"Tatort" versagt auf der Leinwand: 280 000 Kinobesucher: Der Tschiller-Schweiger-Flopp
Weniger Besucher hatte noch kein Film von Til Schweiger im Kino als "Tschiller: Off Duty". Eine Suche nach den Gründen
Von 12,6 Millionen auf 280 000 – was ist das? Ein grandioser Absturz oder eine unfaire Betrachtung? Die erste Zahl steht für den ersten „Tatort“ mit Til Schweiger in der ARD. Das war 2013, „Willkommen in Hamburg“ der programmatische Titel. 280 000 steht für den fünften Nick-Tschiller-Einsatz, seit dem 4. Februar in den deutschen Kinos. „Tschiller: Off Duty“ hält aktuell Platz 17 in den Leinwand-Charts 2016.
Geplant war anderes: Die bisherigen vier Schweiger-„Tatorte“ sollten den Boden bereiten für das absolut große Finale. LKA-Mann Nick Tschiller im Kampf, im Duell mit dem Clan-Fürsten Firat Astan. Der hatte in Teil vier, im „Fegefeuer“ Tschillers Ex-Frau getötet, jetzt sinnt Tochter Lenny auf Rache, es kommt, wie es kommen muss: Nick Tschiller muss die Tochter retten und Firat Astan ausschalten. 140 Minuten, FSK-Freigabe erst ab 16, Action pur in Istanbul und Moskau, Hamburg und Berlin. Pardon wird nicht gegeben.
Also: Til Schweiger, Nick Tschiller, „Tatort“, was kann da schiefgehen? Die zwei „Tatorte“, die bislang ins Kino gekommen sind, die haben funktioniert. Götz George alias Horst Schimanski holte mit „Zahn um Zahn“ 2,7 Millionen Zuschauer an die Kasse, „Zabou“ zwei Jahre später immerhin noch 1,5 Millionen.
Schweiger-Fans folgen ihrem Idol nicht
Die Schweiger-Tschiller-„Tatort“-Formel aber ging nicht auf, das Kinopublikum hat getan, was es noch nie getan hat: Die Schweiger-Fans sind ihrem Idol nicht gefolgt. Tatsächlich gibt es keine kassenträchtigere Kombi aus Schauspieler/Regisseur/Autor: „Keinohrhasen“ 6,3 Millionen Besucher, „Der bewegte Mann“ 6,6 Millionen, „Honig im Kopf“ 6,6 Millionen – und damit ist die Erfolgsliste noch nicht am Ende. Der erste Erklärungsversuch kann darin schon begründet liegen. Die größten und allergrößten Schweiger-Erfolge sind Komödien, wie überhaupt dieses Genre von knalllustig bis tragikomisch – siehe „Der geilste Tag“ – den Kinoerfolge Made in Germany prägen. Vielleicht wollen die Leinwand-Afficionados nicht, was sie als Fernsehfreaks unbedingt wollen: Krimi, Thriller, Action. Reicht das als Erklärung? Der Hacker-Thriller „Who Am I – Kein System ist sicher“, gedreht 2014 mit Tom Schilling und Elyas M’Barek, erreichte Platz eins in den Kinocharts, der Action-Kracher „Schutzengel“ um einen Afghanistan-Heimkehrer mit Til Schweiger als Hauptdarsteller/Regisseur/Autor/Produzent lockte 2012 knapp 712 000 Kinobesucher und kam damit auf Rang sieben der deutschen Jahrgangs-Filme. In „Tschiller: Off Duty“ steckt die Pumpgun-Dramaturgie der vorauslaufenden vier Teile. Aus der Quadrophonie wird endgültig eine Kakophonie. Vier Varianten waren schon zwei zu viel in der ARD, die fünfte gegen Eintrittsgeld roch nach Kassemachen. Wollen Millionen dafür zahlen, was sie sich 2018 auf jeden Fall im Fernsehen zuführen können? Kinoeintritt und Rundfunkbeitrag – und jedes Mal für Nick Tschiller?
"Was ist der Sinn der Sache?", fragt "Tatort"-Darsteller Nemec
Ob erfahrenere „Tatort-Akteure“ besser wissen, was mit dem Format im Kino geht? Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, am kommenden Wochenende mit 25-jährigem Dienstjubiläum in München, schütteln nur den Kopf. „Wer soll wegen uns ins Kino gehen?“, sagte Wachtveitl (Kommissar Franz Leitmayr. Sein Kollege Nemec (Kommissar Ivo Batic) stimmte ihm zu: „Wozu? Warum? Was ist der Sinn der Sache? Wenn bei uns zehn Millionen zuschauen, dann sind das mehr, als ins Kino gehen würden.“ Die gegenteilige Rechnung hatten nicht allein Til Schweiger (und seine Produktionsfirma Barefoot Films), sein Regisseur Christian Alvart (und dessen Produktionsfirma Syrreal Entertainment) und Autor Christoph Darnstädt aufgemacht. Auch die Förderanstalten waren sich des Kassenerfolgs sicher. Die Filmförderungsanstalt war mit 756 000 Euro dabei, das Medienboard Berlin-Brandenburg engagierte sich mit 800 000 Euro, die Filmförderung Hamburg steuerte 200 000 Euro zum Acht-Millionen-Budget bei. Der Norddeutsche Rundfunk co-produzierte den Film und übernahm etwa mehr als ein Fünftel der Kosten. Diese Engagements geschahen nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus Berechnung: Das Geld kommt an der Kinokasse wieder rein, Filmförderung ist das, was sich im Subventions-Wunderland Deutschland immer lohnt.
Medienboard hat 800 000 Euro in den Kinofilm gesteckt
Wird es nicht. Das Medienboard Berlin-Brandenburg gibt sich tapfer: „Wir gehen derzeit nicht von einer 0-Meldung aus“, sagte eine Sprecherin. Die Hoffnung rekurriert darauf, dass das Förderdarlehen aus allen Auswertungserlösen getilgt werde, also Kinokasse, Video, Pay-TV und Auslandserlöse. Gerade an der internationalen Auswertung sei „das Interesse groß“. Ein weiteres Argument wird gegen die reale Gefahr, dass hier 800 000 Euro Steuergelder im Wortsinne verballert wurden, in Anschlag gebracht. Im Wesentlichen handele es sich beim Förderbetrag „um zurückgezahlte Förderdarlehen anderer Filme der Anstragstellerin“; das war die Syrreal Entertainment von Regisseur und Schweiger-Intimus Alvart. Auf Deutsch: Die sich ankündigende „Tschiller: Off Duty“-Pleite ist durch vorausgehende Erfolge gedeckt. Minus und Plus macht hier immer noch Plus. Warum ein Misserfolg an der Kinokasse? „Sicher scheint, dass das Publikum durch die schrecklichen Attentate in Paris sehr zurückhaltend gegenüber diesem Thema war“, gab die Medienboard-Sprecherin zur Begründung frei. Zu den Ursachen sind im Betroffenenkreis keine hinreichenden Aussagen zu bekommen. Der NDR sieht sich nicht als den „richtigen Ansprechpartner“ und verweist auf den Verleiher Warner Brothers, die, Syrreal-Produzent Sigi Kamml sieht „sehr viele Faktoren. Daher wäre eine einzelne Ursache zu nennen, reine Spekulation, die wir hier nicht betreiben möchten.“ Keine Spekulation ist: „Barefoot Films und Syrreal Entertainment als Produzenten des Films hätten sich mehr Zuschauer gewünscht. Das ist in Anbetracht des finanziellen und zeitlichen Aufwandes, die eine solche Produktion mit sich bringt, sicher verständlich.“
NDR schweigt zur Zukunft der Tschiller-"Tatorte"
Was nun folgt aus der Besucherresonanz für die nächsten Tschiller-„Tatorte“ im Ersten? Der NDR gibt sich bedeckt. „Zunächst einmal“, sagte Sprecher Ralf Pleßmann dem Tagesspiegel, „senden wir den ,Tatort: Tschiller: Off Duty’ im Ersten“, Anfang 2018. Mit der freilich schönen Gewissheit, dass der öffentlich-rechtliche Sender einen Krimi zeigen kann, dessen „Produktionswert um einiges höher ist als unsere Beteiligung daran“. Der NDR-Sprecher dementierte, dass das teure Tschiller-Engagement die Produktion anderer Fiktion beeinflussen würde. In der Produzentenbranche hält sich die Behauptung, dass der NDR sich nicht nur bei der Anzahl der „Polizeirufe 110“ aus Rostock mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner zurückhalten muss. Schweiger und Tschiller haben ihren Preis. Produzent Siggi Kamml: „Es bleibt also spannend, wie es mit Nick Tschiller weitergeht.“
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