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Super Typ, super Jacke: Marlon Brando in "Der Wilde".
© imago/AD

Modetrend Lederjacke: Haltung zeigen

Die Lederjacke lebt – mehr denn je. Leider oft als knallbunte Ramschware aus Plastik. Was für eine Sünde: Sie ist doch kein Kleidungsstück, sondern eine Weltanschauung. Ein offener Brief.

Liebe Lederjackenfreunde,

eigentlich wollte ich euch ja schon vor Wochen schreiben, weil ich in jüngster Zeit eine überraschende Beobachtung machte. Doch dann habe ich gedacht, vielleicht irre ich mich. Jetzt allerdings habe ich etwas gesehen, das ich bisher nicht für möglich gehalten hatte.

Und ich schwöre, es ist wahr, ich habe es mit eigenen Augen erblickt: Sie hing auf einem Kleiderbügel, war von rosaroter Farbe, hatte fünf Reißverschlüsse und Kleidergröße 104. Es war eine Lederjacke.

Vielleicht soll man dazusagen, dass die Größe 104 für Menschen bestimmt ist, die nur knapp über einen Meter gewachsen sind. Solche Menschen sind in der Regel vier Jahre alt.

Die Entdeckung rief in mir drei Gefühle hervor – und zwar in dieser Reihenfolge: erstens Lachen; zweitens Zorn; drittens Zweifel am vernünftigen Lauf der Welt.

Heino mit Stradivari

Ein Kind in der Lederjacke, das ist ungefähr so, als würde man Heino auf einer Stradivari spielen lassen oder Beethoven auf der Mundharmonika. Anders gesagt, da stimmt etwas nicht. Da passen Form und Inhalt nicht zusammen. Noch anders gesagt: Wer sein Kind in eine Lederjacke steckt, weiß nicht, was die für ein Ding ist. Eine Lederjacke ist doch kein Kleidungsstück. Eine Lederjacke ist eine Weltanschauung. Haben Vierjährige eine Weltanschauung?

Natürlich geht es nicht um Kinder. Auch die Erwachsenenwelt greift gieriger denn je zu jenem Textil, das gar kein Textil ist, sondern eine Tierhaut, Rind, Schaf, Ziege, Hirsch. Aber nein, um die Schmach auf die Spitze zu treiben: Immer öfter ist das Leder gar kein Leder, sondern ein Produkt aus einem Chemielabor, ein Imitat, das zum Beispiel Polyurethan heißt (Innenfutter 100 Prozent Polyester), Made in China, und in hiesigen Bekleidungsketten für 29 Euro angeboten wird, für 30, für 45. Best Price: 19,90 Euro. Sie ist wieder da, die Lederjacke. Als Scheinlederjacke.

Es begann mit der "Perfecto"

Objekt der Begierde: eine Lederjacke.
Objekt der Begierde: eine Lederjacke.
© Imago

Also, liebe Lederjackenfreunde,

damit wir uns nicht missverstehen: Zum Glück kann und darf in diesem freien Land jede und jeder anziehen, was ihm gefällt – es sei denn er/sie ist Polizist(in), Soldat(in), Stewardess oder Steward, Skispringer(in) oder Pfarrer(in). Alles ist erlaubt. Aber nicht alles, was erlaubt ist, ist auch gut. Eine Lederjacke hat eine Würde.

Das liegt unter anderem an ihrem Alter. Erfunden wurde sie immerhin schon vor fast 100 Jahren von dem New Yorker Hersteller Schott, genauer gesagt 1928, da brachte er sie unter dem Namen „Perfecto“ auf den amerikanischen Markt, benannte sie nach seiner Lieblingszigarrenmarke aus Kuba, bis heute firmiert sie unter diesem Label. Sie war als Schutzkleidung für Motorradfahrer gedacht, bestand aus schwarzem Nappaleder und machte alsbald Weltkarriere.

James Dean machte sie zum Kultobjekt

Marlon Brando („Der Wilde“) trug sie, Cary Cooper („Wem die Stunde schlägt“), James Dean („...denn sie wissen nicht, was sie tun“). Action-Helden wie Keanu Reeves trugen Lederjacken, Harrison Ford, Brad Pitt, die Black Panther in den 60ern und 70ern und die Beatles in ihren frühen Jahren. Eine Jacke wurde zum Kultobjekt. Mit ihr wurde Haltung gezeigt. Heute würde man sie Biker-Jacke nennen.

Was sie zu diesem Kultobjekt gemacht hat? Man muss sie nur einmal genauer ansehen. Da gibt es nämlich ein Detail, und das verrät schon alles. Die „Perfecto“ hat einen Reißverschluss, was heute nichts Besonderes ist, 1928 aber eine absolute Neuigkeit war.

Und dieser Reißverschluss weist eine kleine Ordnungswidrigkeit auf. Er sitzt nicht in der Jackenmitte, sondern ist wegen seiner Funktion als Windbreaker asymmetrisch, ein wenig zur rechten Seite hin verschoben. Als wollte er sagen: Ich verstoße gegen das Maß der Dinge, gegen die Norm, gegen das Gewohnte und damit das Gewöhnliche. Ich bin anders, ich liege quer, ich bin der Widerspruch.

Ein Hauch von Abenteuer

Coole Frau dank Lederjacke: Kate Moss.
Coole Frau dank Lederjacke: Kate Moss.
© imago

Die „Perfecto“ ist nicht allein geblieben, die Lederjacke hat sich allen Formen und Farben anverwandelt, mit Schulterklappen und ohne, mit Gürtel, mit Schaffellkragen, in Wildleder und Nubuk, als Bomberjacke und Fliegerjacke.

Doch ihre Botschaft ist stets die gleiche geblieben. Rebellion und Abenteuer, hartes männliches Image und befreite Weiblichkeit zugleich. Eintrittskarte zu den Subkulturen, Rocker, Goths, Metaller, Punks. Ausweis eines autonomen Selbstbewusstseins. Die Sportfreunde Stiller singen: „Ich schenke dir mein ganzes Leben/Meine Lederjacke kriegst du nicht.“ Denn darin steckt immer ein harter Hund oder zumindest einer, der dafür gehalten werden möchte.

Von Woodstock bis Brokdorf

Eben darum ist die neue Lederlust eine Verzärtelung, eine Verkennung, eine Verleugnung. Aus einem Statement wird ein modisches Accessoire. Was straight war, wird zum Schnörkel. Nun dürfen die Lederjacken gepuffte Ärmel haben und quietschende Farben.

Sie riechen nach Parfüm. Und nicht mehr nach Zigarren und selbstgedrehten Zigaretten, nicht mehr nach Feuer und schwarz gegrilltem Rindfleisch, nicht mehr nach Pferdeschweiß. Und sie erzählen keine Geschichten mehr, nicht vom Matsch von Woodstock oder den Wasserwerfern von Brokdorf oder den unendlichen Nächten unter irgendeinem Sternenzelt im Süden. Lauter Geschichten von Freiheit.

Jetzt hängt die Freiheit bunt an den Kleiderständern. Sie kostet nur ein paar Euro. Genau das ist der Irrtum. Die Freiheit kostet viel mehr.

Um die Wahrheit zu sagen: So hart waren die Hunde damals ja auch nicht. Ach nein, es waren oft genug ängstliche Hunde, dumme Hunde, weiche Hunde. Aber ein bisschen härter als Ken und Barbie waren sie schon.

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