Englische Adelige kämpfen für die Gleichberechtigung: Lady-Krach
Am Dienstag kommt die Queen nach Berlin. Sie durfte einst, was anderen englischen Aristokratinnen bis heute verwehrt bleibt: einen Titel erben. Doch der Ruf nach Gleichberechtigung wird lauter. Ein Kampfbericht aus dem Adelsmilieu.
Keine Chance. Eigentlich wäre die Dame topqualifiziert für den Job: ehrgeizig, clever, geschäftstüchtig, die geborene Bestimmerin. Eine bessere Nachfolgerin könnte sich Lord Grantham nicht wünschen. Aber Lady Mary, die älteste und schönste der drei Filmtöchter des Schlossherrn von Downton Abbey, kann ihn nicht beerben. Aus einem einfachen Grund: Sie hat das falsche Geschlecht.
Englische Aristokratinnen dürfen die Titel der Väter nicht erben. Das war vor 100 Jahren so – die Zeit, in der die Erfolgsserie „Downton Abbey“ spielt –, und es ist heute noch so. Frauen können in Großbritannien Premierministerin werden, Königin, Geheimdienstchefin, neuerdings, nach langem Kampf, sogar Bischöfin der Church of England. Aber bei der aristokratischen Erbfolge werden sie gegenüber Jungs nicht nur benachteiligt, sie werden (mit wenigen innerfamiliär geregelten Ausnahmen) einfach ausgeschlossen.
„Ungeheuerlich“ nennt Julian Fellowes, Autor von „Downton Abbey“, diese legale Form der Enterbung. Da kennt er sich aus. Wäre seine Frau Emma ein Mann, hätte sie den Titel ihres kinderlosen Onkels, des 3. Earl Kitchener übernommen, als dieser vor vier Jahren starb. Aber so: keine Chance. Damit ist das Ende der Linie erreicht. Weil es weit und breit keinen männlichen Verwandten gibt, stirbt der in Großbritannien sehr bekannte Titel aus.
Bei den Royals wär’ das nicht passiert. Wer hätte das gedacht: dass das britische Königshaus mal so jung aussehen würde. Schon seit Jahrhunderten konnten Mädchen Königin werden – wenn sie keine Brüder hatten. So kamen Queen Victoria und Elizabeth II. auf den Thron, auf dem es kein Mann so lange ausgehalten hat wie sie: 64 Jahre die eine, bisher 63 Jahre die andere. 2011, bevor das erste Kind von Prinz William auf die Welt kam, wurde die Thronfolgeregelung auf Höhe der Zeit gebracht. Seitdem steht das Erstgeborene automatisch an erster Stelle, egal ob Junge oder Mädchen.
Wie Victoria Lambert glaubt: ein kluger Schachzug von Prinz Charles, „das war genau der richtige Zeitpunkt“. Die Journalistin ist führendes Mitglied der „Hares“, einer Gruppe, die sich seit ein paar Jahren für die überfällige Reform beim Adel einsetzt. Der Name ist ein Wortspiel: „hares“, Hasen, klingt ähnlich wie „heirs“, Erben. Sicher, sagen die Lobbyisten, kann man darüber streiten, ob es überhaupt eine Aristokratie braucht, ob diese selbst nicht der größte Anachronismus ist. Aber, so ihr Argument, solange es den Adel gibt (und so populär wie die englische Monarchie im Augenblick ist, meint Lambert, wird das wohl noch eine ganze Weile sein), muss dort jene Gleichberechtigung herrschen, die sich im 21. Jahrhundert eigentlich von selbst verstehen sollte. Es geht ums Prinzip.
Die Journalistin, spezialisiert vor allem auf Medizin-Themen, ist nicht leicht zu erwischen, beim Telefoninterview redet sie wie ein Blitz. Verheiratet ist sie mit dem 9. Earl of Clancarty, die beiden haben ein Kind. Eine Tochter. Ohne neue Gesetzgebung wird auch diese Linie aussterben.
Mitstreiterin Liza Campbell, Journalistin, Autorin und Künstlerin, lange blonde Haare, flatternde Bluse, ist die zweitälteste Tochter einer großen Familie. Sie kann sich genau erinnern, wie sie als Elfjährige mit ihrer Mutter im Auto saß, und diese ihr erklärte, was für ein Drama es für die Familie war, als Liza auf die Welt kam. Schon wieder ein Mädchen! Der ersehnte männliche Erbe kam erst beim nächsten Mal. Ihre Mutter, ergänzt sie schnell beim Treffen im Café in Notting Hill, „is a sweet woman“. Offenbar war ihr gar nicht bewusst, was sie da sagte, so tief sitzt die Tradition. Jungs sind mehr wert: Das war das Gefühl, mit dem Campbell aufwuchs.
{Lord Lucas: Radikal und konservativ
Sie ist froh, nicht die Älteste zu sein. So kann ihr niemand vorwerfen, nur im eigenen Interesse zu handeln, gierig zu sein. Und an Attacken hat es nicht gemangelt. Als Lesbe wurde sie beschimpft, ausgelacht. Gestoppt hat es sie nicht. Für die quirlige 54-Jährige ist es unerklärlich, dass Aristokraten ihren Titel und den Besitz, der oft daran hängt, lieber an einen entfernten Verwandten weiterreichen als an die eigene Tochter. Aber auch den Gegnern geht’s ums Prinzip. Zu denen, die eine Gesetzesänderung offenbar als Bedrohung erleben, gehört der Bruder von Lady Di. Der 9. Earl Spencer will auf jeden Fall, dass Sohn Louis, das vierte seiner sieben Kinder, Titel und Schloss erbt. „Das war schon immer so.“ Punkt.
Was die oberste Adelsfamilie kann, würde man denken, kann das gemeine aristokratische Volk doch schon lange. Aber bei 1000 Familien ist es offenbar sehr viel komplizierter, eine gemeinsame Regelung zu finden. Viele haben aus Steuergründen komplizierte Stiftungsbündel geschnürt. Als die (damals noch sehr linke) Labour-Partei 1945 die Regierung übernahm, als das Empire de facto am Ende war, ging es der Aristokratie an den Kragen. Sie wurde mit mörderischer Erbschaftssteuer belegt; um nicht alles vom Tafelsilber bis zum Schloss ans Finanzamt zu verlieren, musste man geschickt agieren. Und auch Touristen in sein Zuhause lassen.
Der Kampf für die Gleichberechtigung ist partei- und geschlechterübergreifend. Liza Campbell selbst beschreibt sich als konservativ aus Tradition, liberal aus Neigung, Labour aus Erfahrung; als alleinerziehende Mutter zweier Kinder habe sie den Segen der Labour’schen Sozialpolitik erlebt. Lord Lucas ist Tory-Mitglied. Für den 64-Jährigen war die Neuregelung bei den Royals der willkommene Anlass, einen erneuten Vorstoß zur Gesetzesänderung zu unternehmen. Also brachte er vor zwei Jahren einen entsprechenden Gesetzesentwurf im House of Lords ein, der, allein aus formellen Gründen, wie erwartet, nicht durchkam. Aber er hat einen Anstoß gegeben.
Wir sind zum Gespräch im House of Lords verabredet, dessen Erdgeschoss ziemlich unglamourös wirkt. Das Entree erinnert leicht an eine Turnhalle: Reihenweise Garderobenständer, an denen Jacken und Baumwollbeutel baumeln. Das Hinterzimmer mit dem obligatorischen Teppichboden hat auch schon mal frischer ausgesehen. Lord Lucas selbst – Ralph, wie er sich schon in der ersten E-Mail nennt – hat mit Glamour wenig am Hut. Als „radical Conservative“ beschreibt er sich. Ein sehr höflicher Rebell. Bescheiden sein Auftritt, die Stimme: sanft, die Antworten: bedächtig. Das lauteste ist das Lachen, das manchmal aus ihm ausbricht, meist, wenn er sich über seine Schicht oder Familie amüsiert. Er spielt das Aristokratische herunter, als mache es ihn ein wenig verlegen.
Lord Lucas ist jemand, der Traditionen respektiert. In seinem Kampf für die Gleichberechtigung setzt er sie fort. Seine Großmutter war Sufragette, für seine Eltern war die Gleichberechtigung der Geschlechter eine Selbstverständlichkeit. Weil in der schottischen Linie seiner Familie der Titel seit jeher auch über die Frauen weitergegeben werden kann, ist er ein doppelter Aristokrat: 12. Baron Lucas of Crudwell und 8. Lord Dingwall.
Auf die Frage, wie er den Namen „Downton Law“ für seinen Gesetzesvorschlag findet, lächelt er nur: „Ich habe die Serie nie gesehen.“ Liza Campbell findet es super. Das schafft Öffentlichkeit.
Viele Aristokratinnen halten sich zurück
Aber so rasant wie die Hasen vermehren sich die „Hares“ nicht. Selbst wenn viele ihre Meinung teilen, wie die Lobbyisten immer wieder betonen, die meisten sagen es nicht laut. Es ist eine heikle Angelegenheit. Adelige Frauen fürchten, als illoyal gegenüber Vätern und Brüdern zu gelten, sich gegen die Tradition zu stellen.
Während des Wahlkampfs hatten die „Hares“ die Kampagne ohnehin ruhen lassen. Keine der Parteien hätte sich an einem „elitären“ Thema die Finger verbrennen wollen. Für die Konservativen war es besonders heikel. Cameron, der sich im Frühjahr zur Witzfigur machte, als er einen Hot dog mit Messer und Gabel aß, „wollte nicht mit vornehmen Leuten in Verbindung gebracht werden“. Jetzt, da der Tory mit sicherer Mehrheit regieren kann, auf keinen Koalitionspartner Rücksicht nehmen muss, glauben Campbell und Lambert, könnte sich das ändern. „Wir sind ein Thema für die zweite Legislaturperiode.“
Eine Männerbastion ist das House der Lords übrigens schon lange nicht mehr. Seit Ende der 50er Jahre nicht-vererbbare Adelstitel eingeführt wurden, dürfen auch Ladys rein. Und fühlen sich dort, so die Anthropologin Emma Crewe, offenbar wohler und gleichberechtigter als im Unterhaus. Der noch dramatischere Einschnitt kam Ende der 90er Jahre mit Tony Blairs Labour-Regierung. Seitdem steht nur noch einem kleinen Teil des Erbadels ein Sitz im Oberhaus zu. Wer zu den Auserwählten gehört, darüber stimmen seine peers ab. Dafür werden jetzt immer mehr Männer und Frauen, zu working peers ernannt, arbeitender Adel auf Lebenszeit. (Von 786 Mitgliedern sind das jetzt 672.) Eine Belohnung für öffentliche Dienste oder auch für Loyalität gegenüber einer Partei.
Im House der Lords – und Ladys – wird weiter diskutiert. Ein anderer peer, Lord Trefgarne, hat einen neuen Gesetzesentwurf zur Debatte gestellt, am 2. Juni fand die erste Lesung statt. Der 74-Jährige geht allerdings einen Schritt zurück: Jungs sollen demnach weiterhin an erster Stelle stehen. Erst wenn es keine Söhne gibt, sollen die Töchter drankommen.
Liza Campbell und Victoria Lambert geben sich diplomatisch: Es sei gut, dass über das Thema weiter geredet werde. Sie setzen (verhaltene) Hoffnung auf die neue Amtszeit von David Cameron, zumal seine Partei nun allein regiert. Zur Not gäbe es noch einen anderen, juristischen Weg: eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Aber das wäre langwierig und, wie Victoria Lambert findet, unangenehm. Sie bräuchten dafür einen Präzedenzfall: „Einer aus unserer Gruppe müsste sterben.“ Dann könnte seine Tochter auf den Titel klagen. Ihr wäre es lieber, wenn man es im eigenen Land durchsetzt, demokratisch, im Parlament und „mit erhobenem Kopf“. Die größten Chancen hätte es, wenn ein Abgeordneter aus dem Unterhaus die Gesetzesänderung zu seiner Sache machen würde.
In den nächsten fünf Jahren, hoffen die Hares, wird sich was tun. Es kann auch länger dauern. Doch wer aus einer alten Adelsfamilie kommt, ist es gewohnt, in Jahrhunderten zu denken. Wie heißt das Motto, das Julian Fellowes, ein Spätzünder, der mit 40 heiratete, als Autor mit über 50 seinen Durchbruch hatte, und mit 61 zum Baron Fellowes of Stafford auf Lebenszeit geadelt wurde, für sein Wappen auswählte: Post proelia praemia – nach den Kämpfen kommen die Belohnungen.
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