Eine Designreise nach Arnheim: Holland sucht die Lösung
In Arnheim entsteht ein neues Zentrum für Mode. In diesem Monat findet dort das Modefestival statt. Dort geht es um nicht weniger als die Zukunft der Mode. Wir stellen vier Protagonisten vor.
Modestadt Arnheim
Wer Holland nur mit Käse und gescheiterten Fußball-Qualifikationen in Verbindung bringt, der irrt. In Arnheim findet in diesem Monat ein großes Festival statt, mit Ausstellungen, Diskussionen und Modenschauen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Mode – und der stellen sich die Holländer gewohnt pragmatisch. Im ehemaligen Problemviertel Arnheims, wo vor 15 Jahren nicht einmal die Polizei hinwollte, gründete die Stadt das „Modekwartier“ und half jungen Designern, mit geringen Ladenmieten Ateliers zu eröffnen. Als Annet Veerbeek vor ihrem kleinen Kleiderladen davon erzählt, muss sie zur Seite springen. Zwei Ureinwohner mit selbstgestochenen Tätowierungen holpern mit elektrischen Rollstühlen über den Gehweg.
„Es hat gedauert, bis wir durch dieselbe Tür gegangen sind“, sagt die Stylistin. Das ist ein holländisches Sprichwort und bedeutet so viel wie: Es hat gedauert, bis die neuen und alten Nachbarn miteinander klarkamen. Außer ihnen ist hier niemand unterwegs, die Massen bewegen sich durch die Fußgängerzone in der Innenstadt. Nur einmal im Jahr ist es anders, wenn Veerbeek die Modenacht organisiert, um die Leute mit einem Freiluft-Laufsteg, Buden, Zauberern und Bands in den Klarendalseweg zu locken.
Hier haben sich einige Designer niedergelassen, die an der Kunsthochschule Artez studierten. Artez ist die niederländische Kaderschmiede für Designer. Frei und wahnsinnig kreativ lehren sie hier, erzählt der Studiengangsleiter Matthijs Boelee. Aber als er den Lehrplan vorstellt, wirkt das Ganze doch sehr strukturiert. Selbst Kreativität scheint in den Niederlanden eine Spielart von Pragmatismus zu sein.
Nur ein paar Kilometer weiter, wo sich die berühmte Brücke von Arnheim über den Rhein spannt, steht eine alte Milchfabrik. In den gekachelten Fabrikhallen wird nicht mehr das produziert, was wir täglich brauchen, sondern was wir in Zukunft anders machen sollten. In der Ausstellung „State of Fashion“ zeigen Designer, wie man Kleidung besser machen kann, unter ihnen Vivienne Westwood, Stella McCartney und viele junge Kreative aus der ganzen Welt. Zum Beispiel Eleven Eleven, ein Designerduo, das Kleider in Indien produziert und sie in New York verkauft. Und holländische Größen wie Viktor & Rolf, Iris van Herpen und G-Star, eines der großen Jeanslabels. Es zeigt hier die nachhaltigste Jeans, die jemals produziert wurde.
Die Jeans der Zukunft
Ausgerechnet mit einem Jeanslabel die Welt retten? Das passt irgendwie nicht zusammen – bis man Frouke Bruinsma trifft. Sie ist bei der Amsterdamer Marke seit zwölf Jahren für Nachhaltigkeit zuständig. „ Wenn man erst einmal damit anfängt, kann man nicht mehr aufhören“, sagt sie. Veränderungen dauern lange, kosten Zeit und Geld, und ein bisschen Biobaumwolle reicht irgendwann nicht mehr, um sich von seinen Mitbewerbern zu unterscheiden.
Deshalb hat G-Star jetzt die erste Jeans auf den Markt gebracht, die komplett kompostierbar ist, nach dem Cradle-to-Cradle-System. Das bedeutet, dass die Hose nach fünf Kriterien bewertet wird. Dazu gehören soziale Arbeitsstandards, geringer Wasserverbrauch, die Verwendung von wenig Chemie und erneuerbarer Energie. Wenn die Jeans dann aus Materialien besteht, die komplett wiederverwertbar sind, gibt es das goldene Zertifikat.
Als Frouke Bruinsma ihren Job antrat, ging es erst einmal darum, sich um die sozialen Bedingungen in den Fabriken zu kümmern, wie die Näherinnen arbeiten und was sie dafür bekommen. Und dann erst, wie man die Materialien verbessern kann. „Es hat uns zehn Jahre gekostet, um Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur zu verankern. 2020 wollen wir in der gesamten Kollektion nur noch nachhaltige Materialien verwenden. Wir arbeiten mit verschiedenen Instituten zusammen, um diese Standards zu erreichen.“ Sie weiß, dass es noch ein langer Weg ist, bis die nachhaltig gefertigten Produkte von den Konsumenten nachgefragt wird: „Es gibt immer einen großen Unterschied zwischen dem, was die Leute sagen und dem, was sie tun.“ Aber Frouke Bruinsma ist sich sicher, dass alles gut wird: „Ja, wir haben ein Problem. Aber wir haben auch die Lösung.“
Das Modeorakel
Und damit wären wir dann bei José Teunissen: Wenn es so etwas gibt wie das Modeorakel der Niederlande, dann ist es diese Frau. Ihr Fachgebiet ist Modetheorie, sie ist Dekanin am London College of Fashion und hat nicht nur die Ausstellung in Arnheim organisiert, sondern auch ein Colloquium dazu. Wenn man ihr zuhört, klingt die Zukunft der Mode ganz schön optimistisch. Sie sitzt draußen vor der Milchfabrik auf einer Holzbank und fängt aus dem Stand an zu dozieren: „Das Modesystem reflektiert immer die Zeit, in der wir leben. Viele Leute glauben, dass Technologie die Lösung ist. Aber ohne dass man den Kreislauf von Fast Fashion und schnellem Konsum durchbricht, wird das nichts.“ Teunissen glaubt fest daran, dass viele Konsumenten anfangen, darüber nachzudenken, was wirklich von Wert ist. „Wir müssen eine Aufmerksamkeit für das Modesystem schaffen, für den Luxus, dass wir wählen können, was wir besitzen wollen.“
Weil sie seit vielen Jahrzehnten über Mode nachdenkt, weiß sie auch, welche Macht Mode hat: „Weil sie uns unterscheidbar macht und wir so unsere Persönlichkeit ausdrücken können. Niemand will die gleiche Uniform tragen, wir wollen mit unserer Kleidung kommunizieren.“ Und damit das auch in Zukunft so bleibt, hat José Teunissen in der Milchfabrik viele neue Ideen zusammengetragen, wie man Mode auf vielfältige Weise gestalten kann.
Die Aktivistin
Das will auch Elsien Gringhuis, Designerin mit eigenem, nachhaltigem Label. Sie hat dafür ein starkes Motiv: „Ich habe Mode schon immer gehasst, speziell Fast Fashion.“ Was sie mag, ist Kleidung, und die hat sie immer schon selbst gemacht. Sie findet sich selbst naiv, aber dass sie jetzt nachhaltige Kleidung macht, war vorbestimmt: Als sie klein war, führte ihre Mutter einen Bioladen. „Je mehr man weiß, desto mehr wird man zum Aktivisten. Ich versuche, nicht mehr zu fliegen, kein Fleisch zu essen, kaufe wenig ein“, sagt sie. Das lebt sie nicht nur, sie lehrt an ihrer Alma Mater Artez auch, wie man Mode nachhaltig machen kann.
Gringhuis näht alles selbst in ihrem Studio und nur auf Bestellung. Die gebürtige Arnheimerin findet, dass es genug Kleidung auf der Welt gibt. Sie will nicht noch mehr Überproduktion herstellen. Diese Sorgfalt sieht man ihren Entwürfen an, sie sind zeitlos, aber immer mit schönen Details versehen. In einen blauen Leinenmantel näht sie ein gelbes Futter, setzt einen Blouson aus Dreiecken zusammen und versieht ein Kleid mit großen aufgesetzten Taschen.
„Wir entwerfen keine Kollektionen, sondern ein Kleidungsstück nach dem anderen“, erklärt sie. Erst, wenn es einen Stoff nicht mehr gibt, nimmt sie ein Stück aus dem Sortiment. Es ist nicht immer einfach, sich dem klassischen System des Einzelhandels zu entziehen, aber Gringhuis ermuntert ihre Händler, weniger zu bestellen und lieber nachzuordern, wenn sich etwas gut verkauft. Die Designerin setzt schon jetzt um, was José Teunissen für den Luxus der Zukunft hält.
„State of Fashion“, bis zum 22. Juli, Melkfabriek, Nieuwe Kade 1, Arnheim
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