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Sonnendeck. Auf dem Palace Pier ist ganzjährig was los – mit Achterbahn, Dosenwerfen, Spielautomaten und Donuts.
© VisitBrighton

Brighton: Hier ist 365 Tage im Jahr Kirmes

Wo Pimm’s und Softeis regieren, Zebras singen, die Achterbahn klappert und Romeo betrunken ist: 48 Stunden Rummel am Ärmelkanal.

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Keiner tut das hier freiwillig. Zumindest keiner, der älter als 15 ist. Aber es gehört nun mal dazu, den Palace Pier wenigstens mit einem ungewollt dosenerworfenen Stoffbären zu verlassen, in der anderen Hand eine Tüte voller noch ungewollterer, überzimtiger Donuts.

Nur 524 Meter Holzlatten Pier, 1899 fertig erbaut, braucht es, bis klar wird, worauf es diese Stadt anlegt: Sie zwingt die Besucher, sich zu vergnügen, ob sie wollen oder nicht. Denn hier findet immer Kirmes statt.

Na gut, dann eben einen Looping auf der blau-gelben Achterbahn – Name: Turbo; Zustand: nicht-mehr-ganz-so-turbo – , das graue Meer unter sich sehen, riechen, die Möwen sind doch immer schneller, und dann mit anderen Halbstarken um die Wette flippern.

Der britische Arzt Richard Russell glaubte im 17. Jahrhundert an die heilende Wirkung eines täglichen Glases Meerwasser bei jeder Krankheit und schickte halb Europa in dieses „kleine London an der See“. Nach nur einer Stunde Kichern am Pier denkt man, dass vielleicht auch ganz andere Dinge gesund machen können.

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Zum Beispiel ein Spaziergang am Strand. Wenn man nicht gerade mitten in eine Parade gerät, beispielsweise weil die Fußballmannschaft aufgestiegen ist, weil Kriegsveteranen ihre Autos präsentieren wollen, Tätowierte ihren Körperschmuck oder Foodies ihre kulinarischen Kreationen.

Vom Palace Pier nach Osten laufen, in Richtung Hove, mit dem sich Brighton 1997 zusammenschloss, seither zählt die Stadt 250 000 Einwohner.

Vorbei an der metallenen „Kissing Wall“, einem Kunstwerk, das man nur mit etwas Abstand als küssende Männer und Frauen identifiziert. Brighton gilt als eine von Europas Homo-Hochburgen, das begann schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg, als viele Schwule sich von den hier stationierten britischen Soldaten angezogen fühlten. Bereits in den 1950ern erkämpften Homosexuelle sich einen eigenen Strandabschnitt. An der Seitenfassade des Prince Albert Pubs (Trafalgar Street, nahe dem Bahnhof) sieht man deshalb auch ein Kunstwerk des Streetart-Künstlers Banksy: zwei knutschende britische Bobbys, Polizisten.

Vorbei am geschundenen Westpier, der zweimal abbrannte und von Stürmen in Stücke gerissen wurde, er steht nur noch als schaurige Fotokulisse und wegen des Denkmalschutzes. Möglicherweise fragen einen jetzt ein paar junge Künstler, ob man mit ihnen Steine bemalen und herumwerfen mag, doch Vorsicht: Der Strand gehört der britischen Königin, Kieselstehlen ist strafbar. Wird jedoch, wenn man nicht kistenweise zuschlägt, selten verfolgt. Die Steine sind essenzieller Schutz der Stadt gegen ihre wilde See.

In die könnte jetzt hineinspringen, wer 15 Grad kaltes Wasser mag. Danach einen Pimm’s oder ein Softeis – und sich von der langen Reihe bonbonfarbener Strandhütten mehr Lust auf Süßigkeiten machen lassen: Im Brighton Rock Shop (41 Kings Road) verkaufen sie die altmodischen rot-weißen Zuckerstangen, die jeden in ein anderes Jahrhundert katapultieren.

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Einst lebten in den kleinen Gassen, nur wenige Meter stadteinwärts vom Meer, die Fischer von Brighthelmstone. Heute treibt es Paare aus ganz England auf der Suche nach Eheringen in die vielen Schmuckläden der Lanes. Ein Shop verkauft ausschließlich Quietscheenten für die Badewanne, ein anderer sucht Mitarbeiter mit „Einhornqualitäten“ und bei „Chocowhackadoo“ ist wirklich alles aus Kuchen gemacht, die gigantischen Hunde, die gruselig dreinblickenden Puppen. Hier besser nur schauen, nicht einkehren, zu voll, zu teuer.

Egal welches Geschäft man betritt in Brighton – immer dudeln Gute-Laune-Songs aus dem Radio, cheesy tunes zum Mitträllern. Als würde die ganze Stadt versuchen, jeden fröhlich zu machen.

Kurz nach oben geschaut, ob es wenigstens irgendwann angemessen englisch regnet? Eher selten, in East Sussex ist es meist wärmer als im Rest des Vereinigten Königreiches. Dafür entdeckt man beim Blick in den Himmel auf dem Dach des Pubs „The Mesmerist“ (1-3 Prince Albert Street) einen Gorilla aus Plastik.

Die Zeit bis zum Abendessen gilt es im Pub zu überbrücken

Sonnenseite. In den North Laines dominieren kleine, alternative Cafés und Boutiquen.
Sonnenseite. In den North Laines dominieren kleine, alternative Cafés und Boutiquen.
© VisitBrighton

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Lange nichts Süßes mehr gegessen! Und dies ist die ideale Zeit für einen Cream Tea. An den Kronleuchtern im „Mock Turtle“ (Place Page 4, Pool Valley) sind mehr Glühbirnen kaputt als heil, Tische, Speisekarten und Zuckerdose kleben, die Fenster sind in Wasserdampf gebadet. Seit mehr als 50 Jahren betreibt eine Familie diesen Tearoom, bizarr benannt nach dem Schildkrötensupperich aus „Alice im Wunderland“, einer Schildkröte mit dem Kopf eines Kalbes, mit Hufen und Schwanz.

Aber all das ist unwichtig, sobald Scones, Clotted Cream, gesalzene Butter im Fässchen und Erdbeerkonfitüre auf blau-weißem Willow-Geschirr hereingetragen werden (alles für knapp sechs Pfund) und sich ein Streit darüber entspinnt, ob man erst die Cream oder die Marmelade (nach Devonshire oder Cornish Art) auf die warmen Gebäckhälften streichen muss.

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Die Zeit bis zum Abendessen gilt es im Pub zu überbrücken – davon hat Brighton mehr als 300. Der älteste, „The Cricketers“ (15 Black Lion Street), wurde 1547 eröffnet. 1888 soll darin Jack the Ripper zwischen seinen Londoner Morden übernachtet und später Graham Greene darin an seinem Roman „Brighton Rock“ (auf Deutsch: „Am Abgrund des Lebens“) geschrieben haben.

Auf keinen Fall die enge Gasse links neben dem Pub verpassen, The Twitten. Der Name leitet sich vom germanischen Wort für „zwischen“ ab. Dort stehen Brightons älteste Häuser, niedrige Fischer-Cottages, um 1500 erbaut. Und wozu dienen sie wohl heute? Junggesellenabschiede mieten sie für ausgedehnte Partys!

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Mit 500 Restaurants hat Brighton London fast eingeholt. Ein Roast Dinner, einen richtigen Sonntagsbraten mit Gravy-Sauce, Yorkshire Puddings, gedünsteten Karotten und Meerblick gibt es im „New Club“ (133-134 Kings Road). Wer danach an einem Wochenendabend erneut durch die Lanes spaziert, hört vielleicht Peter Joannou – den singenden Frisör. Mit Anzug und Zylinder performt er aus seinem Salon (40 Middle Street) Melodien für die Massen, das Geld spendet er für die Krebsforschung.

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Noch immer lädt der Jahrmarkt ein. Wenn gerade eines der ständigen Festivals läuft, geben sie vielleicht eine Vorstellung von „Shit-faced Romeo & Juliet“. Dabei darf das Publikum den Romeo besoffen machen. Anschließend auf eine Session ins „Komedia“, wo regelmäßig Rapper mit Dichtern wettstreiten (44-47 Gardner Street) oder es in einem der vielen Strandclubs Julias Romeo gleichtun (Coalition, 171, Kings Road).

Konfetti aus den Harren schütteln, Glitzer von der Wange wischen

Im "Komedia" in der 44-47 Gardner Street treten Rapper und Dichter auf.
Im "Komedia" in der 44-47 Gardner Street treten Rapper und Dichter auf.
© VistitBrighton

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Wenn die Nacht zu kurz oder das Bier zu stark war, hilft nur ein warmes, englisches Frühstück. Sich das Konfetti der letzten Party aus den Haaren schütteln und in die North Laines aufsteigen, jene Gassen unterhalb des Bahnhofs, die von Girlanden überspannt werden, und wo sich keine Kaffeekette traut, gegen die kleinen Läden anzutreten.

Im „Kitchen Café“ (93 Trafalgar Street) begrüßt die pausbackige Kellnerin – auch sie wischt sich noch Glitzer von den Wangen – gerade Dave, Darling, der bei der Post arbeitet. Er macht Mittagspause und braucht jetzt stapelweise Toast, um seine „Baked Beans“ aufzutunken. Dave erzählt, dass er bereits als kleiner Junge mit seinen Eltern für das ordentlichste Arbeiterfrühstück der Stadt hierhin gekommen ist, während in der Küche der Speck brutzelt. Ab drei Pfund wird man satt und wieder nüchtern, mit Würstchen, Pilzen, Rührei. Die Tür geht auf, herein kommt Mike, wie es seiner Frau geht? Eine lange Geschichte! Ich hab Zeit, Darling, flötet die Kellnerin. Im Radio läuft die Musik aus „Dirty Dancing“.

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Jetzt durch die North Laines streifen. Hier gibt es Geschäfte, die vegane Schuhe verkaufen – Brighton ist die einzige Stadt im Vereinigten Königreich, die grün regiert ist. Und dann das beste Mitbringsel überhaupt finden: Fudge, Buttertoffee. Mit Glück kann man den netten Studentinnen bei „Roly’s“ (9A Kensington Gardens), in Brighton gibt es zwei Unis, unzählige Sprachstudierende, zusehen, wenn sie heiße Karamellmasse auf kalten Marmor kippen und mit Rumrosinen, Walnüssen oder Schokostückchen anreichern.

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Als er noch Prinz von Wales war, kam der spätere König Georg IV. zum Schöner-Leben in das Seebad und ließ ab 1815 den exotischsten Palast Europas errichten. Innen zeigt sich der „Royal Pavillion“ chinesisch, außen indisch mit Kuppeln und Minaretten, und von den Ställen, wo das Rotlichtviertel lag, führt ein Tunnel hinein: So konnte der Prahlprinz sich abends eine Dame auswählen und sie unverfänglich zum Pferdebesichtigen einladen.

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An Brightons Strandpromenade reiht sich ein „Fish & Chips“-Shop an den anderen. Es lohnt sich jedoch, auf einen der vielen Hügel hinaufzusteigen und die Reise mit großen Portionen von butterweichem Kabeljau in knuspriger Panade (unbedingt Erbsenpüree dazu bestellen) von Bardsley’s (22-23 A Baker Street) zu beenden. 1926 hat Urgroßvater Ben den Laden gegründet und damit seine Familie durch die Weltwirtschaftskrise gerettet. Nicht wundern, wenn gleich auf dem Rückweg in einem der Parks ein Zebra Keyboard spielt: Dann ist heute ein normaler Tag in Brighton.

Tipps für Brighton

HINKOMMEN 

Am schnellsten von Berlin-Schönefeld nach London-Gatwick mit Easyjet für knapp 100 Euro. Dann in 45 Minuten weiter bis zur Strandstation „Pool Valley“ mit den Bussen von National Express (etwa 10 Euro) oder dem Gatwick-Expresszug in 40 Minuten

UNTERKOMMEN

Das Harbour Hotel, 64 Kings Road, liegt nur wenige Minuten entfernt von allen Vergnügungstempeln der Stadt. Das Meer und die Bässe aus den Strandclubs rauschen einen in den Schlaf. Im großen Spa erholt man sich von wilden Feiern. DZ ab 150 Euro, brighton-harbour-hotel.co.uk.

RUMKOMMEN

Der Brightoner Julian Clapp bietet amüsante 90-minütige Walking-Touren an. (brightoncitywalks.com). Infos zu Festivals und anderen Events: visitbrighton.com.

Über 300 Pubs gibt es in Brighton und 500 Restaurants hat die Stadt London fast eingeholt.
Über 300 Pubs gibt es in Brighton und 500 Restaurants hat die Stadt London fast eingeholt.
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