Matthias Schweighöfer im Interview: "Ich bin auf dem Sprung ins ernste Fach"
Noch ’ne Liebeskomödie? Langsam reicht es, meint Matthias Schweighöfer. Der Schauspieler über Höhenangst, sein Gewicht – und warum Paris auch nicht mehr das ist, was es mal war.
Herr Schweighöfer, wie Ihre Schauspielkollegen Uwe Ochsenknecht, Jan Josef Liefers und Heiner Lauterbach bringen Sie nun eine Platte heraus.
Ich schwöre, ich war nie ein Fan von Schauspielern, die meinen, singen zu wollen.
Sie verstehen, dass es Skepsis gibt?
Natürlich. Würde ich auch denken: Jetzt macht der Musik! Zu Hause auf meinem Digitalpiano hatte sich so viel selbst gemachte Musik angesammelt, ich würde mir trotzdem nie anmaßen, ein Musiker zu sein. Dieses Gefühl, live auf der Bühne zu stehen, fehlt mir allerdings beim Kino. Das Filmgeschäft ist ein behüteter Kreis. Wenn ich keine Premierentouren am Startwochenende mache, komme ich überhaupt nicht an meine Konsumenten ran.
Es gibt Menschen, die können sich nicht mal auf dem Anrufbeantworter hören.
Davon habe ich mich distanziert. Im Schneideraum sehe ich mich jeden Tag, höre mich sprechen, ich gucke da professionell drauf.
Und wie klingt Ihre Stimme?
Heute hat mir ein Mann auf Instagram ein Kompliment geschrieben: „Hey, ich höre normalerweise nur deutschen Rap, aber deine Stimme hat etwas total Beruhigendes.“ Gestern Abend hat meine Assistentin gesagt: „Du singst schön sauber.“ Das fand ich vernichtend. Als würde ich auf eine komische Art richtig singen. Einigen wir uns darauf, dass meine Stimme klar mit einem Hauch von Whiskey ist.
Was waren die Lieder Ihrer Kindheit?
„Kleine weiße Friedenstaube“ gehörte in der Pionierzeit im Osten auf jeden Fall dazu. Nach der Wende kamen die Fantastischen Vier. „Die da!?!“ habe ich in der mündlichen Leistungskontrolle in Musik performt. Ich war elf, der einzige Junge in einer Klasse mit 28 Mädchen, ich habe mich vorne hingestellt, „ist es die da, die da, die da oder die da“ gesungen und jeweils auf ein anderes Mädchen gezeigt. Dazu trug ich richtig weite Jeans. Neubau-Baggy-Pants, achter Stock, Yorckgebiet, Chemnitz, das war meine Kindheit:
Sie wogen 90 Kilo bei 1,70 Meter Größe.
Vielleicht waren es nur 82. Ich bin nach der Schule ins Versorgungszentrum gegangen, so hieß unsere Shoppingmall im Neubauviertel, kaufte eine Fünferpackung Schokoriegel und ein paar russische Zupfkuchen, zu Hause guckte ich „Wer ist hier der Boss?“ und „Der Prinz von Bel-Air“ mit Will Smith – und futterte alles weg.
Das mochten die Mädchen?
Nein. Der ausschlaggebende Moment kam mit 13, als ich auf der Eisbahn stand und mich jemand fragte: „Sag mal, bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ Da wusste ich, es wird Zeit, etwas zu tun.
Hat Musik Sie durch diese Zeit begleitet?
Nein, das war Film. Nach der Wende sah ich die Hollywoodfilme, die im Osten vorher verboten waren. „E.T.“, „Stirb Langsam“, „Star Wars“, all die großen Märchen aus Amerika. Stellen Sie sich vor, jemand will in Deutschland heute eine Geschichte über einen Außerirdischen erzählen, der auf unseren Planeten kommt, von seinem Volk vergessen wird und auf einen kleinen Jungen trifft, der ihm hilft, ins All zurückzukehren. Jeder Produzent würde sagen: „Das machen wir nicht.“ Damals saß die ganze Welt im Kino, jeder fieberte mit, obwohl er wusste, dass das nicht real ist, und das entwickelte mit dem Soundtrack von John Williams eine unglaubliche Kraft. Deshalb wollte ich übrigens, dass mein Album filmische Qualitäten hat. Wir haben mit einem ganzen Orchester wie für einen Soundtrack aufgenommen.
Bands wie Coldplay machen das seit Jahren.
Das letzte Konzert, nach dem ich richtig berührt nach Hause gegangen bin, war von Coldplay 2006 in der Wuhlheide. Zum Nachdenken und zum Ausflippen. Ich habe geschrien wie ein Mädchen. So laut, dass ich dachte, Sänger Chris Martin sieht mich.
Ganz schön lange her für ein gutes Konzert.
Vor ein paar Monaten habe ich den Rapper Marteria in der Waldbühne gesehen. Reiner Abriss: zwei Stunden Feiern, bis kein Stuhl mehr steht. Oder letztes Jahr Rammstein, die haben drei Abende hintereinander in der Waldbühne gespielt, während wir gegenüber auf dem Teufelsberg „You Are Wanted“ gedreht haben.
Die erste in Deutschland produzierte Amazon-Serie startet Mitte März – Sie haben das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und spielen die Hauptrolle.
Im Schneideraum musste ich jeden einzelnen Song herausfiltern, so laut waren die Jungs. An einem Abend bin ich rüber zum Konzert. Die Show war wie eine Theaterinszenierung mit viel Feuer. Unfassbare Power auf der Bühne, aber da gab es nicht den magischen Moment. Enno Bunger hingegen, ein deutscher Songwriter, berührt mich emotional. Wenn er auf dem Klavier spielt und singt „Ich gehe jetzt nach Hause, ruf mich an, wenn du was brauchst, wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus“.
"Warum versuche ich es nicht mit eigenen Produktionen?"
Gefühlvolle Musik, keine Partynächte, Sie wirken ausgesprochen vernünftig.
Ich mag kein Chaos. Mein Leben ist schon bewegt genug. Bei mir hakt es aus, wenn ich jogge. Manche sind nach einer Dreiviertelstunde fertig, ich kann mit einem Album von der Folkband Bon Iver auf den Ohren drei Stunden laufen.
Bei Ravern heißt es „Drei Tage wach“.
Wäre mir zu anstrengend. Sehen Sie, es gibt Menschen, die lieben es, in der Nacht auszugehen. Ich stehe gern um 5 Uhr 30 auf, fahre nach Köpenick und laufe zwei Stunden um den Müggelsee, wenn die Sonne aufgeht. Keiner da, toll.
Da kriegen Sie Rauschzustände.
Als wir vor zwei Jahren in Kapstadt „Der geilste Tag“ gedreht haben ...
... der Film über zwei Todkranke, die sich einen letzten Traum erfüllen ...
... da bin ich vom Hotel losgelaufen, habe einen Pinienwald entdeckt, mit Buche und deutscher Eiche drin, es roch auf einmal nach beginnendem Frühling in Deutschland. Ich rannte weiter, hoch auf die Spitze des Lion’s Head, runter zum Meer, dreieinhalb Stunden wie ein Wahnsinniger.
Am Ende mussten Sie sich übergeben?
Ich merkte die Anstrengung genauso wenig wie jemand, der zwei Tage im Berghain tanzt.
Der Film gehörte zu den erfolgreichsten des vergangenen Jahres. Es gab auch andere Zeiten: 2005 etwa haben Sie kein Angebot bekommen. Hatten Sie damals Zukunftsängste?
Ich habe mir überlegt, was ich gern drehen würde, und das Geld ausgegeben, das ich mit den Filmen zuvor verdient hatte. Ich wollte Kino machen, und es kamen Fernsehangebote. Kurz nach der Pause habe ich „Keinohrhasen“ gedreht. Ich habe gesehen, wie jemand unabhängig arbeitet. Til Schweiger muss nicht warten, bis ihm jemand einen Actionfilm anbietet, er dreht ihn selber. Da habe ich mich gefragt: Warum versuche ich es nicht mit eigenen Produktionen? Es war trotzdem eine erschütternde Erfahrung.
Sie meinen den fertigen Film?
Nein, danach habe ich für „Zwölf Meter ohne Kopf“ einen Piraten gespielt, habe mir drei Monate den Arsch aufgerissen auf dem Wasser. Dann gab es Probleme in der Beziehung, weil ich natürlich ständig weg war, schließlich gingen wir auf Kinotour. Ich komme also in den Saal in Rostock rein, von 120 Plätzen sind nur 35 besetzt. Nebenan lief zur selben Zeit „Keinohrhasen“, 1000 Plätze ausverkauft!
Seitdem drehen Sie leichte Filme – als Regisseur und Darsteller in einer Person.
Ich würde gerne mehr Genre machen, Action, Thriller, Arthouse. Für eine Produktion, die einem meiner Lieblingsfilme, „Million Dollar Baby“, entspräche, müsste ich in Deutschland sechs Millionen Euro mit meiner Firma in die Hand nehmen. Das heißt, 1,2 Millionen Zuschauer müssten hineingehen, damit der sich auch rechnet. Jederzeit würde ich das Risiko eingehen, doch dazu brauche ich erst zwei Kassenerfolge, die mir das Geld einbringen.
Wie wäre es mit Beziehungskomödien?
Das ist ernüchternd. Es hat mir Spaß gemacht, solche Stoffe zu drehen, aber langsam reicht es.
Im Moment ...
... bin ich auf dem Absprung ins ernste Fach.
Nehmen Sie mal an, Sie hätten nun einen Monat Freizeit. Was tun Sie?
Nach Amerika gehen.
Welche Musik hätten Sie im Kopf?
Den Jazzsänger Tony Bennett habe ich gerade wiederentdeckt. Gelbes Licht in New York auf der Fifth Avenue, mit dem Taxi am Plaza Hotel vorbei, rein in den Central Park, ich trinke ein Glas Weißwein. Ein Taxi hält vor mir an, der Fahrer schreit: Wohin willst du? Zum Flughafen!
"Mist, ich habe den Super Bowl verpennt!"
Schönheitsfehler: Sie leiden unter Flugangst.
Leider, das nervt. In meinem Job ist das beschissen. Weder Therapie noch Tabletten helfen mir.
Was tun Sie, wenn Sie doch fliegen sollen?
Auto fahren.
Nach Kapstadt geht das schlecht.
Meine Firma hat mir extra einen First-Class-Flug spendiert. War vollkommen vergeudet. Ich habe nichts gegessen, nichts getrunken, während der zehn Stunden Nachtflug keine Sekunde geschlafen, sondern nur auf den Streckenmonitor vor mir geschaut. Mein Partner nebenan hat sich schön das Bett gemacht, eine Flasche Rotwein getrunken, den Kaviar probiert, ich habe mich angeschnallt und festgehalten. Es war eine Tortur.
Eine Ahnung, woran es liegt?
Als wir 2010 „Friendship“ fertiggedreht haben, das Roadmovie zweier Jungs aus dem Osten, da hatte ich von New York zurück nach Frankfurt einen Horrorflug. Zuerst sind wir 20 Minuten in 1000 Metern über Manhattan gekreist, ohne zu wissen, was los ist. Dann zog der Pilot die Maschine plötzlich auf 6000 Meter hoch, und wir kamen in einen vierstündigen Schneesturm. Es war dunkel im Flugzeug, die ganze Zeit rumpelte es, wir sackten laufend in Luftlöcher. Der Kapitän sagte irgendwann: „Ja, wir fühlen uns hier vorne auch wie auf einer alten Landstraße.“ Ich kenne Leute, die mit mir in der Maschine saßen und seitdem nie mehr geflogen sind.
Ihre andere große Angst: in die Achterbahn zu steigen.
Letztes Jahr zu Weihnachten stand ich vor einer Kinderachterbahn und dachte an meinen kleinen Sohn. Die Zeit wird kommen! Kinder feiern so eine Fahrt total ab. Vor zwei Jahren saß ich mit meiner Tochter in einem Riesenrad, das nur sechs Meter hoch war. Als es begann, sich zu drehen, habe ich geschrien: „Haltet das Rad an, lasst mich raus!“
Sie werden ja jetzt noch richtig laut.
Meine Tochter fragt mich bis heute gern: „Kannst du dich noch erinnern, wie du damals geschrien hast?“ Oh Mann, ein 30-jähriger Vater, der vor seiner Tochter in einem Riesenrad ausflippt, aus dem ich hätte rausspringen können und mir wäre nichts geschehen. Ganz schön peinlich.
Die werden sich bestimmt auch bedanken, dass sie Ihretwegen nur ins Umland in die Ferien fahren.
Im Urlaub fahren wir für sechs Wochen nach Sardinien oder Mallorca. Wir mieten einen Bus, juckeln runter und halten unterwegs auch mal zwei Tage in den Bergen an. Allerdings werden wir dieses Jahr zum ersten Mal die Ferien zusammen in Amerika verbringen.
Aha, jetzt also doch.
Ich fliege Mitte März rüber, weil ich wegen der Serie ein paar Termine habe. Die Familie kommt nach. Die Kinder müssen nicht miterleben, wie Papa im Flugzeug austickt.
Andere stornieren ihre USA-Reisen gerade.
Das Land selbst toppt für mich alles. Vor Kurzem hatte ich wieder eine schlaflose Nacht, bin um drei Uhr nachts aufgewacht und habe gedacht: Mist, ich habe den Super Bowl verpennt! Ich habe das Ende gesehen, wie Tom Brady den Rückstand aufgeholt hat, Wahnsinn!
Die New England Patriots haben spektakulär gegen die Atlanta Falcons gewonnen.
Ich habe gleich geguckt, in welcher Stadt trainieren die Pats, im Netz Bilder von New England, Maine, Boston gesehen. Der Indian Summer, wie toll das aussieht, da bekam ich wieder Sehnsucht.
Mit Anfang 20 wollten Sie in Paris wohnen.
Ich war schwer frankophil. Einer meiner ältesten Freunde wohnt in Paris. Wenn ich ihn besuchte, joggte ich immer die gleiche Strecke. Vom Boulevard Beaumarchais über die Opéra, runter zum Jardin des Tuileries, an der Seine entlang und durchs Marais zurück. Mein lieber Freund Julien hat einen Tisch im „Chez Janou“ im Marais klargemacht, frittierte Sardellen, wunderbar.
Warum hat die Schwärmerei nachgelassen?
Irgendwann habe ich kapiert, die Stadt ist nur Stein, ich bin in meinem Leben hunderte Male durchs Marais gelaufen, ich war bestimmt 50 Mal im Picasso-Museum, es änderte sich nichts in all der Zeit. Und die Weite hat mir gefehlt. Der Horizont war zu vollgestellt.