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Bryan Ferry
© Pascal Le Segretain/Getty Images

Poplegende Bryan Ferry: „Ich würde nie in Jogginghosen rumlaufen“

Die Garderobe von Jimi Hendrix war ihm zu lumpig, Bryan Ferry schätzte die von Cary Grant. Heute vermisst er die Dekadenz in Berlins Nachtleben. Das Interview entstand vor dem Verkehrsunfall, bei dem Bryan Ferrys Sohn Merlin schwer verletzt wurde

Mister Ferry, Sie enttäuschen mich.

Wieso?

Als ich Sie vor zwei Jahren traf, lümmelten Sie im Sessel, hinter Ihnen lag eine Flasche Champagner im Kühler. Bryan Ferry, der Lebemann!

Die Flaschen stehen immer in den Hotelsuiten herum, aber ich rühre sie kaum an. Ich mag Wein lieber, Champagner trinke ich nicht oft.

Zu prickelnd für Ihre Stimme?

Das ist einer der Gründe. Mein Arzt rät dazu, gar keinen Alkohol zu trinken. Nicht, dass ich oft auf ihn höre. Ein Glas Gin vor dem Abendessen, da sage ich nicht Nein. Offenbar bin ich kein Connaisseur, ich trinke Bombay Gin. Ein Barkeeper erzählte mir kürzlich, dass das keine gute Wahl sei.

Sie lassen auch zu Silvester keine Korken knallen?

Wenn ich auf eine Party in das Haus eines Freundes gehe und im Foyer steht eine Schale mit Champagnerflaschen, nehme ich halt eine. Ich will ja nicht als schwierig gelten, weil ich nach einem Cocktail frage.

Es kommt sicher vor, dass der Gastgeber dann einen Ihrer Hits spielt – „Slave to Love“, „Let’s Get Together“ oder „More than this“?

Nur wenn er nicht besonders kultiviert ist. Sehr reiche Männer tun das öfter. Mir wird unwohl, wenn ich meine Stimme aus den Lautsprechern höre, ich versuche dann, diskret zu verschwinden.

Sie mögen gar keine Feste.

Silvester finde ich überschätzt, Weihnachten hingegen schön, weil ich mit meiner Familie zusammen sein kann. So ein altmodischer Brauch wie ein Weihnachtsbaum im Wohnzimmer gefällt mir. Meine vier Söhne sind jetzt über 20 Jahre, aber ich wickle nach wie vor ein paar Bücher in Geschenkpapier ein und lege sie ihnen unter den Baum.

Wo verbringen Sie die Feiertage?

In meinem Landhaus in Sussex. Ich habe meine Jungs dieses Jahr nicht oft gesehen, weil ich viele Konzerte gegeben und das neue Album aufgenommen habe. Zehn Tage Ruhe auf dem Land, toll!

Wird Ihr Sohn Isaac wieder Platten auflegen? Letztes Jahr war er Silvester als DJ auf der exklusiven Karibikinsel Mustique gebucht. Ihnen hätte es als Kind der 50er Jahre gefallen. Sein Set fing an mit „One, two, three, four, four o’clock rock …“

Bill Haley! Wussten Sie, dass ich ihn als Kind sogar mal live gesehen habe? 1956 in Sunderland, der Nachbarstadt von Newcastle, wo ich aufwuchs. Ich war zehn und hatte bei Radio Luxemburg zwei Sitze in der ersten Reihe gewonnen. Ich nahm meine große Schwester mit. Fantastisch! Diese Rockabilly-Jungs auf der Bühne, die auf ihren Gitarren schrammten, sie sahen so wild aus. Heute würden Zuschauer das total lahm finden.

Ihr Vermögen beträgt 38 Millionen Euro. Wie viel vom Sohn eines Minenarbeiters steckt noch in Ihnen?

Ach …

Erst haben Sie gelacht, jetzt seufzen Sie.

Ich denke, ich bin einfach ich selbst geworden. Indem ich andere Welten erkundete, zuerst in Büchern, über Kunst und Geschichte, ich war fasziniert von der Französischen Revolution. Und als ich „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald in der Schule las, habe ich mich zum ersten Mal für Literatur begeistert – und nicht nur ein Buch gelesen, weil ich es musste.

Was fanden Sie faszinierend an dem Roman?

Den Romantizismus. Fitzgerald beschreibt selbst wunderschöne Dinge immer mit einer bittersüßen Note. Sogar wenn er eine Party der 20er Jahre schildert, den Exzess jener Zeit, spürt man diese Melancholie. Ich habe mich mit Gatsby identifiziert. Weil ich wie er aus einer armen Familie kam, ich war ein Selfmademan, der Junge aus County Durham ist nun eine internationale Figur. Dank meiner Eltern und ein bisschen Unterstützung der staatlichen Schulen ist mir das gelungen. Sonst wäre ich vielleicht als Fabrikarbeiter geendet.

Sie stocken.

Ich bin, ich weiß nicht, vielleicht doch zu sensibel für so eine Arbeit.

"Deshalb bin ich bis heute empfindlich gegen Kälte"

Bryan Ferry
Bryan Ferry
© Pascal Le Segretain/Getty Images

Das Washington der 50er Jahre, diesen Vorort der Industriestadt Newcastle, spüren Sie noch?

Ich kann mich in den siebenjährigen Jungen hineinversetzen, der an der Bushaltestelle steht, auf den Bus nach Newcastle wartet und friert. Wie ich mit dem Bus in die Stadt fahre. Ich erinnere mich an die kalten Morgen, wenn ich Zeitungen austrug, bevor ich in die Schule musste. Dieser beißende Wind aus Nordosten, der mir ins Gesicht blies. Ich war bis auf die Knochen durchgefroren, deshalb bin ich bis heute empfindlich, wenn es zu kalt ist.

Sie haben einmal gesagt, Sie fühlen sich durch Ihre Karriere vom Arbeiterkind zum Superstar als klassenlos. Nehmen Sie sich die Freiheit, in London manchmal mit der U-Bahn zu fahren?

Himmel, nein! Es wäre mir sehr unangenehm, wenn man mich anglotzte. Stellen Sie sich vor, ich gehe in diesen Tagen runter, an den Wänden hängen womöglich Plakate von meinem Album, mit meinem Bild darauf. Wie peinlich wäre das!

David Cameron wurde in der Zeitung abgebildet, wie er die U-Bahn zur Arbeit nahm …

… und man sah ihm wirklich an, wie unbehaglich er sich dabei fühlte. Das ist albern. Politiker, die den Zug nehmen und sich in die dritte Klasse setzen. Warum sollte der Premierminister das tun? Diese Angst, etwas politisch Unkorrektes zu machen, gab es in meiner Jugend nicht.

Was vermissen Sie am meisten von damals?

Natürlich Plattenläden. Das ist schockierend, wie wenige noch existieren. Im September war ich in Chicago in einem fantastischen Geschäft für Jazz- und Bluesplatten, selbstverständlich Vinyl. Es war so großartig, wieder in diese Welt einzutauchen.

Wahrscheinlich konnten Sie früher länger feiern als heute?

Sie wissen ja, man kann nicht in den 70er Jahren im Rock-Geschäft gewesen sein, ohne ein paar wilde Partys erlebt zu haben. Es gab Nächte, da wollte ich einfach nicht ins Bett. Heute bin ich ganz froh, wenn ich um Mitternacht zu Hause bin und schlafen kann.

Eine Zeit, um die viele Jüngere erst aufbrechen.

Ich schätze, ich wäre gern ein wenig mehr wie sie, aber ein echtes Bedürfnis verspüre ich nicht danach. Nach wie vor gehe ich fast jeden Abend weg, vor allem in Restaurants oder zu Ausstellungseröffnungen. Nur für einen Club reicht die Energie nicht mehr. Zu Hause lese ich, gucke mir einen Film an, mir fällt ein, wem ich noch schreiben müsste, irgendwas um mich zu beschäftigen.

Warum?

Ich schalte schlecht ab und gehe ungern sofort zum Schlafen ins Bett. Lieber schaue ich mir was im Fernsehen an, schalte das Licht aus und schlafe so ein. Eine tolle Art, den Tag zu beenden. Leider komme ich morgens nicht leicht aus dem Bett.

Verstehen Sie Menschen, die erst um vier Uhr nachmittags aus dem Club nach Hause kommen?

Ich finde das komisch. Auf Ibiza sehe ich das. Manchmal besuche ich einen von diesen Riesenclubs, aber um zwei Uhr sage ich: Können wir bitte gehen? Alle schreien „Yeah“, weil sie denken, wir machen jetzt bei mir zu Hause eine Privatparty. Ich muss sie ernsthaft entmutigen mitzukommen, denn ich will nur eines: schlafen.

Erholsamer Schlaf schont immerhin Ihre Stimme. Damit Sie so samtweich klingen wie auf Ihrer aktuellen Platte „Avonmore“, müssen Sie Regeln befolgen: weniger Koffein und Alkohol trinken.

Ich trinke viel Ingwertee, so wie jetzt gerade. Nur einen Kaffee pro Woche. Aber Alkohol?

Ein Gin vor dem Auftritt geht immer.

Nein, nie! Nach dem Konzert gönne ich mir einen Drink, aber nie backstage. Die Räume hinter den Bühnen sind im Normalfall nicht so schön, dass ich da bleiben möchte. Deshalb gehe ich lieber in eine Bar, nur: Zu laut darf sie nicht sein. Nach einem Konzert habe ich keine Lust, meine Stimme zu strapazieren, indem ich andere Menschen anschreien muss.

Auch eine Strategie, seine Stimme zu schützen.

Ich verliere meine Beherrschung nur, wenn jemand die Temperatur falsch einstellt. In Montreal ist mir das dieses Jahr geschehen. Als das Konzert zur Hälfte vorüber war, hatte jemand die glänzende Idee, die Klimaanlage anzuschalten. Da stand ich auf der Bühne, verschwitzt, und mit einem Mal fröstelte ich. Drei Tage war ich erkältet und musste die nächsten Konzerte absagen.

In Berlin mussten Sie wegen einer Kehlkopfentzündung im November ein Konzert absagen. Klimaanlagen sind heutzutage überall: in Hotels, Läden ...

… und in Supermärkten. Deshalb laufe ich schnell rein und wieder raus, wenn ich was kaufen muss. Ich bewege mich von Hotelzimmern in Taxis in Flugzeuge, da komme ich in Räume mit unterschiedlichen Temperaturen. Das ist Gift für meine Stimmbänder. Deshalb trage ich immer einen Schal, wie jetzt auch.

Außerdem haben Sie einen maßgeschneiderten Anzug an, wahrscheinlich von Ihrem Lieblingsschneider Anderson & Sheppard in London. "Bei Roxy Music war das Schöne, dass wir als Band harmonierten"

Bryan Ferry
Bryan Ferry
© Pascal Le Segretain/Getty Images

Ich habe Freunde, die wie Dandys herumlaufen. Die mit Monokel und Zylinder aus dem Haus gehen. Da kleide ich mich doch unter ihrem Niveau. Ich würde allerdings nie in Jogginghosen herumlaufen. Besonders Frauen fragen mich häufiger: Haben Sie keine Jogginghosen für zu Hause? Nein, habe ich nicht. Im Fitnessstudio, ja, aber doch nicht in der Wohnung.

Sogar als Student bevorzugten Sie schon Anzüge – das war während der Hippie-Ära, als alle Schlaghosen und Rüschenhemden trugen.

Das war eine dickköpfige Reaktion auf die Hippies. Ich mochte den Stil des Rat Packs lieber, die Anzüge von Frank Sinatra. Ich war geprägt von Hollywoodfilmen, die ich als Teenager im Kino neben unserem Haus gesehen hatte. Cary Grant in „Der unsichtbare Dritte“, das war mein Vorbild, Anzug, Krawatte, nicht die lumpige Garderobe von Jimi Hendrix.

Mit Anzug stehen Sie nach wie vor auf der Bühne. Sie sind in den vergangenen Jahren viel getourt, haben in zehn Jahren vier Alben aufgenommen. Warum diese Rastlosigkeit?

Sehen Sie, ich habe vier Söhne. Als sie in den 90er Jahren aufwuchsen, bin ich kreativ stehengeblieben. Ich versuchte zu arbeiten, konnte mich aber nicht konzentrieren. Immer fühlte ich mich schuldig: wenn ich Konzerte gab, weil ich nicht bei meiner Familie war, wenn ich zu Hause war, weil ich keine Musik machte. Ein Dilemma. Nun sind meine Kinder erwachsen, ich habe die Freiheit, mich wieder meiner Arbeit zu widmen. Komischerweise sind mir meine Söhne da sehr behilflich.

Inwiefern?

Einige von ihnen geben mir das Gefühl, in einer Band zu sein. Isaac macht mich mit elektronischen Musikern bekannt, zum Beispiel dem Norweger Todd Terje, der ein Lied auf meinem Album produziert hat. Tara spielt Drums für mich. Bei Roxy Music war das Schöne, dass wir als Band harmonierten. Wir standen uns Anfang der 70er Jahre sehr nahe, die ersten beiden Jahre lebten Andy Mackay, unser Saxofonist, und ich in derselben Wohnung. Ich schrieb Lieder, mit unserem Manager rannten wir in der Küche hin und her und entwarfen Strategien.

Wie Roxy Music die Welt erobert!

So was in der Art. Wir diskutierten die Tourneen, das Plattencover, die Musik, alles. Als ich mit der Band 1983 aufhörte, fühlte ich mich ein wenig einsam – ich habe mir jetzt über Jahre eine Band zugelegt, die mit mir tourt, dazu zählt auch Tara. Nur dieses Mal wird er nicht dabei sein, weil er inzwischen Kunst studiert. Bei den Plattenaufnahmen hat er mich noch unterstützt. Mit ihm kann ich mich unterhalten, wenn das Studio um acht Uhr schließt. Was hältst du von dem Lied? Er hat keine Scheu davor, mir seine Meinung zu sagen.

Eine gefährliche Mischung, wenn Vater und Sohn zusammenarbeiten.

Ich weiß, wie er als Musiker ist, weil ich ihn dazu erzogen habe. Als er ein Teenager war, habe ich gesagt: Tara, du willst Drummer werden? Dann hör dir alle Platten mit Al Jackson an …

Jackson hat in den 60er und 70er Jahren auf vielen R&B-Platten mitgewirkt, von Otis Redding oder Al Green ...

… und er hörte sich die alten Platten an, wollte mehr wissen, also empfahl ich Tara, den Sound von Andy Newmark zu studieren, der für Sly & The Family Stone gespielt hat. Dadurch wurde Tara ein guter Schlagzeuger. Ich finde übrigens nicht nur seine Meinung wichtig. Unseren jungen Studioassistenten, der für uns den Tee macht, frage ich genauso: Wie findest du die Aufnahme – ist das zu schnell oder zu langsam?

Wenn Sie von früher erzählen, könnte man denken, für Sie ist das moderne Leben nichts.

Überhaupt nicht, ich schaue nur mit Sorgen auf bestimmte Aspekte unseres Lebens, die sich meiner Meinung nach verschlechtern. Zum Beispiel die Architektur. Viele moderne Gebäude in unseren Städten finde ich furchtbar. In London ruinieren Investoren mit ihren Plänen oft ganze Stadtviertel. Es geht dabei nur um Gier. Nicht zu viel Geld in die Entwicklung zu stecken, aber so viel wie möglich herauszuholen. Traurig, nicht wahr?

Trotzdem zieht diese Stadt Besucher an …

… verstehen Sie mich nicht falsch, die Stadt ist fantastisch. Sie ist nur zu groß geworden, es leben zu viele Menschen in ihr. Ich war im September auf der Kunstmesse Frieze, ein sehr internationales Publikum, viele redeten davon, dass sie demnächst nach London ziehen möchten. Aber das Phänomen kennen Sie in Berlin auch, oder? Das war ganz anders, als wir Anfang der 70er Jahre zum ersten Mal mit Roxy Music hier auftraten.

Welchen Eindruck machte Berlin damals auf Sie?

Als die dekadenteste Stadt Europas. Wir gingen zu Romy Haag, solche Clubs gab es woanders nicht.

Chez Romy Haag war ein Cabaret, das von der Travestiekünstlerin geführt und auch von David Bowie besucht wurde …

… das war ein alternatives Nachtleben, das es in London nicht gab. Ich habe nie so viele Menschen in Leder gesehen wie damals in Berlin. Die Stadt war heruntergekommener, verruchter als heute, überhaupt nicht bürgerlich.

Und jetzt?

Gestern Abend aß ich im Grill Royal, da hatte ich das Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem zwar die Künste florierten, aber es war nicht mehr so verrückt wie in den 70er Jahren.

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