Aufstand gegen die Babyboomer: Ihr habt auf unsere Kosten gelebt!
„Ok Boomer“ ist der Schlachtruf einer frustrierten Generation, die den Babyboomern Schuld an allem gibt, was schief läuft – aber Angst vor sich selbst hat. Eine Kolumne.
Sind sie nicht schlimm, diese Alten von heute? Privilegiert und engstirnig haben sie den Planeten an den Rand des Kollaps konsumiert, unterstützen die Spaltungspolitik der Populisten und sind dann noch so dreist, sich über die Jugend zu beschweren, die die Konsequenzen ihres rücksichtslosen Verhaltens ausbaden muss – Frechheit! Da ist es doch nur gerecht, dass die sogenannten „Boomer“, also die zwischen 1946 und 1964 Geborenen, Zielscheibe des jugendlichen Gespötts sind, oder?
Jedenfalls, wenn es nach „Ok Boomer“ geht, einem Begriff, der in den sozialen Netzwerken kursiert und als süffisante Antwort auf als selbstgerecht und reaktionär empfundene Kommentare der Babyboomer dient. „Ok Boomer“ ist die Retourkutsche der Jugend für die herablassende Unbelehrbarkeit der Nachkriegsgeneration. Es sei, schrieb Taylor Lenz in der „New York Times“, ein Schlachtruf der frustrierten Jugend und eine Reaktion auf die Scheuklappenmentalität einer älteren Generation, die kein Fehlverhalten bei sich erkennen will. Der Frieden zwischen den Generationen, so Lorenz, sei vorbei.
Ihr habt auf unsere Kosten gelebt!
Besonders beim Klimawandel klafft eine große Verständnislücke zwischen Alt und Jung. Der Vorwurf an die Alten: Ihr habt auf unsere Kosten gelebt, den Planeten zerstört und besetzt jetzt gleichgültig die Führungsetagen oder wählt Parteien, die sich mit Minimallösungen gegen den Klimawandel gegenseitig unterbieten.
Deren Vorwurf an die Jungen: Euer Protest ist realitätsfern und will uns unseren Lebensstil und unsere Denkart verbieten und stützt sich auf selbstbemitleidendes und moralisierendes Rumgeheule. Im Grabenkrieg zwischen den Generationslagern geht es um Teilhabe, Verantwortung, Freiheit, Zukunft, aber vor allem um Gerechtigkeit. Darüber, bei wem die Entscheidungshoheit über die Zukunft liegt und wie sie genutzt wird. „Ok Boomer“ bringt es auf den Punkt: Eure Zeit ist vorbei, macht Platz!
Es ist eine Verweigerung des Dialogs, ein nonchalantes „Jaja, whatever“, ein Totschlagzitat fürs Instagram-Zeitalter. Der Frust und die Ungeduld, die es untermauern, sind mehr als nachvollziehbar, dennoch ist die Haltung wenig zielführend. Gerade beim Klimaschutz kann nicht auf die Hilfe der Boomer verzichtet werden und ihr wachsender Anteil an der grünen Erfolgswelle zeigt, dass Überzeugungsarbeit sich hier durchaus lohnt. Und sind nicht eh alle Generationsgruppierungen grobe Verallgemeinerungen, die reaktionäre Stereotypen fördern?
Wenn es um Sachfragen geht, und beim Klimaschutz geht es ausschließlich darum, kann es nichts Dümmeres geben, als die Gesellschaft zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen vielmehr eine gemeinsame Strategie.
schreibt NutzerIn Gophi
Bei den Millennials herrscht Schadenfreude
Wird die Klimakrise zu sehr zum Generationenkonflikt gemacht, befördert das Spaltung bei einem Problem, das den größtmöglichen Schulterschluss benötigt. Zudem wird das Alter so Teil einer Identitätspolitik, die politisches Handeln auf Partikularinteressen gewisser Gruppierungen reduziert und nicht nur in konservativen Kreisen im Verruf steht, Stammesdenken zu fördern.
Vielleicht ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade Millennials (geboren zwischen 1980 und 2000) sich an der Boomer-Schadenfreude ergötzen. Seit Jahren suchen sie nach einer politischen Identität und ihrem Platz in den Annalen jugendlicher Revolten. Da waren zwar der Protest gegen den Irakkrieg, Occupy und auch #Metoo, aber auch die geringe Wahlbeteiligung beim Brexit-Votum oder dem Erfolg von Donald Trump und die klimaschädliche Vielfliegerei.
Die Millennials sehen sich im Schatten der 68er und spüren, wie die Nachfolgegeneration mit Greta Thunberg an der Spitze sie allmählich alt aussehen lässt. Das ergibt das nagende Gefühl, mehr handzahm als radikal zu sein, und die Befürchtung, wie X-er (1965 bis 1980) zu einer Übergangsgeneration zu werden – und die Angst, am Ende selber zu Boomern zu werden.
Wer will schon der nächste Ewiggestrige sein?
Waren nicht gerade die auch mal radikal und trauten sich etwas, als sie die Parole ausgaben „Traue keinem über 30“ und konservativen Konventionen zerstörten?
Vielleicht ist ja doch was dran an den Vorwürfen, Millennials würden am Peter-Pan-Syndrom leiden und das Erwachsenwerden verweigern. Nicht etwa aus Angst vor Verantwortung oder harter Arbeit, sondern davor, dem Fortschritt nicht mehr folgen zu können. Es wäre naiv zu glauben, dass die Jungen von heute sich nicht irgendwann selber den Vorwurf der Ewiggestrigkeit anhören müssten. Ist doch auch ein fairer Trost, ok Boomer?
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