Besuch beim besten Rezeptionisten der Welt: Max Vetter steht immer auf Empfang
Ein Rasenstück für den Hund aufs Zimmer? Kein Problem. Max Vetter kümmert sich. Im Baur au Lac erfüllt er die Gästewünsche. Ein Ortstermin in Zürich.
Wenn Max Vetter die Welt begrüßt, schaltet er seine eigene ab. Das Smartphone bleibt im Spind, sobald der 27-jährige Rezeptionist Inder, Deutsche oder Araber ins Zürcher Baur au Lac eincheckt. E-Mails kommen an, Nachrichten ploppen auf – Max Vetter wird es an diesem Tag erst kurz vor Mitternacht sehen, nach knapp neun Stunden Spätschicht im Fünf-Sterne-Hotel. Andere Jobs propagieren digitale Wachsamkeit, Max Vetters erfordert analoge Aufmerksamkeit.
„Ich will den besten ersten und letzten Eindruck abgeben“, sagt er über seine Arbeit. Und davon darf kein persönliches Telefonat ablenken. Der perfekte Gastgeber zu sein, das habe er bereits als Kind gemocht, „Besucher bei uns willkommen zu heißen und sie durchs Elternhaus im Allgäu zu führen“. So gut macht er heute seinen Job, dass eine Fachjury ihn dieses Jahr aus 1200 Bewerbern zum besten Rezeptionisten der Welt gekürt hat.
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In einem Dreiteiler steht der Champion nun hinter dem eichenholzgetäfelten Tresen. Die Haare sind sauber linksgescheitelt, das Kinn hat er glattrasiert, er trägt gestreifte Hosen, schwarze Lederschuhe, weder Tattoos noch Schmuck. Hätte er keine Maske auf, würden die Gäste sein Lächeln sehen. „Willkommen im Baur au Lac!“, lautet Vetters Mantra des Erstkontakts. Danach folgen Routinefragen: „Hatten Sie eine gute Anreise? Sie haben ein Doppelzimmer für drei Nächte, korrekt? Könnten Sie mir bitte Ihre Kreditkarte geben? Keine Sorge, die Minibar ist bei uns im Preis inbegriffen.“ Diskretion auch. Ein Gast reist mit Geliebte an? Schweigen. Ein anderer möchte Drogen kaufen? „Da habe ich eine moralische Grenze.“
Als Rezeptionist ist man „auf der Bühne“, wie er sagt, aber kein Hauptdarsteller, eher ein Statist, der auf Nuancen achtet und Probleme löst, bevor sie auftreten. Braucht der Gast mehr Aufmerksamkeit als andere? Hat morgen nicht seine Frau Geburtstag? Haben wir noch frische Blumen im Garten?
Er hat diese vorauseilende Defensive bereits in Schulpraktika gelernt, als er in Hotels erste Erfahrungen sammelte. Die internationale Atmosphäre gefiel ihm, unbedingt wollte er nach dem Gymnasium „im Herzstück“ arbeiten, wie er die Rezeption nennt. In München und den Niederlanden absolvierte er eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Nahe London arbeitete er in einem Luxushotel und auf den Malediven in einem Fünf-Sterne-Resort.
Sein Job ist alte Schule
Im Frühling hat er sich gegen Mitbewerber aus der ganzen Welt durchgesetzt, digital, weil der Wettbewerb pandemiebedingt nicht anders stattfinden konnte. Vier Runden hat er absolviert, musste Beschwerden annehmen, Zimmerpreise ausrechnen und Rollenspiele meistern, danach hatte er den Titel in der Tasche. Seine Strategie: Nicht durchdrehen, die Probleme nicht an sich ranlassen, manchmal die Juroren mit Namen ansprechen.
Vetters Job ist alte Schule. Muss er jemanden erreichen, greift er zum Telefonhörer. Will er ein Problem lösen, geht er nicht auf eine Workplace-App, sondern schaut beim Restaurantleiter vorbei, ob der gewünschte Tisch gerade frei ist. Er kümmert sich um alle Interaktionen mit dem Gast im Haus: Einchecken, Zimmerservice, Rechnung. Nicht zu verwechseln mit dem Concierge, der sich um die Wünsche außer Haus bemüht. Wo gibt es das beste Restaurant, die interessanteste Galerie, den dichtesten Privatflughafen?
Was macht überhaupt einen guten Rezeptionisten aus? Frank Marrenbach, Vorsitzender der Althoff Hotelgruppe und einer der anerkannten Hoteliers Deutschlands, findet, ein Rezeptionist sollte „extrem empathisch, nerven- und improvisationsstark“ sein und „eine exzellente Allgemeinbildung“ haben – also im Grunde ein Kandidat für „Wer wird Millionär“.
Hauseigene Tankstelle
Wilhelm Luxem wäre der perfekte Telefonjoker für die Quizshow. Ein feingeistiger Deutscher mit randloser Brille, der sich für die Gemälde des 1844 gegründeten Hotels genauso begeistert wie für die hauseigene Tankstelle und das Bienenvolk im Park, von dem die Küche ihren Honig bezieht, und der seit acht Jahren Hoteldirektor des Baur au Lac ist. Er sagt, ein guter Rezeptionist brauche „eine gewisse Souveränität“.
Luxem hat Max Vetter im Februar 2020 eingestellt. Bereits in seiner Probezeit, so sagt der Direktor, sei ihm klar gewesen: Den müssen wir behalten. „Er strahlte so eine innere Ruhe aus.“ Vetter sagt beinahe dieselben Worte über sich selbst. Erklärt, dass er schnell Situationen analysiere und sich in die Launen seiner Gegenüber einfühle. „Da hatte ich ein gutes Training mit einer Psychologin als Mutter.“
Beispielsweise wenn ein Gast aus New York anreist. „Er hat zwei Flüge verpasst, ist einfach nur müde und möchte jetzt nicht noch, dass ich ihm das ganze Haus erkläre.“ Oder der Hedgefondsmanager, der zum 100. Mal eincheckt, die Formalitäten schnell erledigen will, ein ruhiges Zimmer zum Hof braucht und funktionierendes Internet, damit er sich beim Meeting in London, Paris, Hongkong zuschalten kann. Oder sagen wir, die Stühle in der Suite stehen einer Familie im Weg. Raus mit den Möbeln, bis die Gäste wieder abreisen.
Neutral bleiben wie die Schweiz
Seltsamster Wunsch in der letzten Zeit? „Einmal hat ein Gast angerufen und um ein Stück Wiese im Zimmer gebeten – für seinen Hund.“ Erste Reaktion: Richtig verstanden? Zweite Überlegung: Wie schaffen wir das? Max Vetter hat mit den Gärtnern geredet, mit dem Housekeeping, und kurz darauf wurde ein Stück Rasen aus dem Park entfernt und hoch ins Zimmer getragen. Der Hund soll sich wohlgefühlt haben.
Empathie, sagt Max Vetter, ist der Schlüssel. Verständnis zeigen für das anderswo Unverständliche. Als er noch in den Malediven arbeitete, beschwerte sich ein Gast über den Regen – und buchte noch am selben Tag einen Flug nach Dubai, wo gerade die Sonne schien. „Als ich gemerkt habe, dass es ihm ernst war, habe ich ihm natürlich geholfen, diesen Flug zu bekommen“, erzählt Vetter. Private Meinungen behält er für sich: „Da bin ich wie die Schweiz: neutral.“
First-World-Problems haben in der Luxushotellerie Tradition. Edouard Freiherr von Bourquenay, ein Diplomat unter Napoleon III., soll seinen eigenen Klosettstuhl ins Baur au Lac mitgebracht, Richard Wagner vor Hotelpublikum falsch gesungen und Kaiserin Sisi bei ihrer Diät mit Pralinen geschummelt haben. In der prachtvollen Halle unter einem gigantischen Lüster treffen sich heute Wirtschaftsbosse und Fußballmanager. Der Zimmerservice putzt natürlich Schuhe blank, und im Foyer verkauft ein kleiner Stand Zeitungen. „Monocle“-Gründer Tyler Brûlé kommt bei seinen Zürich-Aufenthalten regelmäßig daran vorbei.
Der Service muss sitzen, doch Wilhelm Luxem will keine Roboter. „Die Leute sollen Fehler machen“, lautet sein Credo, „nur dann lernen sie etwas.“ Welche Schwächen hat Vetter? Herr Luxem sagt bloß: „Die Zeit.“ Manchmal lasse sich der Rezeptionist von den Gästen einspannen und auf dem Zimmer in ein Gespräch verwickeln, während unten eine Gruppe wartet. „Manche Gäste sind einfach einsam“, sagt Herr Luxem. Zu viel Mitgefühl? Dieser Tadel klingt nach einem Lob.
Reisetipps: Das Baur au Lac ist ein Traditionshotel am Zürcher See. In die 119 Zimmer und Suiten können Gäste ab 550 Euro pro Nacht einchecken. Die hauseigene Brasserie „Baur’s“ und das Restaurant „Pavillon“ haben auch fürs Laufpublikum geöffnet. Diese Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus und dem Baur au Lac.