Modeausstellung im Victoria & Albert Museum: Über die Natur der Mode
Für das Bedürfnis, sich zu schmücken, beutet der Mensch die Natur rücksichtslos aus. Die Londoner Ausstellung „Fashioned from Nature“ im V&A zeigt Hintergründe.
Das Kleid aus Ananasfasern löst Schnappatmung bei Arizona Muse aus. Das Topmodel ist extra ins Victoria and Albert Museum (V&A) gekommen, um ihre größte Erkenntnis ins Mikrofon zu rufen. Für sie ist die Ananas im Kleid der Beweis, dass Nachhaltigkeit kein neues Thema in der Mode ist: „Nein, schon im 19. Jahrhundert gab es sie!“
Das ist ein etwas vereinfachter Blick auf die Ausstellung „Fashioned from Nature“, die heute im altehrwürdigen Londoner Museum für Kunst und Design eröffnet wird. Das Kleid, das 1828 für die Hochzeit einer gewissen Isabella Davison gefertigt wurde, war wohl ein seltenes Experiment, man weiß bis heute nichts über die Herkunft des Materials.
Nicht weniger als die schwierige Beziehung zwischen Mode und Natur von 1600 bis heute wird im V&A verhandelt, und so jubelt Direktor Tristram Hunt: „Dies ist die erste Ausstellung, die sich mit der Vergangenheit der Nachhaltigkeit auseinandersetzt.“
Es ist nicht zu übersehen, dass die Kuratorin Edwina Ehrmann Historikerin ist und ihren Job ernst nimmt. Sie will nicht den großen Rausch, den schöne Kleider auslösen, sie will, dass ihre Besucher kapieren: Das Desaster, das wir heute in der Textilindustrie sehen, hat eine lange Vorgeschichte von Ausbeutung der Natur.
Das Ende dieser Geschichte wird heute oft erzählt: die einstürzende Fabrik Rana Plaza in Bangladesch, die mehr als 1000 Menschen unter sich begrub. Sie nähten unter schrecklichen Bedingungen Kleidung, damit wir sie ein paar Euro billiger kaufen können. Kranke und alleingelassene Kinder, deren Eltern weit weg von zu Hause Geld verdienen müssen. Eine ruinierte Umwelt und riesige Kleiderberge, die überflüssig produziert werden.
Die Lust die Natur zu imitieren, war in der Mode immer groß
All dies ist das Resultat einer langen Entwicklung, die man sich im V&A anschauen kann. Die Präsentation ist nicht eine der großen, raumgreifenden Ausstellungen des V&A. Ein weißer Kubus wurde in der Modeabteilung aufgebaut, mit einer Treppe mittendrin, die zu einer zweiten Ebene führt. Unten ist die Vergangenheit bis zum 20. Jahrhundert ausgebreitet, oben dient eine Puppe in schwarz-weißer Abendrobe als Wegweiser in die Gegenwart. 2016 trug die Schauspielerin Emma Watson bei einem Empfang dieses extra für sie angefertigte Kleid von Calvin Klein, das ganz und gar aus recycelten Materialien besteht. Direkt gegenüber schimmert ein 80 Jahre altes Abendkleid von Madame Grès perlmuttern, der Stoff scheint aus Muschelschalen zusammengesetzt zu sein.
Die Lust, die Natur darzustellen und zu imitieren, war in der Mode immer schon groß. Als 1828 zum ersten Mal eine seltene Blüte aus Übersee im botanischen Garten in Kew in Surrey erblühte, tauchte sie wenig später als Druck auf einem Kleid auf. Auch Algen und Korallenriffe, Äffchen und tropische Vögel waren beliebte Motive.
Wenn Seide durch feine Glasfasern oder eben Ananasfasern ersetzt wurde, ging es nicht um die Suche nach alternativen Fasern, wie sie heute notwendig ist, um den Bedarf an Stoff für eine wachsende Bevölkerung zu decken. Der Reiz des Exotischen war entscheidend, dafür wurden Menschen und die Natur rücksichtslos ausgebeutet. Millionen Albatrosse wurden geschlachtet oder gleich am Strand lebend gerupft, weil sich aus den weichen Brustfedern so kuschelige Muffs fertigen ließen. Das Gefieder von Türkisnaschvögeln aus Hawaii glänzte so schön irisierend, wenn die Überreste der Tiere den Damen samt Schnabel als Schmuck am Ohrläppchen baumelten. Aus Kanada kamen die Robbenhäute, das seidige Fell war so begehrt, dass von der Population von drei Millionen Robben 1880 zwanzig Jahre später nur noch 300 000 übrig waren.
Die ersten Tierschutzorganisationen entstanden schon Ende des 19. Jahrhunderts
Es ging auch damals nicht um die Notwendigkeit, sich mit Kleidung zu wärmen und zu schützen. Es ging um die Gier nach Neuem, nach Schmuck und danach, etwas Besonderes zu sein. Sie ist dem Menschen seit jeher zu eigen und wurde von der Modeindustrie so angeheizt, dass es heute ein Leichtes ist, unsere Kauflust mit den kleinsten Reizen zu stimulieren.
Mit der Gier nach Federn und Fellen aus fernen Ländern wuchs auch der Protest. Ende des 19. Jahrhunderts gründeten britische Frauen die ersten Tierschutzorganisationen. Aber die Träger brachten sich auch selbst in Gefahr. Zum Beispiel, wenn sie Filzhüte aus Biberpelz trugen, die mit giftigen Quecksilbersalzen geschmeidig gemacht worden waren. In einer Vitrine liegt ein in dicke Folie und mit Totenköpfen verpacktes Exemplar. Vor dem Einatmen der Dämpfe wird auch jetzt noch gewarnt, die Organe könnten geschädigt werden.
Früher war eben nicht alles besser. Schon im 19. Jahrhundert löste die Massenproduktion von Baumwolle in Manchester giftigen Regen aus. Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Katastrophe, die wir Menschen auslösen, weil wir uns als über aller Schöpfung stehend empfinden. Es ging in der Mode immer darum, unseren Darstellungsdrang zu befriedigen, was zunächst dem Adel vorbehalten war. Schon im 17. Jahrhundert war die Mode ein globaler Handel. 90 Prozent aller Importe nach Großbritannien waren Rohmaterial, 90 Prozent der Exporte waren verarbeitete Güter.
Und natürlich hat auch diese Ausstellung eine klare Botschaft, die nicht so neu und überraschend ist: Denk darüber nach, was und ob du kaufst. Das könnte als Bedrohung für Modeunternehmen verstanden werden, ist aber vor allem eine neue Herausforderung. Auch wenn ihre Kunden noch nichts davon wissen, schmieden die längst Bündnisse für bessere Baumwolle und rüsten sich mit Nachhaltigkeitsmanagern für die Zukunft.
So dürfen im V&A auch Global Player wie Nike ihre guten Produkte ausstellen. Das aktuellste Ausstellungsstück kommt vom niederländischen Label G-Star: die allerbeste Jeans der Welt, die nach den strengen Kriterien des „Cradle to Cradle“-Konzepts hergestellt wird, ein geschlossener Kreislauf, nach dem die Jeans nicht nur nachhaltig hergestellt wird, sondern auch komplett reyceclt werden kann. Diese Hose ist einer der Gründe, warum Edwina Ehrmann von sich behauptet: „Ich bin Optimistin. Wir müssen den Leuten nur noch zeigen, warum.“
Die Ausstellung ist bis 27. Januar 2019 im V&A in London zu sehen.
Mehr Infos unter www.vam.ac.uk
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