDF-Büro tätig und wechselte, nachdem sein Ziel, Korrespondent zu werden, gescheitert war, 1984 ins Sport-Ressort.
„Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan.“
Im Grunde ist Marcel Reif ein ferner Verwandter jenes Sportreporters Frank Bascombe aus den Romanen Richard Fords: ein ehemaliger Schriftsteller, der immer eine Spur zu reflexhaft, zu intellektuell für den Job zu sein schien. „Mister Sportstudio“, ZDF-Mann Dieter Kürten, soll damals zu Reif gesagt haben: „Mehr als 50 Prozent der Zuschauer, der Fußball-Fans, werden dich sowieso nicht mögen. Mach’ es einfach.“
Vielleicht ist das das Geheimnis der Karriere von Marcel Reif: Sich nie um das geschert zu haben, was andere erwarten. Reif ist einer der populärsten, aber auch einer der umstrittensten Kommentatoren. Bis Ende 2013 schrieb er wöchentlich eine Bundesliga-Kolumne für den Tagesspiegel am Sonntag. Unvergessen populär aus der RTL–Zeit: der „Torfall von Madrid“.
1998 kommentierte Reif mit Günther Jauch eine Dortmunder Partie in der spanischen Hauptstadt. Dort war ein Tor umgefallen, einfach so. Ein neues musste geholt werden. Es passierte - nichts. In der 75-minütigen Wartezeit sagte Reif Sätze wie: „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan.“ Für solche und andere Kommentare wurde er mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
Jedermanns Liebling ist Reif auch mit den Preisen nie geworden. Seine Ironie ist gewöhnungsbedürftig. Auf Youtube liest Reif Hass-Mails vor, die ihn erreichten. Vor allem viele Anhänger von Borussia Dortmund mögen den Kommentator nicht. Wobei manches auch auf Missverständnissen beruht. Die ewige Frage, ob Reif Anhänger von Borussia Dortmund (wie Bayern-Fans glauben) oder von Bayern München (wie Dortmund-Fans glauben) ist, stellt sich nicht. Wenn Marcel Reif mal ein Spiel der einen oder anderen allzu kritisch kommentierte, dann deswegen, weil er vom Gesehenen persönlich beleidigt war, im Sinne der höheren Fußballkunst.
BVB-Anhänger sorgten trotzdem für die beiden unangenehmsten Momente in Reifs Karriere. Im Februar 2015 nahmen Fans des Bundesligisten den Reporter ins Visier. Nach einer Attacke mit Bierbecherwurf und bösen Drohungen in Dresden kritisierte Reif „eine neue Qualität. So einen Hass habe ich noch nicht gesehen.“ Schlimmer als die geworfenen Becher seien die verbalen Attacken gewesen. Wenige Tage zuvor war er bereits beim Revier-Derby bedroht worden. Stadionbesucher hatten an seinem Auto, in dem auch seine Frau saß, gerüttelt und auf das Dach geschlagen.
Mit seiner Entscheidung, bei Sky aufzuhören, habe dieser Ärger „ nichts zu tun“, sagte Reif. Er habe gemerkt, dass er „die Routine, das Murmeltier nicht mehr brauche. Es fehlte zuletzt auch an der notwendigen Spannung, jedes Wochenende eine Bundesligapartie zu kommentieren.“ Und nun? Was ist, wenn einer der globalen Medien-Player wie Amazon oder Discovery teure Bundesliga-Rechte kauft und bei Marcel Reif anfragt? Dann sagt der doch bestimmt nicht nein. Reif sagt: „Die Option, nichts zu machen, ist da.“ Mancher Fußballfan wird sich freuen, mancher wird es bedauern.