Codes für Kinder: Hauptsache sie sitzen vor dem Computer
Deutsche Konzerne verlieren den Anschluss, weil viele die Digitalisierung nicht meistern. Es kommt jetzt auf die Kinder an. Ein Kommentar.
Raus mit den Kindern an die frische Luft. Sonne, Regen, Wind – oft kommen sie mit leuchtenden Augen, wunden Knien und schmutzigen Händen zurück als Beleg für einen gelungen Ferientag. Das stimmt. Und ist doch nicht alles. Darf nicht alles sein.
Warum dürfen es nicht auch mal Handy, Tablet, Computer oder Sprachbox sein? Zu oft werden diese digitalen Werk- und Spielzeuge als potenzielle Gefahrenquellen stigmatisiert. Und viel zu oft hört man von Eltern: Hauptsache, die Kinder sitzen nicht den ganzen Tag vorm Computer. Sollen sie auch gar nicht. Und, es stimmt: Bildschirmfreie Zeit ist sehr wichtig. Aber genauso wichtig ist die Frage, wie sie ihre Bildschirmzeit verbringen. Und vielleicht sitzen einige sogar zu wenig vorm Rechner.
Nur noch zwei deutsche börsennotierte Konzerne schaffen es unter die wertvollsten 100 weltweit: SAP auf Platz 52 und die Allianz gerade so noch auf Platz 98. Die Top-Position sind von den Tech-Giganten aus den USA und China belegt. Die deutsche Wirtschaft ist auf dem absteigenden Ast. Vor allem die Digitalisierung wird als Problem ausgemacht, weil sich Unternehmen immer noch schwer mit ihr tun. Die Zahl der Patente ist mit rund 30 000 zwar konstant, aber die anderen haben Deutschland längst überholt. Die ersten Phasen der Digitalisierung wurden komplett verschlafen. Der Preis: Abschwung, Prestigeverlust und ein weiter Weg zurück nach oben.
Und was können die Kinder jetzt dafür? Gar nichts. Im Gegenteil. Sie sind die Hoffnung auf den nächsten Aufschwung. Oder anders gesagt: Sie müssen den Weg zurück nach oben meistern. Das wird aber nur gehen, wenn man sie jetzt befähigt. Die Fünf- bis 20-Jährigen müssen digitales Wissen, Leidenschaft und Kreativität fürs Digitale aufbauen. Sie müssen verstehen, dass Siri keine Zauberei ist. Dass man Künstliche Intelligenz trainieren kann – und muss. Es ist elementar, dass Kinder so früh wie möglich lernen, was hinter einem Computerspiel, einer Playlist oder den Sprachbefehlen für Alexa steckt. Je früher Kinder direkt das Programmieren lernen, umso besser werden sie ihre künftige Welt beherrschen können. Breites Wissen und Verständnis sind auch eine Form der Demokratisierung von Technologien.
Und immerhin. Es gibt bereits viele Möglichkeiten, Kindern spielerisch Programmiersprachen nahezubringen und Künstliche Intelligenz (KI) zu verstehen. Das allein wird jedoch nicht reichen. KI sollte fester Bestandteil in Deutschlands Intelligenzzentralen sein, den Schulen. Natürlich ist es gut, im Chemie-Unterricht zu lernen, was passiert, wenn man bestimmte Substanzen mischt. Vielleicht hilft es sogar dem einen oder anderen, das Periodensystem auswendig zu lernen. Und sicherlich war die Schul-Chemie auch ein Nukleus dafür, dass Bayer und BASF mal zu den 100 wertvollsten Unternehmen weltweit zählten. Aber jetzt sollten nicht chemische Formeln im Vordergrund stehen, sondern harte Codes.
Ohne ein breites digitales Wissen und vor allem die Freude daran wird es Deutschland schwer haben. Eine Digital-Debatte, die geprägt ist von Skepsis, Abneigung und einem Narrativ der Gefahr, hilft nicht. Blinde Euphorie ist ebenfalls die falsche Antwort auf den tiefgreifenden digitalen Wandel. Mit Pragmatismus und Kenntnis fährt man am besten, nur müssen dafür die Grundlagen gelegt werden. Und die beste Voraussetzung dafür sollte die Generation Ü5 bekommen. Sie muss besser als wir alle verstehen und wissen, wie die Welt funktioniert. Eine Welt, in der es eine Unterteilung in analog und digital mutmaßlich gar nicht mehr geben wird. Nur so kann diese Generation auch Risiken und Fehlentwicklungen profund erkennen.
Insofern sind die Natur, das Meer, die Sonne immer tolle Spielgefährten. Doch jetzt, wo der Sommer eine kleine Atempause einlegt, schadet das Tablet, die Smartbox oder ein bisschen Spielen mit Alexa nicht. Eltern haften da nicht für ihre Kinder. Sie helfen – und lernen mit.