Rassismus in der Schule: Lass dir nichts gefallen!
Wenn nun die Schule wieder anfängt, erleben einige Kinder ganz besondere Probleme: Sie haben eine dunkle Hautfarbe – und werden gehänselt und beleidigt. Sogar Lehrer verhalten sich nicht immer sensibel. Wie Eltern mit dem alltäglichen Rassismus umgehen.
Joshua Kwesi Aikins sitzt gespannt auf seinem Stuhl. Eine Wollmütze hält seine Dreadlocks zusammen. Er ist gestresst. So wie alle Eltern, die sich Gedanken darüber machen, in welche Grundschule ihr Kind gehen soll. Der Politikwissenschaftler hat guten Grund, noch ein wenig angespannter zu sein als manch andere Eltern in Marzahn oder Charlottenburg. Aikins, in Berlin geboren, Vater Ghanaer, Mutter Deutsche, hat eine dunkelhäutige Tochter. Für sie möchte er die bestmögliche Schule finden. „Ich erwarte, dass unsere Tochter ihr Menschenrecht auf Bildung unbefangen in Anspruch nehmen kann – ohne Rassismus.“ Er lacht kurz. Vielleicht weil er weiß, wie holprig der Weg dahin ist, wenn man Ansprüche wie er hat. „Ich bin ein bisschen trotzig.“ Deshalb fragt er Eltern, Schüler, Lehrer aus. Bis er eine Schule gefunden hat, die zweisprachig sein soll – seine fünfjährige Tochter wächst mit Englisch und Deutsch auf – und in der wirklich Offenheit gelebt wird.
Im Kindergarten Kwetu erleben schwarze Kinder Normalität
Am besten so wie im Kindergarten Kwetu, den die Tochter derzeit in Neukölln besucht. Er liegt im Erdgeschoss eines Altbaus – mit hohen Wänden und mehrfach überstrichenem Stuck an der Decke. Die frühere Wohnung sei klein, kein idealer Raum, meint Aikins. Der Kinderladen ist aus einer Initiative von Eltern schwarzer Kinder entstanden, mehr als die Hälfte der Kinder dort sind afrikanischer Herkunft. Die Kita wird zweisprachig geführt, was es ihr leichter macht, Filme, Bilderbücher oder Lieder zu finden, die schwarze Kinder nicht von vornherein ausschließen oder abwerten – Material aus dem englischsprachigen Afrika, Großbritannien und den USA. Seine Tochter, sagt Aikins, erlebe in ihrem Kindergarten eine „Normalität, für die ich jeden Tag dankbar bin“. Seine eigene Schulerfahrung lässt ihn ahnen, dass das nicht selbstverständlich ist.
Ausgezeichnet, aber wenig wirkungsvoll: "Schulen ohne Rassismus"
Die Diskriminierung an Schulen ist seit langem ein Problem. Vor 16 Jahren hat die Berliner Lehrerin Sanem Kleff deshalb das Projekt „Schulen ohne Rassismus“ mitangeschoben. Dafür ist sie vielfach ausgezeichnet worden. Mehr als 1500 Schulen dürfen sich inzwischen „Schule mit Courage“ nennen. Um den Titel zu bekommen, müssen 70 Prozent der Schüler und Lehrer eine Absichtserklärung unterschreiben – eine DIN-A4-Seite, ziemlich umständlich formuliert, auf der die Unterzeichner sich verpflichten, sich nicht rassistisch zu verhalten und den Kampf gegen Rassismus für eine Aufgabe der Schule halten. Nur wer überprüft das? Sanem Kleff und ihr Team können es nicht. Sie bieten den Schulen aber Information und Austausch.
Viel ist das nicht, hat gerade die 10-jährige Tochter von Josephine Gnafior in Lichtenberg erlebt. Ihre Schule, ein weißer Plattenbau umgeben von anderen hellen Plattenbauten, trägt den Titel seit 2010, ein großer Teil der damaligen Schüler, die die Selbstverpflichtung unterschrieben haben, hat die Schule längst verlassen. Das hoch gewachsene Mädchen mit den braunen Augen hat ihre Mutter vor kurzem gefragt, ob „man einer Schule einen solchen Titel auch wieder aberkennen kann“. In den Pausen riefen ihr Kinder schon mal „Negerin“ nach.
Eltern wollen ihre Kinder schützen - und können es nicht
Alle Eltern schwarzer Kinder haben den Impuls, sie vor dem Rassismus möglichst lange zu schützen, vor eigenen Erfahrungen, die sie ihren Kindern gern ersparen würden. Josephine Gnafior kam als 20-Jährige aus Benin zum Studium in die DDR. „Für mich war das alles neu, und in der DDR haben sie sich ja nicht getraut, uns zu beschimpfen.“ Das änderte sich nach dem Mauerfall. Gnafior hat einen heute erwachsenen Sohn, der schwer körperbehindert ist. Damals wollte er nicht mehr in seine Ostberliner Schule gehen. Sie erinnert sich, wie sie bei einem Elternabend klar und deutlich werden musste. „Mein Sohn geht in die Schule, um etwas zu lernen. Machen Sie Ihren Kindern klar, dass sie ihn in Frieden lassen sollen. Sonst knöpfe ich mir jedes Kind selbst vor.“
Danach war Ruhe. Josephine Gnafior ist eine kräftige Frau mit einem feinen, glatten Gesicht, die viel lacht. Aber bis heute, nach 30 Jahren in Deutschland, mit einem deutschen Pass und einem Job in der Altenpflege, ist ihr Alltag von Daueranspannung geprägt, von der ständigen Erwartung, mit Rassismus konfrontiert zu werden. „Wenn ich das Haus verlasse, bin ich gleich auf Kriegsfuß.“
Sie nehme das „zu persönlich“, das hat die Erzieherin auch zur Tochter von Josephine Gnafior gesagt, als ihr diese den Vorfall mit dem N-Wort erzählte. Wie auch schon die Beobachtung des Mädchens, dass einer der Lehrer sie ignorierte. Wenn sie dem Mann mit ihrer Freundin begegnete, grüßte er nur das weiße Mädchen. Irgendwann erzählte sie das ihrer Klassenlehrerin. Jetzt grüßt der Lehrer. Aber eine „Schule ohne Rassismus“ stellt sich Josephine Gnafior anders vor. „Das muss doch Konsequenzen für den Schulalltag haben“, findet sie.
Die "Pechmarie" und ihre Wirkung
Julius Benjamin Franklin, der seit diesem Frühjahr im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) arbeitet, sagt: „Es ist schwierig, so einen Titel für Schulen zu verwenden.“ Das sei gut gemeint, reproduziere aber ungewollt selbst Rassismen. Auf den Fotos, die die Lichtenberger Schule ins Internet gestellt hat, sind jedenfalls fast nur weiße, lachende Kinder zu sehen. Franklin, der in Neukölln Kurzfilme produziert, hat eine Ausbildung zum Erzieher gemacht. Er sagt, das Pädagogikstudium vermittle überhaupt nicht, wie Rassismus erkannt und dagegen vorgegangen werden kann.
Er erzählt ein Beispiel aus seiner Erzieherzeit. In der Kindergartengruppe gab es nur einen schwarzen Jungen. „Der war völlig verschüchtert“, sagt Franklin. Die Gruppe unternahm eines Tages einen Ausflug ins Kindertheater und schaute sich „Frau Holle“ an. Danach sagte der kleine Junge: „Sie haben uns schwarz angemalt, weil wir böse sind.“ So sah er die „Pechmarie“. Die anderen Erzieher taten den Eindruck ab, Frau Holle sei doch nur „ein Märchen und eine Fantasie“. Das könne keinem Kind schaden.
Falsch, meint Julius Benjamin Franklin. Erste negative Erfahrungen von schwarzen Kindern haben oft mit ihrer Hautfarbe zu tun. Ein Kita-Freund von Josephine Gnafiors Tochter kam einmal mit der Frage nach Hause: „Warum ist meine Farbe eigentlich wie Cappuccino, die vom Papa wie Kaffee und deine so rosa?“ Oder ein anderes Mal: „Kann man die Farbe eigentlich abwaschen?“ In den Interviews auf der Kinderseite, die samstags im Tagesspiegel erscheint, antworten viele schwarze Kinder auf die Frage, was sie gerne an sich ändern wollen, dass sie gern „heller“ wären.
Den Kindern Rückendeckung geben
Das gilt für die Kinder von Raphael Dernbach nicht. Sie sind stolz auf ihre Hautfarbe. Auch Dernbach, der in München geboren ist und bis heute dort lebt, musste seiner 15-jährigen Tochter und seinem zehnjährigen Sohn mehrfach erklären, warum andere sie ausgrenzen: „Es gibt Menschen, die andere aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligen. Sie reagieren oft unfreundlich und aggressiv. Es ist wichtig, das offen anzusprechen und sich dagegen zu wehren.“ Dernbach, dessen Vater ein Professor aus Jamaika ist, sagt: „Den Kindern hilft das Verständnis von Vielfältigkeit. Dass sie toll sind, so wie sie sind, mit all ihren Besonderheiten, nicht nur der Hautfarbe.“ Er hat beobachtet, dass schwarze Kinder in der Schule besonders zu leiden haben, wenn eine Legasthenie auftritt – wie bei einer Bekannten von ihm. Das Stereotyp „schwarz, laut, nervös und 40 Fehler im Diktat“, passe so gut ins Weltbild vieler Lehrer und Schüler, dass ihnen die Abwertung gar nicht auffällt.
Schwarze Kinder sollen Afrika erklären
Unangenehm wird es für viele schwarze Kinder, wenn sie plötzlich für alle schwarzen Menschen oder gar für einen ganzen Kontinent stehen. Viele kennen Afrika selbst nicht, der Unterricht konfrontiert sie nur mit Stereotypen. In der Grundschule gibt es eine Unterrichtseinheit Afrika. Im besten Fall malen die Kinder in dieser Zeit wilde Tiere. Sie erfahren, dass manche afrikanische Kinder stundenlang zu ihrer Schule laufen, dass alle Afrikaner arm zu sein scheinen. Die Kinder, die vom Fahrer in einem dicken Auto in ihre Schule gefahren werden oder im Ausland auf ein feines Internat gehen, kommen da nicht vor. Afrika ist im deutschen Klassen ein Land, ununterscheidbar, obwohl es 54 verschiedene Nationen sind. Oft endet der Afrika-Unterricht mit einem Basar oder einem Sponsorenlauf „für die armen Kinder in Afrika“. Die Botschaft: Kleine weiße Kinder können armen schwarzen Kindern helfen.
Schulbücher kennen nur Europa
Joshua Kwesi Aikins ärgert sich darüber, dass die Unterrichtsinhalte nach wie vor „eurozentristisch“ sind, also die Weltgeschichte nur aus der Perspektive Europas lehren. China? Indien? Afrika? Haben die Europäer irgendwann mal alles erobert. Mit seinem jüngeren Bruder ist Aikins die Schulbücher durchgegangen und hat ihm schon vor dem Unterricht Wissen auf den Weg gegeben, um diese enge Weltsicht zu durchbrechen. „Das werde ich auch mit meiner Tochter tun“, sagt er.
Es wird in einer Gesellschaft, in der es nach wie vor Rassismus gibt, nie eine „Schule ohne Rassismus“ geben. Aber eine Schule, die Rassismus erkennt und schwarze Kinder so wertschätzt wie weiße, das fände Joshua Kwesi Aikins gut. Schließlich habe Deutschland alle einschlägigen Konventionen der Vereinten Nationen gegen Diskriminierung und Rassismus unterschrieben, sagt er. Wenn die Tochter von Josephine Gnafior weint, weil sie sich ungerecht behandelt oder abgelehnt fühlt, rät ihre Mutter dem Kind: „Du musst dir Hornhaut wachsen lassen, sonst kannst du in dieser Gesellschaft nicht überleben.“ Joshua Kwesi Aikins hat guten Grund, angespannt zu sein.
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