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Drei Schulkinder zeigen ihre Calliope-Minicomputer.
© Jørn Alraun/Calliope gGmbH/dpa

Programmieren in der Schule: Noch nicht das volle Programm

Coding-Kenntnisse werden immer wichtiger, Pflichtfach ist Programmieren aber nicht. Doch auch schon Grundschüler sollen dafür begeistert werden.

„Programmieren als Schulfach“, „Coding für alle“ – immer wieder wird gefordert, dass Kinder schon in der Grundschule ebenso wie Lesen, Schreiben und Rechnen eine Programmiersprache lernen sollten. Das sieht auch Bestsellerautor Frank Schätzing so. Im Tagesspiegel-Interview plädierte er kürzlich dafür, „Informatik und Computersprachen zum Pflicht- und Hauptfach“ zu machen.

Und wie sieht es mit der Realität in den Schulen aus? Wird schon landauf, landab gecodet? Nach der vor knapp zwei Jahren von der Kulturministerkonferenz zur „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedeten Strategie soll bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler „eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können“. Vom Programmieren allerdings ist in der ganzen Strategie nicht die Rede. Ebenso wenig ist davon bislang bei den Plänen für den milliardenschweren Digitalpakt zu hören.

Gut ein Viertel der Oberschüler kann eine Programmiersprache

Wie es tatsächlich um die Coding-Kompetenzen der Schüler bestellt ist, wurde bislang kaum untersucht. Eine der wenigen Bildungsstudien, die überhaupt danach gefragt haben, ist „Schule Digital“ der Initiative D21 von 2016, eine bundesweite Umfrage unter 1425 Schülerinnen und Schülern ab 14 Jahren. Danach sagten immerhin 27 Prozent, dass sie eine Programmiersprache wie Java, Scratch oder Logo beherrschen, bei den Lehrkräften waren es 21 Prozent.

Nicht thematisiert wurde das Programmieren in der internationalen ICILS-Studie von 2013 zu Computerkompetenzen von Achtklässlern. In der gerade laufenden Folgestudie wird erstmals danach gefragt, sagt die deutsche Studienleiterin Birgit Eickelmann von der Uni Paderborn.

Umstritten, wie zentral Programmieren sein sollte

Doch Eickelmann ist – wie viele Schulpädagogen – skeptisch, wie zentral das Ziel „Coding für alle“ überhaupt sein sollte. Programmierkenntnisse seien „nur ein Teil von einem Gesamtgefüge aus Kompetenzen“, die Schüler heute für eine zunehmend digital geprägte Welt bräuchten, sagt Eickelmann. Schulen müssten im Hinblick auf den digitalen Wandel auch kommunikative, kooperative und soziale Kompetenzen sowie den reflektierten und selbstbestimmten Umgang mit neuen Technologien vermitteln. Das stelle einzelne Schulen und das gesamte System vor enorme Herausforderungen.

Unterrichtet wird das Programmieren bislang im Informatikunterricht an den weiterführenden Schulen. Doch nicht alle Schulen bieten ihn an. So ist es bislang letztlich Glückssache, ob Kinder und Jugendliche das Coden in der Schule lernen – oder bei Interesse in ihrer Freizeit an Coding-Camps teilnehmen.

Projekte und freiwillige Angebote in Berlin

Auch in Berlin ist Programmieren kein Pflichtfach. Es gibt viele Projekte und freiwillige Angebote, die ausgeweitet werden. Alle Schüler sollen die Möglichkeit haben, programmieren zu lernen, heißt es aus der Bildungsverwaltung. Medienbildung ist zudem fächerübergreifend im Lehrplan vorgeschrieben.

Pflicht für alle Berliner Schüler ist die „Informationstechnische Grundbildung“ (ITG) – ein einstündiges Fach, das in der siebten oder achten Klasse unterrichtet wird. Dabei geht es um grundlegende IT-Kenntnisse – das Verwenden von Standardsoftware, den Umgang mit Texten, Bildern, Filmen, dem Internet und um Datenschutz. Programmieren ist nicht Teil davon. Das wird dann Thema in Informatik, das in Berlin ab Klasse 9 ein Wahlpflichtfach ist. Der Einstieg ins Coden läuft meist über Scratch, eine grafische Programmiersprache.

In der Oberstufe, in der man Informatik als Grundkurs oder Leistungsfach wählen kann, kommen dann textbasierte Programmiersprachen wie Java oder Python zum Einsatz. An rund 30 Schulen wird in der Oberstufe zudem der Kurs „Digitale Welten“ angeboten, in dem ebenfalls Programmierkenntnisse vermittelt werden.

Scheeres: Ergänzung zu Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hält Programmierkenntnisse für wichtig: „Es ist eine Ergänzung der traditionellen Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben. Das sind Kompetenzen, die später im Berufsleben erwartet werden“, sagt sie. Berlin will verstärkt schon Grundschüler für das Programmieren begeistern und setzt dabei – wie viele andere Bundesländer – auf den Minicomputer „Calliope“. Das ist bundesweit das einzige Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, flächendeckend alle Grundschüler an das Programmieren heranzuführen.

Der „Calliope Mini“ ist eine handtellergroße Platine mit LED-Lämpchen, Sensoren, Mikrofon und Lautsprecher, zwei programmierbaren Knöpfen, USB-Anschluss und Bluetooth-Modul, um mit anderen Geräten zu kommunizieren. Die in Berlin ansässige gemeinnützige GmbH Calliope hat den Minicomputer seit 2016 durch Spenden finanziert und kostenlos an Pilotschulen abgegeben.

Der Calliope Mini kann in mehreren Fächern zum Einsatz kommen. In Musik können Kinder damit Melodien programmieren, in Sachkunde Messungen von Temperatur oder Wasserständen veranlassen, in Deutsch digitale Geschichtenabfolgen steuern. „Es ist ein vielseitig einsetzbares Gerät, mit dem Kinder lernen können, die digitale Welt mitzugestalten“, sagt Scheeres.

Calliope-Mini: Kostenlose Pilotphase läuft aus

Die Bilanz nach zwei Jahren Calliope-Projekt kann sich sehen lassen, von der flächendeckenden Verbreitung ist man aber weit entfernt. Das einzige Bundesland, in dem alle Drittklässler mit dem Gerät spielerisch Programmieren lernen können, ist einem Calliope-Länderüberblick zufolge das Saarland.

Berlin ist seit 2017 mit 100 Klassen dabei, in diesem Jahr kommen 50 weitere Grundschulen dazu. Je 100 Schulen sollen es 2018 auch in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen werden, in Schleswig-Holstein sind es 50, in Niedersachsen 30, in Hamburg und Bayern 20. In anderen Ländern wie Baden-Württemberg und Hessen sind die Minicomputer noch gar nicht angekommen.

Der Anspruch, dass alle Drittklässler mit dem Calliope Mini Programmieren lernen können, bestehe nach wie vor, sagt Projektkoordinatorin Nora Perseke. Die flächendeckende Einführung werde mittelfristig über motivierte Lehrer und begeisterte Kinder gewährleistet. Die Pilotphase, in der die Geräte spendenfinanziert verschenkt werden konnten, laufe bald aus. Schulen könnten künftig mit Eigenmitteln, mit Hilfe der Bildungsverwaltungen oder von Sponsoren Klassensätze des Geräts beim Calliope-Partner Cornelsen für 30 Euro kaufen. Man werde aber weiterhin kostenlose Einführungsworkshops für die Lehrkräfte anbieten, sagt Perseke.

In Berlin sei die Nachfrage nach Lehrerfortbildungen zum Programmieren mit Grundschülern enorm, teilt die Senatsbildungsverwaltung mit. Im vergangenen Jahr seien rund 130 Lehrer geschult worden, in diesem Jahr weitere 65.

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