Auma Obama im Interview: „In Berlin kann es so gefährlich sein wie in Nairobi“
Für viele Deutsche sei Afrika "Armut, Elend, wilde Tiere". Die Halbschwester von Barack Obama spricht mit dem Tagesspiegel über deutsche Vorurteile und ihre eigenen Ideen, die Lebensumstände der Afrikaner zu verbessern.
Auma Obama, 54, leitet in Kenia die Hilfsorganisation Sauti Kuu. Sie ist die Halbschwester des US-Präsidenten Barack Obama, den sie in die afrikanische Familie des gemeinsamen Vaters einführte und im Wahlkampf unterstützte. Auma Obama studierte und promovierte in Deutschland, sie lebt in Nairobi.
Frau Obama, ich würde Sie gern zu Afrika befragen.
Das könnte aber lange dauern. Afrika ist ein Kontinent mit 54 Ländern, da ist mir das Thema nicht spezifisch genug.
Während Ihres Studiums haben Sie Kurse zum Thema Afrika gegeben.
Ja, bei der Carl-Duisberg-Gesellschaft und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sozusagen als umgekehrte Entwicklungshilfe. Bevor ich von Nairobi nach Saarbrücken zog, glaubte ich, dass die Deutschen so viel über uns wüssten wie wir über sie. Doch das war nicht der Fall. Afrika, das war für viele: Armut, Elend, wilde Tiere. Vor allem das Bild von den Menschen aus afrikanischen Ländern war sehr negativ.
Inwiefern?
„Afrikaner sind arm. Wir wollen die retten.“ So als könnte man, wenn man sich als Einzelner engagiert, einen ganzen Kontinent retten. Nach dem Motto: „Ich bin hier der Experte, zeige denen, wie es geht, und alles wird gut.“
Sie sprachen einmal von Besserwisserei, auf die Sie stießen.
Das liegt daran, dass man in Deutschland so viele Informationen kriegt. Da ist es nur menschlich zu glauben, man habe den Durchblick. Leider lebt das Bild vom armen Afrika bis heute fort. Daher mein Appell: Hört doch mal auf uns! Denkt nicht, ihr könntet einfach mit einem fertigen Konzept kommen und uns beibringen, wie wir etwas zu machen haben. Derjenige, der leidet, weiß oft am besten, wo genau er Hilfe braucht. Der Arzt fragt ja auch: Wo tut es weh? und erst dann fängt er an zu arbeiten.
Wie ist Afrika am besten zu helfen?
Indem möglichst viele Menschen dort Teil einer Wertschöpfungskette werden. Rein philantropische Bemühungen erwiesen sich sehr häufig als nicht nachhaltig: egal, ob man sie Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit nennt. Man muss die Wirtschaft miteinbeziehen. Wenn man sich Bilanzen von Firmen anschaut, die in Afrika tätig sind, stellt man fest: Es geht viel mehr Geld aus dem Kontinent raus als hineinfließt. Dennoch haben Sie selbst eine Entwicklungshilfsorganisation aufgebaut.
Mir geht es darum, dass die Kinder, mit denen ich arbeite, am Ende verantwortungsbewusste Erwachsene werden, die ihr Leben finanziell bestreiten können. Dazu müssen sie Geld verdienen können. In einem unserer Projekte haben wir die Teilnehmer angelernt, sich ein Küchengärtchen zur Selbstversorgung anzulegen. Manche ernten mehr, als sie verbrauchen. Jetzt fangen die Eltern an, das Obst und Gemüse auf den Markt zu bringen. Unser Motto ist: Nutzt, was ihr habt, um euer Leben zu verbessern.
Ihre Organisation gründeten Sie in Alego ...
... siebeneinhalb Autostunden von Nairobi entfernt. In Nairobi sind die Menschen umtriebig, die tun und machen, um Geld zu verdienen. Wenn man ins Becken des Viktoriasees hineinkommt, wird es ärmlich. Die Menschen dort besitzen häufig Land, bewirtschaften aber nur einen kleinen Teil davon. Der Rest liegt brach. Die Frage ist: „Warum nutzen die Menschen ihr Land nicht?“
Hat das etwas mit Tradition zu tun?
Nein, früher war das Land bebaut. Heute ziehen die jungen Leute in die Städte. Sie besuchen dort die Schule mit dem Ziel, später einen Bürojob zu bekommen. Doch davon gibt es nicht genug . Dagegen werden Leute gebraucht, die Landwirtschaft betreiben. Wir in Kenia könnten uns selbst ernähren. Gleiches gilt für viele afrikanische Länder. Das Problem ist, dass die meisten Bauern über 50, 60 Jahre alt sind. Es ist die Großelterngeneration, die in den Dörfern geblieben ist, und die haben nicht die Kraft, alle Felder zu bebauen.
Sie stammen selbst von einem Bauernhof, den die Welt kennt, seitdem Ihr Halbbruder im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft dort Ihre gemeinsame Großmutter Sarah besuchte. Wird der Hof noch in vollem Umfang bewirtschaftet?
Nein, meine Oma ist 93 Jahre alt. Ein bisschen was wird noch gemacht. Die Familie hilft, wo sie kann.
Sie haben vier weitere Halbbrüder und einen echten Bruder. Haben Sie viel Kontakt untereinander?
Die Frage ist mir zu privat. Ich rede nicht so gerne über meine Familie.
"Das Befremdlichste war das Angestarrtwerden"
Mit vier Jahren sind Sie nach Nairobi umgezogen. Damals hatte die Stadt 300 000 Einwohner, heute sind es drei Millionen. Können Sie sich noch erinnern, wie das Leben in Ihrer Kindheit war und wie es sich seitdem verändert hat?
Großstädte wachsen. Das ist nichts Besonderes. Für die Berliner ist ihre Stadt durch die Wende mit einem Schlag doppelt so groß geworden. Ich würde es allerdings begrüßen, wenn in Nairobi in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Gesundheitswesen mehr getan würde, damit das Leben für die Menschen einfacher wird.
Von Nairobi heißt es, es sei eine der kriminellsten Städte der Welt.
Wo haben Sie das denn gelesen?
Im Magazin „Focus“.
Ich halte nicht viel von solchen Ranglisten. In New York oder Berlin kann es genauso gefährlich sein wie in Nairobi. Es kommt darauf an, wo und wie man lebt.
Sie erleben das nicht so.
Nein. Man müsste sich eher fragen: Woher kommt dieses Bild? Was soll die Pauschalisierung bezwecken?
Nairobi ist teuer, laut „Le Monde diplomatique“ mit irren Mieten von 1200 Euro pro Quadratmeter.
Viele Organisationen, die woanders in Afrika arbeiten, haben ihre Basis in Nairobi. Es leben deshalb viele Ausländer dort, die viel Geld verdienen. Das treibt die Mieten hoch. Ich weiß nicht, worauf Sie mit Ihren Fragen zielen.
Es geht darum, ein Bild von Ihren Lebensbedingungen zu bekommen.
Haben Sie Angst, dass ich in Kenia in Gefahr bin?
Nein. Ich möchte nur gerne das pauschale Bild von Afrika, das Sie beklagen, um ein möglichst konkretes Ihrer Lebensumstände ergänzen.
Ich finde es schade, Interviewzeit zu verbrauchen, indem wir irgendwelche Gefahren der Großstadt am Beispiel von Nairobi durchsprechen. Ich könnte zu anderen Themen mehr beitragen.
Okay. Wie haben Sie das Deutschland der 1980er Jahre erlebt, als Sie als schwarze Studentin hier ankamen?
Ich war sehr jung, 19, und offen für alles Neue. Das Befremdlichste war das Angestarrtwerden. Das kannte ich nicht von zu Hause. Dort war ich ja eine von vielen.
Haben Sie Rassismus erlebt?
Dass man, weil man anders ist, manchmal diskriminiert wurde, habe ich natürlich erlebt. Doch ich habe schnell Deutsch gelernt und konnte mich dann wehren, was nicht heißt, dass es nicht wehtat.
Die Autorin Taiye Selasi, die ghanaisch-nigerianische Wurzeln hat, stört sich an einem freundlich gemeinten Satz: „Du bist ja gar nicht afrikanisch.“
Weil der Satz auf ein Stereotyp verweist, wie Afrikaner angeblich sind. Auch ich habe mich immer gegen den Satz gewehrt. Mitunter kam der Einwand, ich sei so geworden, wie ich bin, weil ich in Deutschland gelebt hätte. Darauf antwortete ich: „Ich kam hier schon so an. Überall in Afrika gibt es Tausende wie mich.“ Ich habe mich in Europa viel mit meiner Identität beschäftigen müssen. Ich bin Kenianerin. Wenn man spezifischer wird, bin ich aus dem Volk der Luo. In Kenia gibt es mehr als 40 verschiedene Völker.
Gibt es denn Ihrer Ansicht nach nichts Verbindendes zwischen Menschen aus afrikanischen Ländern, keine prägenden Erfahrungen, die sie teilen?
Doch: die Sklaverei und den Kolonialismus. Beides hat unsere Kulturen erschüttert. Die ganze Identität von Menschen wurde damals einfach abgeschafft. Damit haben wir alle auf dem Kontinent bis heute zu kämpfen. Doch ich halte die Schuldzuweisungen an die Kolonialmächte für überholt. Ich will nicht, dass mein Kind sagt: „Die Weißen sind furchtbar. Sie haben uns vor über 100 Jahren kolonialisiert, deswegen können wir heute mit unserem Leben nichts anfangen.“
Was meinen Sie mit überholt?
Wenn man glaubt, dass der Westen uns etwas schuldet, bleibt man auf den Westen fixiert, anstatt was Eigenes aufzubauen. Gerade diese Abhängigkeit muss man abbauen.
Der Chef des Hauses der Kunst in München, Okwui Enwezor, der aus Nigeria stammt, sagt: Die ganze Welt lebe in einem Westernismus.
"Man sollte nicht fragen: Macht der Westen mit"
Die Sache ist doch die: Indem die afrikanischen Länder kolonialisiert wurden, kam eine westliche Kultur zu unserer eigenen Kultur hinzu. Meine Identität ist nicht nur, dass ich Luo bin, sondern auch, dass ich in die Schule gegangen bin. Die Schule ist eine westliche Institution, die wir übernommen haben. Die Verwestlichung ist ein Teil von mir.
Was Sie begrüßen.
Es gibt kein Zurück in die traditionelle, vorkoloniale Zeit. Zu leben wie meine Oma und meine Urgroßmutter ist keine Option mehr.
Das wollten Sie nicht.
Wollen Sie wie Ihre Oma leben? Und es hat nichts mit Wollen zu tun. Man hat keine Wahl.
Man kann seine Lebensumstände bis zu einem gewissen Grad durchaus gestalten.
Ja, zum Programm meiner Hilfsorganisation gehört ausdrücklich der Baustein Persönlichkeitsentwicklung. Jugendliche sollen Selbstvertrauen bekommen, dass sie aus ihrem Leben etwas machen können und auch müssen.
Kenia liegt in der Korruptionsrangliste von Transparency International auf dem 154. von 174 Plätzen. Was kann man mit Eigeninitiative bewirken, wenn die staatliche Struktur so defizitär ist?
Korruption gibt es überall. Nur das Ausmaß ist unterschiedlich. Wir arbeiten daran, dass Menschen auch im gesellschaftlichen Leben ihre Stimme erheben.
In Ihrer Autobiografie schrieben Sie, dass der kenianische Staat in den 70ern, als Ihr Vater dort im Finanzministerium angestellt war, von Korruption geprägt gewesen sei. Ihr Vater habe nicht mitgespielt und deshalb seine Stelle verloren. Als er später bei einem Autounfall umgekommen ist, vermutete die Familie einen politischen Mord.
Wir sprachen immer von „Tod unter ungeklärten Umständen“.
Über Ihre Erziehung schrieben Sie: Ein afrikanisches Kind widerspricht seinen Eltern nicht.
So ist es in unserer Kultur. Alter wird wertgeschätzt. Sogar meinem zwei Jahre älteren Bruder Abongo musste ich Respekt zollen. Normalerweise schaut man als Kind Erwachsenen nicht in die Augen. Das gilt als frech. Bei uns in der Stiftung bringen wir den Kindern, mit denen wir arbeiten, bei, es dennoch zu tun – aber mit Respekt.
Manche sagen, in den Reaktionen auf die islamistischen Anschläge Anfang des Jahres in Paris habe sich gezeigt, dass dem Leben von Europäern noch immer größerer Wert beigemessen werde als beispielsweise dem von Afrikanern. Zur selben Zeit tötete Boko Haram in Nigeria viel mehr Menschen, ohne dass das große Beachtung erfuhr.
In den kenianischen Medien war es genauso. Ich zitiere meine Tochter. Sie sagte: „Es sind Menschen in Paris gestorben. Wir haben den ganzen Tag in den Nachrichten darüber gehört. Fast zur selben Zeit sind im Norden Nigerias um die tausend Menschen ermordet worden. Darüber wird kaum berichtet. Mama, warum?“ Wie erklären Sie sich die Nachrichtengewichtung?
Dass Anschläge in Nord-Nigeria häufig nur kurz vermeldet werden, liegt sicher auch daran, dass dort die großen internationalen Medien keine Korrespondenten haben. Es gibt wenig Material, das man senden könnte. Oder wie ist Ihre Erklärung?
Ausschlaggebend für die weltweite Gewichtung einer Nachricht ist die Angst, persönlich betroffen zu sein. Bei Ebola stieg im Westen das Medieninteresse in dem Moment drastisch an, als auf einmal Menschen in Europa und den USA ankamen, die erkrankt waren. Ebola gab es da schon anderthalb Jahre. Letztendlich denkt jeder an sich. Doch auch hier gilt: Es bringt nichts, zu sagen, „der Westen müsste darüber berichten“. Man muss selbst agieren. Man sollte dabei nicht über die Schulter schauen und fragen: Macht der Westen mit?
Sie wirken sehr selbstbewusst. Fühlen Sie sich als Frauenrechtlerin?
Als ich in Deutschland studierte, gefiel mir die Frauenbewegung sehr. Mit einer Ausnahme: Manche Feministinnen vertraten die Ansicht, afrikanische Frauen seien besonders unterdrückt. Diese Pauschalisierung stimmte nicht. Meine Mutter konnte beispielsweise ohne Weiteres ganztags arbeiten. Dagegen waren viele deutsche Frauen bereits um zwölf zu Hause, weil sie keine „Schlüsselkinder“ haben wollten. Eine arbeitende Frau musste befürchten, als schlechte Mutter stigmatisiert zu werden. So frei waren die deutschen Frauen also doch nicht.
Nein, aber als unzumutbar erscheint uns deutschen Frauen die Vielehe, die mancherorts in Afrika und in Ihrer eigenen Familie vorkommt: Ihre Großmutter Sarah war die vierte Frau Ihres Großvaters. Können Sie als moderne Frau dem Lebensmodell etwas abgewinnen?
Ich habe meine Großmutter mal gefragt, weil die Konstellation für mich auch befremdlich ist. Sie sagte, sie fand’s normal. Außerdem lebte meine Großmutter mit meinem Großvater allein. Denn die dritte Frau, die leibliche Mutter meines Vaters, ist vom Hof weggegangen, weil sie offenbar nicht polygam leben wollte.