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Jürgen Prochnow, Schauspieler
© Mike Wolff

Filmstart: "Die dunkle Seite des Mondes": Jürgen Prochnow: "Ich will keine Waffe im Haus haben"

Mit "Die dunkle Seite des Mondes" kommt er am Donnerstag zurück ins Kino. Weil er einmal einen Schwulen spielte, hätte er fast die Rolle seines Lebens verloren. Jürgen Prochnow über Albträume und Scheidungen.

Jürgen Prochnow, 74, wurde berühmt durch seine Rolle als Kapitän in „Das Boot“. Der Kriegsfilm von 1981 brachte ihn nach Hollywood, wo er zu einem der erfolgreichsten deutschen Schauspieler avancierte. Ab 14. Januar ist er mit „Die dunkle Seite des Mondes“ in den Kinos zu sehen. Prochnow lebt in Los Angeles.

Herr Prochnow, Ihre US-Filmografie der vergangenen Jahrzehnte ist beeindruckend: „Das siebte Zeichen“, „Der englische Patient“, „Air Force One“. Nun drehen Sie in Deutschland. Hatten Sie Heimweh?

Vielleicht ein wenig. Meine Frau und ich planen, uns eine Wohnung in Berlin zu nehmen. Meinen Wohnsitz in den USA will ich jedoch behalten, ich habe ja seit 2003 den amerikanischen Pass – ohne den deutschen aufgegeben zu haben.

Weil hier die Krankenversicherung besser ist?

Ich bin drüben dank der Schauspielergewerkschaft sehr gut versichert. Und wenn man über 65 wird, ist man automatisch auch in der Medicare, der Sozialversicherung, die gab es schon vor Obama. Aber ich weiß, was Sie meinen. Selbst in meinem Freundeskreis regten sich Leute über „Obamacare“ auf, weil angeblich die kleinen Unternehmer pleitegehen, wenn sie für ihre Leute Abgaben leisten müssen. In Amerika wird immer nur ans Geschäft gedacht. Nach dem Motto: Another Day, Another Dollar.

Ein Motto, nach dem der Charakter in Ihrem neuen Film „Die dunkle Seite des Mondes“ lebt. Sie sind dort Pius Ott, skrupelloser Chef eines Pharmakonzerns und ein kontrollierter Mensch. Moritz Bleibtreu darf in der Rolle Ihres Gegespielers seine Aggressionen rauslassen. Welchem Charakter fühlen Sie sich näher?

Ich denke, ich bin eher der kontrollierte Typ. Bis zu einem bestimmten Punkt, dann geht auch bei mir die Schranke hoch.

Was muss dafür passieren?

Ich kann Schlamperei nicht ertragen. Wenn jemand im Beruf nicht vorbereitet ist, sich nicht genug für seine Aufgabe interessiert. Ein Film ist ein Gemeinschaftsprodukt, und wenn nicht gewährleistet ist, dass andere ihre Verabredungen einhalten, weiß ich, dass das Ziel nicht erreicht wird.

Sie hängen abends die Hose gefaltet über den Stuhl?

Eine gewisse Ordnung ist mir ganz wichtig. Ich lege Dinge wie eine Brille zum Beispiel immer an der gleichen Stelle ab, damit ich sie wiederfinde. Ich würde mich deshalb nicht als Pedanten bezeichnen, sicher trage ich ein starkes Pflichtbewusstsein mit mir herum – das ist mein preußisches Erbe.

Ein schweres Erbe? 1986 erzählten Sie dem „Playboy“, Sie hätten mit 18 Jahren so viel in sich reingefressen, dass Sie ein Magengeschwür bekamen.

Ich war frustriert, in dieser grauen Adenauerzeit in Westdeutschland aufzuwachsen – wir sind Anfang der 50er Jahre von Berlin nach Düsseldorf gezogen. Und ich habe die Schule gehasst.

Wie sind Sie dem entkommen?

Mein Ventil habe ich schon als 13-, 14-Jähriger beim Schauspiel gefunden. In der Kirchengemeinde hatten wir einen Gruppenleiter, der in Berlin Theaterwissenschaft studiert hatte und nun eine Laienspielgruppe aufbaute. Ich habe gleich gedacht, das ist etwas, wo ich mich ausleben kann, mit meinen Sehnsüchten und Empfindungen.

Stammen aus jener Zeit Ihre Narben, die später als Kommandant im „Boot“ Ihr Markenzeichen waren?

Mit 14 hatte ich sehr stark Akne. In den Ferien bin ich nach Südfrankreich getrampt, das Geld, das ich mir dazuverdiente, reichte, um in der Sonne zu liegen und im Salzwasser zu baden. Die Akne ging dort weg, nur zu Hause kam sie immer wieder.

Haben Sie gefürchtet, Ihr Traum von der Schauspielerei könnte sich deshalb zerschlagen?

Nein, zumal ich meinen Eltern zuliebe eine Banklehre anfing. Es hatte in unserer Familie nie einen Schauspieler gegeben, und die Ängste waren entsprechend groß, als mein älterer Bruder an der Folkwang-Hochschule angenommen wurde. Ich wollte das meinen Eltern nicht antun, dass wir nun beide Schauspieler werden.

Waren Sie gut in der Bank, ordentlich, wie Sie sind?

Ich war sogar sehr gut.

"In der Filmbranche ist eher Alkohol das Problem"

Jürgen Prochnow (links) als Pius Ott und Moritz Bleibtreu (rechts) in einer Szene aus dem Film "Die dunkle Seite des Mondes".
Jürgen Prochnow (links) als Pius Ott und Moritz Bleibtreu (rechts) in einer Szene aus dem Film "Die dunkle Seite des Mondes".
© Etienne Braun/Alamode Film/dpa

Wenn Sie Ihre Banklehre mit dem Finanzwesen heute vergleichen …

… kann man gar nicht. So einen Schweinekapitalismus gab es doch noch nicht, dieses Investmentbanking. Diese ganzen undurchsichtigen Geschäfte mit Zertifikaten.

Die Figur, die Moritz Bleibtreu spielt, wird durch Psychodrogen aus der Bahn geworfen. Kennen Sie so etwas aus Ihrem Umfeld?

In der Filmbranche ist eher Alkohol das Problem. In Hollywood heißt es, die besten Kontakte knüpft man beim Entzug in der Betty-Ford-Klinik.

Man kann Ihren neuen Film auch als die Geschichte einer Midlifecrisis interpretieren. Haben Sie das schon einmal erlebt: Man hat Erfolg, steht, wo man die ganze Zeit hinwollte, plötzlich fragt man sich: Und jetzt?

Mein Blick war immer nach vorne gerichtet: Was kann noch kommen, welche interessanten Aufgaben warten auf mich? Was mich an dem Charakter von Moritz’ Rolle so fasziniert, ist, dass da in einem Menschen etwas steckt, von dem er gar nichts weiß und dem er sich schließlich stellen muss. Seine Rettung ist, dass er zurück in die Natur geht. Die Entfremdung von der Natur, das finde ich als Thema interessant.

Die „FAZ“ schrieb zu Ihrem 60. Geburtstag, dass Sie der einzige deutsche Schauspieler sind, der sich Hoffnungen machen darf, in Hollywood nach einem Autogramm gefragt zu werden. Das ist nun schon 14 Jahre her …

... und die Leute wollen heute noch Selfies und dergleichen. Hollywood-Filme, so etwas wie „Beverly Hills Cop 2“, werden auf der ganzen Welt gesehen. Obwohl ich zuerst geschwankt habe, ob ich dabei mitmachen soll. Die Rolle war eigentlich zu klein. Der Regisseur Tony Scott hat mir schließlich versprochen, sie würden mir noch ein paar Szenen dazuschreiben. Damals war ich noch ein wenig naiv, natürlich haben sie das nicht gemacht.

Ihre Lehre daraus?

Ich habe gelernt, was es heißt, in einem solchen Film mitzuspielen. Ich hatte oft einen anderen Anspruch, dachte, ein Film müsse eine Aussage haben, eine Erkenntnis hervorrufen.

Welche Erkenntnis kann man aus „Beverly Hills Cop 2“ gewinnen?

Ich sage ja, ich hatte Bedenken, da mitzuspielen, und ich bin auch nicht besonders stolz darauf. Aber ich habe gemerkt, was so ein Film für eine Kraft hat. Ich wurde plötzlich überall erkannt.

1977 waren Sie der Hauptdarsteller in „Die Konsequenz“ …

… den hat Wolfgang Petersen gedreht, und der Bayerische Rundfunk hat sich aus der ARD ausgeschaltet, als der im Fernsehen gezeigt wurde.

Sie spielten einen Homosexuellen.

Damals gab es den Paragrafen 175 noch und homosexuelle Beziehungen waren verboten. Ich weiß von Kollegen, die deshalb erpresst wurden. Mit dem Film haben wir etwas für die Verbesserung der Situation Homosexueller bewirkt.

Haben Sie gezögert, die Rolle zu übernehmen?

Ich hatte große Bedenken, dass ich von dem Moment an nur noch als der Schwule besetzt werde. Die Enttäuschung kam, als Petersen mich ein paar Jahre später für die Rolle des „Kaleus“, des Kapitänleutnants, in „Das Boot“ haben wollte. Ich habe mich wahnsinnig gefreut. Und dann ruft er ein paar Wochen später an und sagt, kannst du vergessen.

Was war passiert?

Neue Geldgeber waren hinzugekommen, unter anderem Bernd Eichinger, der auch „Die Konsequenz“ produziert hatte. Die sagten nun tatsächlich, der hat den Schwulen gespielt, der kann unmöglich Kapitänleutnant in einem U-Boot sein. Ich war raus. Umso überraschender dann der erneute Anruf nahezu ein Jahr später, als Petersen sagte, wir haben niemand anderen gefunden, du kannst die Rolle haben.

Werden Sie noch oft wie im Film als „Herr Kaleu“ begrüßt?

Zumindest werde ich sehr oft auf „Das Boot“ angesprochen, vor allem in Deutschland. In Amerika gibt es zum Glück andere Filme, die das ein wenig überlagert haben, „Das siebte Zeichen“, der hat auch eine treue Fangemeinde.

Sie haben in den 70er Jahren unter Zadek Theater gespielt, in „Die verlorene Ehe der Katharina Blum“ mitgewirkt, Sie galten als eine der großen Schauspielhoffnungen des neuen deutschen Films. Und dann bringt „Das Boot“ Sie direkt nach Hollywood.

Ja, dadurch bin ich hier nicht mehr so präsent gewesen.

Dafür haben Sie drüben mit Regisseuren wie Michael Mann, Anthony Minghella, mit Schauspielern wie Harrison Ford und Tom Hanks gearbeitet. Nur eine Hauptrolle bekamen Sie nie wieder. Haben Sie je mit Ihrem Schritt in die USA gehadert?

"Ich wusste, wie sehr Spielberg "Das Boot" schätzt"

Jürgen Prochnow, Schauspieler
Jürgen Prochnow, Schauspieler
© Mike Wolff

Ein paar Mal habe ich es versucht mit den Hauptrollen. Bei „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg dachte ich zum Beispiel, das müsste ich spielen. Durch Petersen, der Spielberg kannte, wusste ich, wie sehr der „Das Boot“ schätzt. Hat nie geklappt. Oft hat man mir bedeutet: Du bist kein Amerikaner. Und wenn es schon einmal einen guten Deutschen aus dieser Zeit gibt, kann den nicht auch noch ein Deutscher spielen. Grundsätzlich gilt, die Sprache ist drüben der größte Fallstrick. Sie müssen schnell ein gutes Amerikanisch sprechen. Ich hatte extra einen Dialog-Coach, der mich auch zu den Dreharbeiten begleitet hat. Ich wollte auf keinen Fall immer die Nazirollen kriegen und in Uniform auftreten.

Genau so wollte Hollywood Sie doch haben.

Zumindest spielte ich gleich im ersten Film, „The Keep“, einen Wehrmachtsoffizier. Ich hatte eine Heidenangst, dass das so weitergeht.

In „Der englische Patient“ lassen Sie als deutscher Major Willem Dafoe den Daumen abschneiden.

Die Szene wurde sogar extra dazugeschrieben. Ich habe das gespielt, und es hat mir sehr zugesetzt.

Ihre Figur in „Die dunkle Seite des Mondes“ ist passionierter Jäger. Ist Ihnen das aus Amerika vertraut?

Ich hasse das, habe noch nie eine Waffe in die Hand genommen, außer im Film, wo ich manchmal rumballern muss. Ich will keine Waffe im Haus haben. Wieder so ein amerikanisches Phänomen, das ich nie verstehen werde, dass da jeder mindestens eine Knarre in der Schublade hat.

Wenn Sie sich so über Ihre neue Heimat echauffieren, warum leben Sie da überhaupt?

Die Freundlichkeit und Großzügigkeit dort ist beispiellos. Ich kenne so viele Amerikaner, die mich toll aufgenommen haben.

Und wenn Donald Trump die Wahl gewinnt?

Der jüngere Bush war ja schon ein Albtraum, eigentlich sogar der schlimmere, wenn man die Folgen für den Nahen Osten sieht, und in den USA die an Leib und Seele verstümmelten Veteranen aus dem Irakkrieg. Nicht zu reden von der gewaltigen Schuldenlast, die Bush angehäuft hat. Ich weiß nicht, ob ich dann meinen Pass zurückgebe. Davon abgesehen: Ich liebe mein Haus in Brentwood, Los Angeles. Der Meerblick, das Klima, mein Garten …

… in Kalifornien herrschte jahrelang furchtbare Trockenheit, Sie durften Ihren Garten nicht sprengen.

Nur ab und zu. Ich bin jetzt seit September, seit dem Filmfest in Venedig, in Europa. Dort lief „Remember“, ein Film über einen Auschwitz-Überlebenden, in dem ich mit Christopher Plummer und Bruno Ganz spiele. Wenn ich im Januar zurückkehre, ist wahrscheinlich der Rasen hinüber.

Sie sind vergangenes Jahr von Ihrer zweiten Frau geschieden worden und haben jetzt erneut geheiratet – in Berlin. War das eine Vorsichtsmaßnahme? John Cleese sagte uns kürzlich im Interview, seine kalifornische Scheidung wäre der größte Fehler seines Lebens gewesen – sein finanzieller Ruin.

Ich weiß nicht, wie lange John Cleese verheiratet war. Bei mir waren es achteinhalb Jahre, richtig teuer wird es nach zehn. Jedenfalls war meine erste Scheidung für mich viel teurer. Da war das allerdings nachvollziehbar. Obwohl ich es erst nicht einsehen wollte, schließlich war nicht ich derjenige, der die Ehe auflösen wollte, sondern sie hatte jemand anderes kennengelernt. Aber wir hatten Kinder, und für deren Aufwachsen musste ich schon sorgen, die Schulen, die Unis, mein Sohn hat in Berkeley studiert. Das hat unglaublich viel Geld gekostet. Nun, ich wollte das auch. Andere Sachen habe ich nicht so eingesehen. Zum Beispiel den schwindelerregenden Ehegattenunterhalt.

Als Ihre erste Ehe kriselte, suchten Sie eine Psychologin auf. Was haben Sie da über sich gelernt?

Ich habe etwas über mich herausbekommen, was wir so nie artikuliert haben. Meine Frau war ja sehr viel jünger als ich. Ich hatte ganz andere Vorstellungen vom Zusammenleben, die durch das Vorbild meiner Eltern geprägt wurden.

Sie meinen die tradierte Rollenverteilung?

Für mich hat Familie Überleben bedeutet. Mein Vater war in Kriegsgefangenschaft, wir wussten lange nicht, ob es ihn noch gibt. Ich werde nie vergessen, wie wir ihn am Lehrter Bahnhof abgeholt haben. Da denke ich heute noch dran, wenn ich am Hauptbahnhof vorbeikomme, dort war ja der Lehrter. Jedenfalls hatten meine Eltern ein sehr inniges Verhältnis. Die haben sich geliebt, und die Kinder wurden auch geliebt. Das mag altmodisch klingen, aber das ist tief in mir verwurzelt.

Ihr Vater war als Kriegsgefangener ziemlich lange weg. Sie selbst sind zu Beginn Ihrer amerikanischen Karriere noch gependelt, können also auch nicht so viel für die Kinder da gewesen sein.

Ein Dreivierteljahr habe ich Pause gemacht und bin bei den Kindern zu Hause geblieben. Ich habe sogar Angebote abgelehnt, um meiner Frau beizustehen. Ich wollte aber auch nicht, dass wir Kinder in die Welt setzen und sie geht arbeiten. Inzwischen ist das ganz normal, damals habe ich es als falsch empfunden.

Und heute?

Das Thema Kinder in die Welt setzen war schon in meiner zweiten Ehe keines mehr.

Fühlt sich Ihr Umzug nach Berlin an wie ein Nach-Hause-Kommen?

In gewisser Weise ja. Ich bin in den Trümmern von Berlin aufgewachsen. Jetzt ist es aufregend zu sehen, was alles neu entstanden ist. Und dann die Kulturszene. Wenn Sie in den USA ins Theater wollen, müssen Sie nach New York. In Los Angeles habe ich zwar das Getty Museum gleich in der Nachbarschaft, wunderschön, trotzdem, glauben Sie mir, im Vergleich zu London, Madrid, Paris oder eben Berlin ist die Kunstszene armselig.

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