Schauspieler Moritz Bleibtreu: „In New York hat man mir den Stecker gezogen“
Gibt es jemanden, der sich über Falten im Gesicht freut? Ja, Moritz Bleibtreu. Warum er wie wild Nicolas Cage verteidigt, auf Kochsendungen steht und vor Schauspiellehrern warnt.
Herr Bleibtreu, standen Sie jemals vor Gericht?
Was? Nein. Wenn es da etwas gegeben hat, dann war ich noch nicht strafmündig. Vor Gericht musste ich nie erscheinen, auch nicht als Zeuge.
Es ist also eine Ihnen komplett fremde Welt, in der Sie gleich zweimal auftreten: In „Schuld“ nach Ferdinand von Schirachs Buch und später als fieser Wirtschaftsanwalt in der Verfilmung des Martin-Suter-Romans „Die dunkle Seite des Mondes“.
Da steht der Premierentermin noch nicht fest, kann auch 2016 werden. Aber ja, Sie haben recht, das wird mein Anwaltsjahr, endlich.
Wieso endlich?
Schauen Sie sich doch mal diese Figur an, die ich in „Schuld“ spiele. Dieser Anwalt ist eine Art Conferencier, der macht ja nicht viel, und man könnte denken, das ist schauspielerisch total uninteressant. Es ist genau das, was ich will.
Weil Sie nichts machen müssen?
Wie man mich wahrnimmt, bin ich doch ein Rampensauschauspieler, einer der gern laut ist und präsent. Hier bin ich das Gegenteil.
Sie waren der Kleinkriminelle, Sie waren Andreas Baader, Sie waren Goebbels, und jetzt sind Sie altersmilde geworden?
Was heißt altersmilde? Goebbels war ja schon beinahe eine Ausnahme. Ich bin mit meinen nun 43 Jahren immer noch als Berufsjugendlicher durchgegangen. Endlich kriege ich ein paar Altersfalten und kann die Männerrollen spielen. Leonardo DiCaprio in „Aviator“ ist großartig, aber er ist zu jung als Howard Hughes. Außerdem liebe ich Gerichtsfilme, von „Zeugin der Anklage“ bis „Die Akte“.
Sie würden gern mal in einer Verfilmung von John Grisham spielen?
Ja, den lese ich irre gern. Schon das mit diesen Talaren, schade, dass wir nicht wie in England solche Perücken haben. Das hat gleich so eine aristokratisch anmutende Größe. Sehr filmisch, das sind Räume, da brauchen Sie nur eine Kamera hinzustellen, und man hat sofort einen Wow-Effekt.
Was sehen Sie da?
Allein diese richtende Riege, wie die dort vorn thronen. Oder diese kleine Klapptür, durch die man muss. Das sind traditionsverankerte Dinge, die vermitteln ein Gefühl von Autorität, von irgendwie wichtig.
Der Anwalt, den Sie im Fernsehen spielen, geht ein wenig blauäugig an seinen allerersten Fall. Er vertritt einen mutmaßlichen Vergewaltiger.
Vereinfachen wir ruhig: Sein Engagement führt dazu, dass mehrere nachweisliche Vergewaltiger straffrei bleiben, und er weiß es. Am Ende steht er vor dem Vater des Opfers und muss damit für den Rest seines Lebens klarkommen.
Haben Sie sich mal gefragt, ob Sie als Anwalt in so einem Fall tätig werden könnten?
Ja. Und emotional würde ich wie der andere Anwalt in diesem Film handeln. Der sagt, tschüss, das mache ich nicht. Aber man muss sich auch immer vor Augen führen, dass es anders nicht geht.
Weil?
Gerechtigkeit kann es nicht geben, wenn sie nicht durch das Recht möglich gemacht wird. Sie darf nie individuell entschieden werden. Indem du denkst, da hat einer deiner Frau etwas angetan und du gehst los und haust dem aufs Maul. Wenn unser Rechtssystem anfängt zu moralisieren, steht es in der Gefahr, totalitär und faschistisch zu werden.
Waren Sie zu Beginn Ihrer Karriere mal blauäugig und hatten Ihre Lehre weg für den Rest des Lebens?
Ja, auf eine ganz andere Art und Weise. Als ich 1990 zur Schauspielausbildung in New York war. Ich war mit einem sehr gesunden Selbstvertrauen ausgestattet und habe schon als Schüler viel Theater gespielt. Ich wusste, ich kann das ganz gut.
Ihre Mutter, Monica Bleibtreu, war Schauspielerin, wie Ihr Vater, Hans Brenner.
Ich weiß nicht, ob das der Grund war. Jedenfalls haben sie mir in New York den Stecker gezogen. Vielleicht war das sogar notwendig. Es war nur schwer zu beurteilen, ob die Lehrerin das irgendwie pädagogisch beabsichtigt hat oder ob es einfach nur scheiße war. Ich tendiere zu Letzterem.
Um Himmels willen, was hat sie getan?
"Die Träume junger Menschen nimmt man oft nicht ernst genug"
Method Acting kann eine sehr aufreibende Geschichte sein.
Sagte sie, Moritz, jetzt wird geweint?
So ungefähr. Du wirst da emotional seziert. Sicher muss man als Schauspieler einen Zugang zu seiner Gefühlswelt schaffen. Es gibt nur diesen amerikanischen Drang, alles erklären zu wollen. Auch in der Schauspielerei. Leute wie Lee Strasberg sagten, du drückst Knopf A und dann passiert dies und das.
Welcher Knopf wurde gedrückt?
Bei dieser Methode geht es zunächst um emotionale Demontage, deine Kindheit, die Eltern. Was? Dein Vater war nie da? Was war da los? So viele verdrängte Gefühle, da wurde ich mit Dingen konfrontiert, die mir bis dahin nicht klar waren.
Ihr Vater hat Sie verlassen, da waren Sie zwei.
Aber ich habe ihn nie vermisst, ihm nie etwas nachgetragen. Das haben die mir dort erst eingeredet.
Welche Lehre haben Sie daraus gezogen?
Dass ich viel vorsichtiger geworden bin. Ein großer Teil meines Selbstvertrauens war dahin, und ich musste mir ein neues aufbauen, das sich dann auch auf ganz andere Eckpfeiler stützte. Das war rückblickend betrachtet gut, es wird jedoch unheimlich viel Schindluder getrieben mit der Ausbildung in diesem Beruf, mit den Träumen junger Menschen, die man oft nicht ernst genug nimmt.
Sie plädieren gegen die Schauspielerausbildung?
Ich hätte den Wunsch, dass nur Leute ausbilden, die auch selbst spielen. Wer ist denn in 99 Prozent aller Fälle ein Schauspiellehrer?
Jemand, der den Durchbruch nicht geschafft hat?
Richtig. Glaubst du, irgendjemand tritt an und sagt: Ich will Schauspiellehrer werden?
Viele sehr gute Fußballtrainer haben als Spieler die große Karriere nicht geschafft. Siehe Joachim Löw.
Im Fußball läufst du die 100 Meter in soundso vielen Sekunden und bist nur 1,72 groß. Du bist zu langsam und zu klein, fertig. Wirst du eben Trainer. In der Schauspielerei sagt dir niemand, das wird nichts, vor allem nicht in privaten Schulen, in denen du für die Ausbildung bezahlst.
Und wie haben Sie es gelernt?
Sehr viel durch Zugucken. Und ich habe die Leute in den Actors Studios angesprochen, habe gesagt, ich finde dich gut, hast du nicht Lust, mich zu unterrichten?
Wen fanden Sie denn gut?
Burt Young zum Beispiel, das ist Paulie, der kleine Dicke aus „Rocky“.
Sie haben mal gesagt, Sie finden Nicolas Cage toll, selbst wenn der einen schlechten Film macht.
Was heißt hier schlechten Film? Man muss sich das doch mal anschauen, „Adaption“, „Birdy“, „Lord of War“, und man wird schnell sehen, dass selbst fünf oder zehn schlechten Filmen fünf andere gegenüberstehen …
Aber diese ganzen Tempelritter-Filme …
Hallo, das ist doch total egal! Er hat eben beides. Diese Leute, die sich hinstellen und sagen, der macht schlechte Filme, weil er Geld braucht. Woher wollen die das denn wissen? Sie sollten nicht jeden Schwachsinn glauben. Jemand, der so großartige Filme gemacht hat wie Nicolas Cage, hat für mich Narrenfreiheit. Aber so sind wir in Deutschland, definieren uns über Dinge, die wir scheiße finden!
Cage ist ja auch gut, aber Sie werden doch verstehen, dass man enttäuscht ist, wenn man wegen ihm ins Kino geht und der Film nichts taugt?
Von was denn enttäuscht? Macht ihr keine Fehler? Welches Recht nimmt man sich da raus, nur weil irgendjemand einen Film macht, den du gerade nicht magst? Enttäuscht kann man sein, wenn eine persönliche Beziehung besteht. Bis dahin hat man kein Recht, enttäuscht zu sein!
Wenn man als Zuschauer einen Schauspieler gut findet, dann steht der doch für einen persönlich für Qualität. Ist der Film schlecht, fragt man sich: Warum macht der den?
Das ist doch der Punkt: Der Film ist schlecht. Und auf wen schiebt man das? Auf den Schauspieler. Es ist super, einen Schuldigen zu finden. Wie ich schon sagte, ein beträchtlicher Teil der Menschheit definiert sich über die vermeintlichen Schwächen anderer. Wie kannst du irgendetwas über Nicolas Cage sagen? Wo ist denn dein toller Film? Verstehst du, was ich meine? Loyalität ist mir unheimlich wichtig. Ein Zitat von dem von mir sehr geschätzten Kurt Vonnegut: Nutze jede Gelegenheit zur Liebe, denn sie tut dir gut.
Sie meinen, so wie wir beide immer noch zu Hertha BSC halten, obwohl wir dafür ausgelacht werden?
Ja, komisch, im Fußball funktioniert das. Dabei haben wir hier in Hamburg im HSV-Management wirklich Leute, bei denen man Grund hätte, persönlich sauer zu werden. Schauen Sie, ich habe doch gar keinen Einfluss darauf, wie ein Film wird. Ob das am Ende gut aussieht, gut geschnitten wird, tolle Musik darüberliegt. Die Hauptsache für mich ist ein Thema, über das ich gern in 20 Jahren noch mal einen Film machen würde. Der Rest ist meine innere Auseinandersetzung mit der Figur, die im Zusammenspiel mit dem Regisseur und den anderen Beteiligten steht.
Und diesmal heißt das Thema Gerechtigkeit?
"Deshalb tue ich mich mit romantischen Komödien so schwer"
In diesem Fall ja. Und bei „Die dunkle Seite des Mondes“ heißt es Kontrollverlust, Abgründe.
Sind das Themen, zu denen Sie einen emotionalen Zugang haben?
Sicher, die sich in meinem Leben wiederfinden. Deshalb tue ich mich ja mit der romantischen Komödie so schwer.
Sie hatten nie eine romantische Beziehung?
Doch, selbstverständlich. Aber da rede ich doch nicht drei Tage lang drüber.
Ihre Figur Urs Blank in „Die dunkle Seite des Mondes“ wird durch den Konsum von Psychodrogen aus der bürgerlichen Bahn geworfen. Kennen Sie das?
Ich kenne Leute, die dieses Problem haben, wobei in meiner Branche Alkohol an erster Stelle steht. Und ich habe ein einziges Mal Pilze genommen wie Urs Blank, das würde ich mich gar nicht mehr trauen. Meine Fantasie ist auch so ziemlich rege. Wenn ich daran rumpfusche, würde ich Angst vor mir selbst kriegen. Dass in einem gesunden Gehirn die Dinge da oben plötzlich chemisch nicht mehr funktionieren, ob mit oder ohne Drogen. Kontrollverlust, das ist für mich eine Horrorvorstellung.
In Berlin wird gerade diskutiert, ob man für sogenannte weiche Drogen Freiräume schaffen sollte, in denen sie legal verkauft werden, um den kriminellen Untergrund auszutrocknen.
Das ist definitiv ein Weg, wenn Sie sich Colorado oder Uruguay anschauen, wo das praktiziert wird. Also jetzt reden wir über Cannabis. Ich war schon immer der Meinung, dass Verbote Gelüste schüren, und es ist eine Respektsbekundung gegenüber verantwortungsbewussten und erwachsenen Menschen, ihnen die Entscheidung zu überlassen.
Muss man manchmal die Menschen nicht auch vor sich selbst schützen?
Wo fängst du denn da an und wo hörst du auf? Ich bin jemand, der an Eigenverantwortung glaubt und dass jeder Mensch eine gesundes Maß davon hat.
Sie sind sehr meinungsstark, aber Sie haben auch schon gesagt, dass Sie nie wählen gehen.
Stimmt. Deshalb kann ich doch trotzdem ein politischer Mensch sein.
Ihr Plädoyer für die Kraft der Eigenverantwortung klingt nach FDP. Die könnten Sie doch wählen?
Das sagen die doch nur, damit sie selbst keine Verantwortung übernehmen müssen. Nein, ich finde, das klingt nach mir. Wenn jeder für sich und seinen kleinen Kreis etwas bewegt, dann müssten wir nicht immer gucken, was die da oben tun.
Ihnen geht es gut, anderen nicht.
Ich weiß, dass ich irre viel Glück gehabt habe. Ich versuche verantwortungsvoll mit diesem Glück umzugehen und ein wertvolles Mitglied dieser Sozialgemeinschaft zu sein. Das kann ich am besten dadurch, dass ich Filme mache, die die Menschen bewegen, sie zum Lachen bringen, sie aufregen, was auch immer. Das ist meine Rolle. Alles andere kann ich nicht und will ich auch nicht.
Und deshalb wählen Sie nicht?
Es ist schon schwer, im eigenen kleinen Leben so etwas wie eine Harmonie zu etablieren. Wenn jetzt einer sagt, ich rette die Welt, dann antworte ich, wow, da hast du dir ja was vorgenommen! Und wenn jemand sagt, du musst dies machen oder jenes, haue ich dem den Finger aus meinem Gesicht, weil ich das nicht mag. Ich trage Verantwortung für mich, für meine Lieben und den Beruf, den ich ergriffen habe. Für nichts anderes.
Sie sind Vater eines fünfjährigen Sohnes. Wenn Sie auf einem Elternabend auftauchen …
… dann ist das eine besondere Situation, sagen wir es mal so. Selbstverständlich ist die Versuchung groß, einfach abseits zu bleiben. Die Tatsache, dass man mich kennt, schafft eine merkwürdige Situation. Deshalb versuchen wir so zu tun, als gäbe es das alles nicht. Und bringen immer Schnittchen und Tee mit, um es nett zu machen.
Sie sollen sehr gerne kochen.
Das stimmt.
Wenn Sie sagen, Sie können heute Rollen spielen, die man Ihnen früher nicht abgenommen hätte, können Sie sich vorstellen, in einer Kochshow aufzutreten?
Das finde ich nicht abwegig. Kochen macht mir Spaß, und ich bin ein großer Kochsendungsjunkie. Jedenfalls würde ich mich nicht blamieren.
Womit würden Sie brillieren?
Ich koche gern österreichisch, da hat mich meine Oma geprägt. Wenn ich etwas Traditionelles machen sollte, dann Altwiener Backfleisch: ein Rinderfilet, ganz flach geklopft, und in die Panade kommt Meerrettich.
Und wer ist der beste Fernsehkoch?
Ich mag Anthony Bourdain sehr gern, obwohl der selbst nicht kocht im Fernsehen. Und ich liebe Gordon Ramsay. Viele hassen ihn, ich finde den cool und „Hell’s Kitchen“ großartig. Was die handwerklichen Fähigkeiten angeht, kommt an den so schnell keiner ran. Ach, ich stehe einfach auf Kochsendungen.
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