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Plakate statt TV? Parteien wie die AfD und die Basis werden vom Fernsehen deutlich weniger bemerkt als CDU, SPD oder die Grünen. Ist das ungerecht?
© imago images/MiS

Wahl 2021 im Fernsehen: 53 Parteien - und doch nur ein Dreikampf

Nicht nur das Fernsehen konzentriert sich auf das Spitzentrio Baerbock/Laschet/Scholz. Aber ist das nur ungerecht, sondern auch das Glück von AfD und FDP?

Wissen Sie, wie viele Parteien zur Bundestagswahlwahl am 26. September antreten? Ich hätte es nicht gewusst, musste recherchieren und weiß jetzt, dass es sage und schreibe 53 Parteien sind, die um meine Stimmen werden. Erst einmal bin ich als Wahlbürger natürlich selber schuld, wenn ich keinen Überblick habe, wer Volt oder Jürgen Todenhöfer sind und was sie bewirken wollen. Aber nur meine Schuld ist es auch nicht. Die Medien, die den vielleicht spannendsten Wahlkampf seit Jahren und Jahrzehnten covern, reduzieren den 53er-Wahlkampf auf einen Dreikampf. Klar, Annalena Baerbock (Die Grünen), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bewerben sich um das wichtigste politische Amt in Deutschland, und nach den Prognose-Zahlen wird die nächste Kanzlerin/der nächste Kanzler nur von einer der drei Parteien gestellt werden. Und dieser Dreikampf ist vom Kopf-an-Kopf-Rennen geprägt. Aktuell hat Scholz die Nase vorn, aber haben die Grünen nicht schon mal das Feld angeführt, war Bundeskanzler Laschet nicht längst ausgemachte Sache? Das Duell der vergangenen Wahlen ist zum Triell 2021 geworden, es geht um die Nachfolge von Angela Merkel. weder die Bewerberin Baerbock noch die Mitbewerber Laschet und Scholz besitzen Amtsbonus.

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Das Mehrköpfige der Entscheidung, der offene Ausgang befeuert das wohl noch immer wichtigste Alltagsmedium in diesem Land - das Fernsehen. Das Triell gibt es also drei Mal - RTL, ARD/ZDF, ProSieben -, RTL bittet das Trio zum Townhall-Meeting "Am Tisch mit...", das ZDF fordert "Klartext, Frau/Herr...", die ARD öffnet die "Wahlarena". Ist es da nicht wahrscheinlich, ja menschlich, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer noch vor dem 26. September aufstöhnen und sich in die Baerbock-Scholz-Laschet-freie Fernsehzone flüchten werden?

50 Parteien unter "Ferner liefen"

Und vielleicht von der Frage geplagt sind, ob diese Fokussierung nicht der Ungerechtigkeit einhergeht, dass die 50 anderen Parteien nur in der Kategorie "Ferner liefen" einsortiert werden? Wo bleiben AfD, immerhin größte Oppositionspartei im Bundestag, wo die FDP, deren Stimmenanteil nach der Wahl deutlich angewachsen sein wird? Diese Sorge um televisionäre Chancengleichheit richtet sich zuerst an die öffentlich-rechtlichen Sender. ARD und ZDF müssen stets den Blick weiten, im Sinne einer Ausgewogenheit=Chancengleichheit können nicht nur Baerbock/Scholz/Laschet in Mann- und Fraucdeckung genommen werden, es braucht das ganze Fernsehbild. Das Erste versucht es am 13. September, wenn "Der Vierkampf nach dem TV-Triell" mit AfD, CSU, FDP und Linken anhebt. Nichts anderes unternimmt das ZDF an diesem Abend mit dem "Schlagabtausch". Später an diesem Montagabend ist die ARD unterwegs zu den kleinen Parteien, zu den frommen Christen, Marxisten, Rentnern, Tierschützern und Neonationalen. Das ZDF wiederum lädt am 23. September Vertreterinnen und Vertreter aller Bundestags-Parteien zum Gespräch.

Expertise des Bundestages

Für diese Berichts- und Einladungspraxis verweist das ZDF auf den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. In der Pressemappe zur Bundestagswahl heißt es mit Blick auf dessen Expertise: "Die Faustregel lautet: Ist eine Partei bislang nicht im Parlament vertreten und schafft nach aktuellen Wahlumfragen auch nicht die Fünf-Prozent-Hürde, ist es zulässig, dass diese Partei auch bei Medienbeiträgen wie beispielsweise Interviewrunden zur Wahl nicht mit einem Vertreter repräsentiert ist."

Für die Wahlprogramme der Fernsehsender und anderer Medien bedeutet das, dass das diverse Deutschland der Parteien, Gruppierungen und Interessensgruppen kaum oder nur in groben Konturen sichtbar wird. Dieses Land ist bunter denn je, sein Fernsehbild ist es nicht.

Fernsehpräsenz bedeutet nicht Wahlerfolg

Also alles nur ungerecht? Es muss mindestens die Anmerkung erlaubt sein, dass massive Fernsehpräsenz nicht mit massivem Wahlerfolg gleichzusetzen ist. Die volatilen Umfragewerte für Baerbock und Laschet haben definitiv auch ihre Ursache darin, dass die Medien die Bewerberin und den Bewerber wie unter einem Mikroskop beobachten und jeden (vermeintlichen) Fehler aufpumpen. Allen voran sind das Fernsehen wie auch die sozialen Medien in der Lage, in der Mücke einen Elefanten zu erkennen. Nicht derart im Zentrum der Beobachtung zu stehen, kann auch in erregbaren Zeiten von großem Vorteil sein.

Siehe Christian Lindner. Es war doch eine Sensation, dass sich der FDP-Chef nicht zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hat, er hätte aus dem Drei- einen Vierkampf machen können. Hat er nicht. Lindner fliegt leicht unter dem Radar und an den Umfragewerten für die Liberalen lässt gut sich erkennen, dass ihm die Ungleichbehandlung mit Baerbock & Co. gut bekommt. Auch im Wahlkampf der Liberalen wird es Schwächen bis hin zu Peinlichkeiten geben - war aber bemerkt es, wen interessierte es? Wenn die Kameras mal nicht auf Laschet geschaut hätten, wäre der lachende CDU-Kandidat im Angesicht der Flutktatastrophe vielleicht unentdeckt geblieben. Der dauerpräsente Laschet muss den dauerpräsenten Laschet im Zaum halten.

Duell der Verlierer

Die großen Medien-Player werden keine Mühe haben, die Spitzenkandidaten ins Studio zu bekommen. Auch das gibt dem TV-Wahlkampf sein Gewicht, ja, sein Ungleichgewicht. Aber es gehört zu den Besonderheiten dieses Urnengangs, dass sich schon im Vorfeld Gewinner und Verlierer herauskristallisiert haben. Zu letzterer Gruppe dürften die SPD-Doppelspitze Saskia Eskens/Norbert Walter-Borjans, Robert Habeck von den Grünen und CSU-Chef Markus Söder gehören. Gerade die geschundenen Seelen Habeck und Söder sind für die Medien interessant. Bleiben sie loyal, hat Söder nicht doch mal seine Überzeugung raus, dass er der bessere Unionskandidat sei? Am Samstag führen Habeck und Söder auf Einladung von "Spiegel", "Vice" und t-online "Die einzig wahre Wahlkampfdebatte". Und am Sonntag folgt das erste wahre Triell bei RTL.

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