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Das Ufo steht. Demnächst wird die Zentrale von Apple vollendet – der Entwurf des Glasrings mit 1,6 Kilometern Umfang stammt von Sir Norman Foster.
© AFP

Tech-Tourismus im Silicon Valley: Im Tal der Drahtlosen

Jeder kennt das Silicon Valley. Doch wie sieht es dort aus? Tech-Touristen wollen es wissen. Eine Rundreise zum 5. Todestag von Steve Jobs.

Crist Drive, Hausnummer 2066, in Los Altos, Kalifornien. Als die Familie Jobs vor etwa 60 Jahren in diese Gegend zog, war aus einer Aprikosenplantage gerade eine Schlafstadt mit eingeschossigen Reihenhäusern entstanden. Architektonisches Mittelmaß, das nie weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, wenn nicht Steve Jobs und Steve Wozniak in der popeligen Garage mit dem Rolltor vor 40 Jahren den ersten Apple-Computer gebaut hätten.

Zuerst kamen die schicksten Computer der Welt, später folgten mit iPod, iPhone und iPad die Technikikonen des digitalen Zeitalters. Fünf Jahre nach dem Tod von Steve Jobs tuckern nun Kleinbusse und Mietautos an der Adresse vorbei. Spürt man die Magie in der Auffahrt?

Falls ja, warnt gleich ein Schild alle Social-Media-Dokumentaristen: Bitte nicht aussteigen und Fotos machen! Auf der Veranda des Nachbarhauses zieht sich eine ältere Frau in ihr Wohnzimmer zurück. Vielleicht verflucht sie diese Garage, die der Nachbarschaft ungewolltes Verkehrsaufkommen und eine neuartige Reiseform beschert: den Tech-Tourismus.

Früher reisten Familien an antike Stätten, um Denkmäler von untergegangenen Kulturen in Rom oder Kairo zu bestaunen. Heute besichtigen sie Orte, wo es um die Geschichte der Zukunft geht. Die Rechner im Computer History Museum von Palo Alto, eine halbe Stunde Autofahrt von Jobs’ Elternhaus entfernt, bergen das Versprechen auf ein rationalisiertes, einfacheres Leben in sich – auch wenn sie wie Bleisärge aussehen.

Die größten Attraktionen im Silicon Valley? Garagen

Garagen wie die von Jobs sind die größten Attraktionen des Silicon Valley. Womit schon alles über den Monumentalcharakter der Gegend gesagt wäre – und die Anfangsirritation des Reisenden erklärt. Niemand außerhalb des Tals weiß, wie er sich dieses Valley vorzustellen hat.

Selbst nachdem er einen 500 Seiten dicken Roman wie „The Circle“ von Dave Eggers gelesen hat. Das Buch spielt in einer fiktiven Firma, beschreibt jedoch kaum das Tal, dafür ausführlich die Gefahr der drahtlosen Datenverknüpfung, die Apple, Google und Facebook perfektioniert haben.

Jahrhundertelang hieß es Santa Clara Valley. Es wuchs zu einem Stadtgürtel, der sich 70 Kilometer von San Francisco ins Landesinnere schlängelt, von zwei Highways und Dutzenden Querstraßen zerschnitten und mit belangloser Architektur bebaut ist. Nichts ist hier Protz, alles verschwindet hinter Schindeldächern, Eukalyptusbäumen und Glasfassaden.

Silicon Valley heißt der Ballungsraum seit den frühen 1970er Jahren, als man begann, aus dem Wüstensand die Siliziumchips für das Computerzeitalter zu formen. Die zwei wertvollsten Konzerne der Welt, Google und Apple, sind im Valley ansässig, nur ein paar Kilometer voneinander entfernt. Facebook vernetzt von hier aus Menschen, Adobe versorgt sie mit Software.

Das Unternehmen hat seinen Sitz im Hauptort San José. Die Stadt hat mehr als eine Million Einwohner, ist größer als das nördlich gelegene San Francisco, leidet aber unter akuter Nichtbeachtung. Viele ausländische Touristen denken beim Ortsnamen an die Hauptstadt von Costa Rica und nicht an das Geschäftszentrum des Silicon Valley.

Viele Viertel sind mit identischen Häusern bebaut worden

Das hat mit dem Egalitätsprinzip der Stadt zu tun. Viele Viertel sind mit identisch aussehenden Häusern bebaut, Eigenheim-Replika im spanischen Kolonialstil, weiß getünchte Suburbia-Straßen, eingeschlossen von einschüchternden Autobahnauffahrten.

In Downtown hat sich etwas Historie erhalten. Der Ort wurde 1777 gegründet, 1850 war er für ein Jahr kalifornische Hauptstadt, es gibt eine Kathedrale und in der Market Street Backsteinkästen, die an New York erinnern. Bars, Restaurants, Läden logieren darin, doch gleich gegenüber versperrt ein achtgeschossiges Parkhaus die Sicht.

Die University Avenue in Palo Alto.
Die University Avenue in Palo Alto.
© Alamy Stock Photo

Es hat einen Grund, warum niemand einen Schimmer hat, wie dieses Silicon Valley aussieht, wenn die größte Stadt nur Mut zur Funktionsbauweise besitzt. Der Minderwertigkeitskomplex ist historisch gewachsen. Lange war das Tal nur landwirtschaftliches Hinterland für San Francisco. Dank des milden Klimas, tagsüber zwischen 25 und 30 Grad, nachts um 15 Grad, gediehen Getreide, Gemüse, Wein und Obst. In der Kornkammer der Metropole lebten Bauern, Obstpflücker und ein paar Stadtmüde.

Im Gegensatz zur lässigen Hippie-Hochburg San Francisco waren die ineinander übergehenden Städte des Tales steif wirkende Orte. Bis zwischen den Santa Cruz Mountains und der San Francisco Bay die größte Innovationszelle der kapitalistischen Wirtschaft heranwuchs. Angetrieben vom Wissensdurst der Stanford University in Palo Alto, dem Machthunger des US-Militärs in den Basen an der Bay und der davon profitierenden Technologiebranche, die half und mitforschte.

Steve Jobs und die Sache mit den Behindertenparkplätzen

Steve Jobs bei einem Vortrag und als junger Tüftler.
Steve Jobs bei einem Vortrag und als junger Tüftler.
© AFP

Davon zeugen die Exponate im Computer History Museum. Indische Familien, asiatisch aussehende Mädchen, bebrillte Familienväter staunen über die Enigma-Kodierungsmaschine der Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg und die ersten Volkszählungscomputer der Vereinigten Staaten. Sie beugen sich über die Exponate wie Archäologen über Steinzeitrelikte – und wollen verstehen, wie der Mensch die Welt kodieren und zähmen wollte.

Es geht zum Glück nicht mehr um Kriege, Tech-Tourismus ist Reisen mit dem Fortschrittsglauben. Mit der unerschütterlichen Gewissheit, dass mit Technik alles einfacher und besser wird. Steve Jobs glaubte daran. Begonnen hat diese Entwicklung jedoch in einer anderen Garage, die mittig zwischen Museum und Elternhaus liegt.

Palo Alto, 369 Addison Avenue, gleich an der Ecke zur feinen Waverley Street. Theoretisch ein schöner Spaziergang vom Computermuseum entlang schattiger Magnolienalleen, nur fährt jeder mit Porsche, Prius oder Silicon Valleys eigener Automobilfantasie, dem Elektroauto von Tesla.

Der Schuppen mit den fichtengrünen Türen und dem braun gestrichenen Holz gehört zu einem Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert, errichtet im Stil des Arts & Craft, einer Bewegung, die sich auf das Handwerk besann. Zwei Etagen, eine Veranda am Eingang, kleine Fenster, geduckte Architektur. Am Bürgersteig verdecken Bäume die Sicht, alles an dem Haus wirkt wie eine Entschuldigung, dass es überhaupt gebaut wurde.

Der erste Kunde von Hewlett-Packard war Walt Disney

Hier lebte Ende der 1930er Jahre Dave Packard mit seiner Frau, in der Garage gründeten er und sein Geschäftspartner William Hewlett 1939 eine Firma, die zunächst Tonfrequenzoszillatoren herstellte. Das waren Geräte, die elektronische Audiosysteme testeten. Der erste Kunde war das Studio von Walt Disney, das den HP200A einsetzte, als es den Zeichentrickfilm „Fantasia“ produzierte. Hewlett-Packard war geboren.

Das Gebäude ist heute im Besitz der Firma, hinein können Besucher nach Voranmeldung. Touristen aus China, Indien, Deutschland und anderen Teilen der USA halten in der beschaulichen Straße. Denn an der Veranda prangt eine Plakette, die es abzulichten gilt: „Geburtsort des Silicon Valley“.

Was nicht ganz korrekt ist. Mit dem namensgebenden Silizium arbeitete das Unternehmen damals nicht. Aber so hat die Welt einen Ort, an dem sie dem Ursprung der Technologie-Moderne huldigen kann. Auch Steve Jobs, der als junger Mann die Leistung von Hewlett-Packard verehrte, streifte bestimmt an diesem reizenden Haus vorüber.

Jeden Tag offene Tür. Die Garage von Hewlett-Packard.
Jeden Tag offene Tür. Die Garage von Hewlett-Packard.
© AFP

Überhaupt, Steve Jobs. Er ist der Geist, der durch das Tal spukt. Er fuhr seinen Mercedes ohne Nummernschild durch die Straßen Palo Altos und parkte das Auto gern auf Behindertenstellplätzen. Der junge Multimillionär fand in der Stanford Mall ein teures rotes Ralph-Lauren-Kleid für die Sängerin Joan Baez, mit der er eine Affäre hatte, und riet ihr zu, es zu kaufen – kam jedoch nicht auf die Idee, es der weniger vermögenden Künstlerin zu schenken.

Auf der Waverley Street steht das Haus von Jobs, in dem er bis zu seinem Tod am 5. Oktober 2011 lebte und wo weiterhin seine Familie wohnt. Etwas zurückgesetzt von der Straße liegt das Anwesen, ein Backsteinhaus wie ein großes englisches Cottage. Dass darin ein Milliardär 20 Jahre gelebt hat, lässt sich am Äußeren nicht erahnen.

Nur die Grundstückspreise legen diesen Schluss nahe. Larry Page (Google), Marissa Mayer (Yahoo) und Mark Zuckerberg (Facebook) haben in der Nähe für ihre Häuser ebenfalls Millionenbeträge gezahlt.

Professorville heißt die ruhige Gegend bis heute

Das ruhige Viertel heißt bis heute Professorville und erinnert an die Vergangenheit. Bereits im späten 19. Jahrhundert wurde in Palo Alto die Stanford University gegründet, ihr Lehrkörper wohnte hier, das parkähnliche Anwesen der Universität ist ein paar Minuten entfernt. Wie es sich gehört, ist der Campus schön hinter Bäumen und Mauern versteckt.

Viele Reisende zieht es sowieso lieber zum Firmensitz von Google, zum Googleplex, wo sie die quietschbunten Gratisräder testen und sich vor hässlichen Spielplatzfiguren knipsen. Mannshohe Avatare von Süßigkeiten, die als Namenspate für Versionen des Androidsystems von Google standen: Eis, Donut, Cupcake. Die Skulpturen sehen aus, als hätte Jeff Koons einen richtig schlechten Tag gehabt.

Da bietet Apple mehr Klasse an. Im schlicht gestalteten Geschäft an der Firmenzentrale stehen neben den eigenen Produkten auch besonders gebrannte Keramiktassen für 30 Dollar, von denen man vorher gar nicht glauben wollte, dass man sie haben muss. Minimalistisches Design aus Japan, dem Land, das Steve Jobs bis zu seinem Tod faszinierte und mit jedem seiner Kinder besucht hat.

Sein Erbe wird es nun sein, das die Untertreibungssucht des Silicon Valley beendet. In ein paar Monaten zieht Apple aus dem Glaskasten am Infinity Loop aus und wird ein spektakuläres Gebäude in Cupertino beziehen, das der britische Stararchitekt Norman Foster entwarf.

Der geschlossene Kreis aus gebogenen Glasplatten wird einen Umfang von 1,6 Kilometern und Platz für 13 000 Angestellte haben. Das wird der vermutlich erste Monumentalbau der Tech-Gesellschaft. Wenn man den Flughafen San José anfliegt, sieht man ihn schon: den gigantischen Ring, der wie ein Raumschiff in der Landschaft sitzt. Damit weiß nun jeder, wie es im Silicon Valley aussieht.

Ulf Lippitz

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