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Die Kabarettistin Christine Prayon
© picture alliance / dpa

Christine Prayon aus der "heute-Show": „Ich muss den Mächtigen die Hosen runterziehen“

Nicht die Islamisierung, die Prekarisierung des Abendlandes ist das Problem – sagt Christine Prayon und findet, Satire muss nicht alles, was sie darf.

Christine Prayon, 41, hat Schauspiel in München studiert. Als Kabarettistin ist sie unter anderem in der Rolle der Birte Schneider aus der „heute-Show“ bekannt. Für ihr aktuelles Programm „Die Diplom-Animatöse“ bekam sie den Deutschen Kabarett-Preis.

Frau Prayon, wenn Sie im ZDF als Birte Schneider auftreten, werden Sie dort als Kabarettistin oder Comedienne bezahlt?

Das ist eine gute Frage. Genau weiß ich es nicht, ich denke, dass ich als Kabarettistin geführt werde.

Wenn die Verwertungsgemeinschaft-Wort Tantiemen ausschüttet, vergütet sie Kabarett doppelt so hoch wie Comedy.
Ach so. Dann verdient der Mario Barth wahrscheinlich gar nicht so viel, der Arme. Auf welchem Planeten leben Sie? Wenn man Kabarett und Comedy zusammenschmeißt, werden Bülent Ceylan, Mario Barth und Dieter Nuhr sicher am besten bezahlt. Und nun können Sie sich überlegen, ob die eher Kabarettisten sind oder eher Comedy machen. Abgesehen davon, versuchen Sie mal, all das, worauf Sie Anspruch haben, bei der Verwertungsgemeinschaft oder der GEMA anzumelden. Das wird ähnlich unmöglich gemacht wie das Ausfüllen eines Hartz-IV- oder eines Elterngeldantrags. Die meisten Künstler kapitulieren beim Versuch, ihre Ansprüche wahrzunehmen. Das war auch bei mir bisher der Fall.

Und Sie sind nicht neidisch auf Kollegen?
Ich verdiene mit diesem Beruf genug, um damit über die Runden zu kommen. Ich brauche nicht die Säle zu füllen und mache nicht das, was Mario Barth macht. Insofern habe ich auch kein Neidproblem, wenn andere das Olympiastadion voll kriegen. Ein Kabarettist, der seinen Beruf so versteht, wie man ihn vielleicht idealistischerweise sieht, der möchte sein Publikum erreichen, und das wächst nicht grenzenlos. So ein Programm findet an einem Abend vielleicht 300 Leute. Das hat was mit dem Anliegen zu tun, was man an so einem Abend hat. Außerdem braucht Kabarett einen vergleichsweise intimen Rahmen.

Sie sagten einmal: „Comedy bedient Klischees, Kabarett bekämpft sie.“ Dieter Nuhr entgegnete darauf, das sei nur „ein untauglicher Versuch der Heroisierung des eigenen Geschäftsmodells.“
Gibt es gutes und schlechtes Kabarett, gute und schlechte Comedy? Das sind Fragen, die tauchen in meiner Branche immer wieder auf, und ich finde: Comedy dient in Deutschland eher der reinen Unterhaltung und setzt auf Werte, die in den Köpfen der Leute schon verankert sind. Kabarett rüttelt an dem Bestehenden und stellt es infrage. Das ist ein großer Unterschied, und den finde ich wichtig. Wer den nicht macht, der versucht, dem Kabarett die Schärfe zu nehmen.

Noch einmal Dieter Nuhr: Das Kabarett setze oft „primitive Frontlinien zwischen Gut und Böse voraus, die Wirtschaft ist böse, die Bevölkerung gut, die Industrie schlecht, der Kleinbetrieb gut“ und so weiter. Befindet sich das Kabarett noch in einer Zeit vor der Jahrtausendwende?
Man kann das Kabarett durchaus kritisieren. Mitunter geht es nicht weit genug, bleibt in reiner Anklage derer „da oben“ stecken und fühlt sich gemeinsam mit seinen Zuschauern wohl, anstatt sie und sich selber mit in die Verantwortung zu nehmen. In diesem Fall haben wir es aber vielleicht mit nicht so besonders gutem Kabarett zu tun.

Was ist gutes Kabarett?

Es, ich nenne mit Volker Pispers und Hagen Rether nur mal zwei Beispiele, benennt Ross und Reiter. Und zwar nicht, um sich auf simplen Binsenwahrheiten auszuruhen, sondern um mit fassungslosem Staunen auf die tatsächlich bestehenden Schweinereien zu verweisen. Und manche Dinge sind nun mal einfach: Der Kapitalismus zeigt sich zwar immer wieder in neuem Gewand, aber am Prinzip der Ausbeutung hat sich doch durch die Jahrtausende nichts geändert. Im Gegenteil: Wir scheinen sogar in eine Art Mittelalter 2.0 zurückzufallen. Damit wäre das heutige Kabarett seiner Zeit dann wohl eher um 300 Jahre voraus.

Hat eigentlich die Einschaltquote der „heute-Show“Einfluss auf Ihre Arbeit?
Nein. Der Einfluss ist gleich null. Wenn ich danach gehen würde, ob Leute um- oder einschalten, dann würde ich keinen Satz aufs Papier bringen. Das lenkt mich als Kabarettistin und als Schauspielerin von meiner eigentlichen Arbeit ab. Das Thema Einschaltquote ist etwas für Fernsehredakteure.

"Eigentlich sollte die "heute"-Show Satire bleiben"

Die Kabarettistin Christine Prayon
Die Kabarettistin Christine Prayon
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Ihre Auftritte in der „heute-Show“ enthalten oft eine bitterböse Kritik an Politik und Wirtschaft. Wie lange macht das ZDF das noch mit?
Natürlich ist die „heute-Show“ oft böse. Sie spart ja in ihrer Kritik nicht mal die Politik des eigenen Senders aus. Nichtsdestotrotz ist diese Kritik, die darüber hinaus auch in der „Anstalt“ stattfindet, einer weiteren ZDF-Sendung, doch im ZDF, wie man so sagt, „mit eingepreist“. Wer sich selbstironisch zeigt, darf sonst alles. Dem wird verziehen. Darin liegt auch eine Gefahr, denn man nimmt der in aller Öffentlichkeit geübten Kritik so durch die Hintertür doch wieder die Schärfe. Vielleicht weil man glaubt, dadurch irgendwie großzügig und entspannt zu erscheinen. In Wirklichkeit aber verwischt man so tatsächlich bestehende Interessensunterschiede und Grenzen.

Ist die „heute-Show“ die bessere „Tagesschau“?
Eigentlich sollte die „heute-Show“ Satire bleiben und die Tagesschau Journalismus. Aber da die Tagesschau nicht gut ist, sollte man sich lieber die „heute-Show“ anschauen. Wir haben Zeiten, in denen die Satire den Job des Journalisten übernehmen muss. Wer sich zum Beispiel „Die Anstalt“ anschaut, der bekommt dort schon Dinge erklärt, die er in den Mainstream-Medien nicht erklärt bekommt. Eigentlich ist das bedenklich. Da sollte man sich die Frage stellen: Welche Arbeit leistet der Journalismus nicht mehr, dass es so etwas dringend braucht?

Können Sie ein Beispiel nennen für Aufklärung durch „Die Anstalt“?
Da fällt mir spontan ein Beitrag über den Sturz der iranischen Regierung unter Mohammad Mossadegh 1953 durch CIA und MI 6 ein. Deren Operation „Ajax“ hat letztlich mit dafür gesorgt, dass diese Region bis heute gefährlich instabil ist und so etwas wie Islamismus, Al Qaida und IS entstehen konnten.

Das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hat ein Interview mit dem griechischen Finanzminister gedruckt. Wie groß ist die Informationsfunktion des Kabaretts?
Immer dann, wenn es richtig scheiße wird, vergrößert sich die Informationsfunktion, weil eine Lücke entsteht, die gefüllt werden muss. Wenn die Medien relativ gleichförmig berichten oder in eine Richtung Propaganda betreiben, übernimmt das Kabarett zwangsläufig die Aufgabe des Qualitätsjournalismus und bohrt dort nach, wo Fragen entstehen, gibt Informationen, die anderswo nicht gegeben werden und übernimmt auch die Aufgabe der Opposition. Vielleicht war das schon immer die Rolle des Kabaretts – aber eigentlich wünsche ich mir, dass sie das nicht nur ist.

Haben die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ das deutsche Kabarett verändert?
Nö.

Schrecken Sie manchmal vor einer Pointe zurück?
Ob ich jetzt beispielsweise keine Witze über den Propheten mehr mache? Die habe ich früher so gerne gemacht, die mache ich jetzt nicht mehr. Nee, wirklich, es gibt viele Themen, die viel dringender sind. Das ganze Thema „Kampf gegen den Terror“, Islamismus, was auch von unserem ausgewiesenen Islamexperten Dieter Nuhr beackert wurde – das ist ein solcher Platzhalter für das, was eigentlich zu besprechen wäre.

Nämlich?

Über Geheimdienste wird zum Beispiel nicht mehr gesprochen, über Snowden wird nicht mehr gesprochen. Dafür über den Islam, obwohl wir überhaupt keine Schwierigkeiten mit dem Islam haben. Unser Problem ist nicht die Islamisierung des Abendlandes, sondern die Prekarisierung des Abendlandes. Der Terrorismus ist ein Problem, das wir auch selbst mir unserem sogenannten „Kampf gegen den Terror“ erzeugt haben. Daraus einen Konflikt mit dem Islam abzuleiten ist völlig falsch und gefährlich, weil es noch mehr Terrorismus, Hass und Rassismus erzeugt. Damit wir aus dieser Spirale herauskommen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, was hier eigentlich der tatsächliche Terror ist.

Den vermuten Sie woanders?
Man muss sich fragen, ob das nicht auch der Terror ist, den wir machen. Ich rede mich jetzt um Kopf und Kragen, man bietet ja auch Angriffsfläche wie ein Scheunentor, wenn man in dem Zusammenhang diese Position bezieht. Ich finde es halt mehr als fahrlässig, das Thema Islamismus so hochzukochen. Wenn Dieter Nuhr sich damit brüstet, als einer der ganz wenigen darüber zu sprechen, sollte man sich fragen, warum er nicht über andere Themen spricht, zum Beispiel die tieferen Ursachen des Terrors. Vielleicht ist eine Antwort: Weil er, wenn er über das Thema Islamismus spricht, eben beinahe die gesamte veröffentlichte Meinung hinter sich hat?

"Ich brauche keine Witze über Leute zu machen, die eh arm dran sind"

Hat Satire Grenzen?
Wenn man Satire macht, kann und darf man alles sagen. Aber man muss es nicht. Denn man sollte auch Verantwortung übernehmen für das, was man sagt. Es geht nicht nur um Freiheit, um Meinungsfreiheit, sondern darum, wie man mit ihr umgeht.

Das klingt nach einer selbst auferlegten Grenze.
Das ist so. Es gibt Grenzen, die man sich selbst auferlegt.

Wo liegen Ihre?
Das fängt bei Geschmacklosigkeiten an. Auch brauche ich keine Witze zu machen über Leute, die eh schon arm dran sind. Natürlich kann ich darüber Witze machen, dass Leute wie Freaks auf Demos herumrennen. Aber mein Thema sollte doch sein, wenn ich Kabarett mache, mich an der herrschenden Meinung, an der Meinungsmache, an den Mächtigen zu reiben. Die muss ich bloßstellen, denen muss ich die Hosen herunterziehen – und nicht denjenigen, die ohnehin schon zu den Verlierern des Systems gehören.

Zu denen gehört der Islamismus?
Zu denen gehören eben auch muslimische Migranten in Deutschland, die, wenn man den Statistiken glauben darf, gesellschaftlich, politisch und sozial benachteiligt sind. Oder, andere Gegend, anderes Beispiel, selbes Prinzip: Ein junger Ziegenhirte am Hindukusch etwa, der erleben musste, wie seine Familie „aus Versehen“ von einer Predator- Drohne ausradiert wurde, und der dann in seiner Verzweiflung zum hasserfüllten Taliban mutiert, ist – auch – ein Verlierer des Systems. Warum sollte ich mich nun auf die Bühne stellen und Witze über den Glauben dieser Menschen machen? Was ist daran komisch? Und was ändert es an den bereits bestehenden Ressentiments? Verschärft es diese nicht vielmehr? Das geht alles für mich eher in Richtung Deutungshoheit und vielleicht auch Zynismus.

Oder es ist schlicht und einfach Kritik an bestimmten religiösen Traditionen.

Natürlich kann ich mich über Burkas und Kopftücher aufregen. Aber man sollte dabei nicht vergessen, dass beispielsweise eine – inzwischen gekippte – Herdprämie, wie sie zunächst als Gesetz durch eine deutsche Regierung auf den Weg gebracht wurde, auch so eine Art, na ja, zugespitzt gesagt, strukturelle Burka darstellt. Und ich finde insofern, dass wir uns als Westen nicht in solch moralisch eindeutig überlegener Position befinden, die uns dazu berechtigte, derart deutlich mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Wen meinen Sie jetzt?

Damit wir uns nicht falsch verstehen und gleich der Vorwurf des „Islamverstehers“ im Raum steht: Terrorattacken wie 9/11 oder das Charlie-Hebdo- Attentat sind durch nichts zu rechtfertigen. Es geht auch nicht um Verständnis für Terror, sondern um Verständnis von Terror, also wie dieser entsteht. Mit oberflächlichen Witzchen über eine andere, als zutiefst fremd empfundene Religion und Kultur zeige ich allerdings eher, dass ich mir gar nicht wirklich die Mühe gemacht habe, irgendetwas zu verstehen und zu durchdringen.

Als Konsequenz auf die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ flammte auch die Debatte um den Blasphemieparagrafen in Deutschland wieder auf. Abschaffen oder verschärfen?

Ich brauche keinen Blasphemieparagrafen. Ich kann selber dafür Verantwortung übernehmen, was ich sage. Wenn ich etwas über Religion zu sagen habe, werde ich das in aller Schärfe sagen und möchte das auch in aller Schärfe sagen dürfen.

Engagieren Sie sich aktuell gegen oder für etwas?

Ich engagiere mich für meinen Sohn. Der ist eineinhalb Jahre alt, der braucht mich gerade. Da bleibt nicht viel Platz für andere Sachen. Mein politisches Engagement muss momentan leider zurückstehen – obwohl es viele Themen gäbe, die mich interessieren – zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP.

Und Ihre Arbeit als Kabarettistin, muss die auch zurückstehen?

Ich bin jetzt immer mit Mann und Kind unterwegs, was total an die Substanz geht. Die männlichen Kollegen haben meistens die Frau mit dem Kind zu Hause und das macht ihnen den Beruf leichter. Als Mutter muss man dann eben leider bestimmte Aufgaben übernehmen – was heißt leider … Wie das genau gehen könnte, die Bedingungen zu verbessern, da bin ich überfragt. Wenigstens gibt es jetzt mehr Frauen in meinem Beruf. Vielleicht ändert sich auf diese Art schon etwas.

Würde eine Quote für Kabarettistinnen helfen?

Generell bin ich eine große Verfechterin der Frauenquote. Aber wie sollte es etwas Vergleichbares für Kabarettistinnen geben? Es stellt uns keiner ein, wir sind selbstständig. Vielleicht müssten sich eher bestimmte Bedingungen verändern, die dafür sorgen, dass es für Frauen leichter ist, diesen Beruf zu ergreifen. Auch Bedingungen, die es für Frauen mit Kind leichter machen, den Beruf auszuüben. Das ist für mich fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Ihr aktuelles Programm, mit dem Sie auf Tour sind, trägt den Titel „Die Diplom-Animatöse“.

Der ist natürlich ein Etikettenschwindel. Unser Leben ist davon geprägt, etwas darzustellen. Das wollte ich thematisieren. Das Programm ist und bleibt aktuell, weil ich weniger tagespolitisch Bezug auf Dinge nehme, sondern ganz grundsätzlich politisch bin.

Die Kabarettistin Christine Prayon
Die Kabarettistin Christine Prayon
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Interview: Sebastian Gr, ke

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