Italien vor der Europawahl: Das Duell der Diven
In Italien geht es im Wahlkampf erst in zweiter Linie um Europa. Vor allen Dingen geht es um zwei Männer und die Frage: Ist Premier Renzi der bessere Populist oder der Fundamentaloppositionelle Grillo?
„Wir schaffen soziale Gerechtigkeit! Wir schenken denen, die wenig verdienen, ein 14. Monatsgehalt. Wir stecken ihnen ab Mai 80 Euro mehr in die Lohntüte, tausend Euro im Jahr!” So ruft’s der eine. Der andere wütet: „Das ist Stimmenkauf! Italien wird regiert von einem vulgären Lügner, einem schäbigen Hanswursten aus der Provinz!“
Täglich verbissener
Drei Wochen vor der Europawahl hat sich die Kampagne in Italien auf eine verbissene und täglich schärfere Entscheidungsschlacht zwischen zwei Männern zugespitzt: dem Regierungschef Matteo Renzi und dem Volkstribun Beppe Grillo. Zur Wahl steht zwar keiner von beiden. Aber jeder steckt in einer Legitimitätskrise, und jeder will diese durch einen Massen-Sieg am 25. Mai heilen. Renzi hat im Februar die Regierung seines sozialdemokratischen „Parteifreunds” Enrico Letta aus dem Amt geputscht, und seither führt er seinen Partito Democratico wie ein Alleinherrscher. Das nehmen ihm viele übel, auch wenn sie seinem Tempo und seiner Wucht bisher nicht standhalten konnten. Der 39-jährige Renzi betrachtet die Europawahlen als eine Volksabstimmung über sich selbst und seinen Reformkurs; er weiß: nur bei einem starken Sieg hat er innenpolitisch Ruhe.
Grillo wiederum, der bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr aus dem Stand 25 Prozent der Stimmen geholt hat und seither seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ mit harter, ebenfalls alleinherrscherlicher Hand auf strengem fundamentaloppositionellen Kurs hält, sieht in Renzi seinen einzigen wirklichen Rivalen in der italienischen Politik. Der 65-jährige Grillo hat Stimmen damit gesammelt, dass er die „alte, korrupte politische Klasse komplett nach Hause schicken“ wollte. Doch jetzt nimmt ihm Renzi die Butter vom Brot. Im Eiltempo hat der sich darangemacht, das Parlament tatsächlich zu verkleinern, Dienstwagen abzuschaffen und den künftigen Senatoren die Diäten streichen. Schon jetzt hat Renzi nahezu alle „Alten“ in seiner Partei ausmanövriert und auf die Plakate zur Europawahl ausschließlich neue Gesichter drucken lassen.
Gegen Manager, Banken, Bürokraten
Renzi sagt, was Grillo immer schon gesagt hat: Dass in der fortdauernden Krise „endlich diejenigen zahlen sollen, die sich bisher nicht beteiligt haben – die überbezahlten Manager von Staatsbetrieben, die Banken, die Bürokratie“. Doch anders als der oppositionelle Grillo hat Renzi die Macht, das auch durchzusetzen. Und der dauernd tobende Grillo, dem das ruhige Aussprechen von Sätzen nicht zu Gebote steht, fürchtet um seine Wählerstimmen – auch wenn er bei seinen Politshows nach wie vor die Säle füllt.
Renzis und Grillos Wählerschichten überschneiden sich in weiten Bereichen: Das sind die jungen, intelligenten Leute, die genug haben vom jahrzehntelangen Stillstand und von der Wiederkehr der immer gleichen Gesichter. Grillo will die Institutionen zerschlagen, Renzi will Italien innerhalb der Institutionen umstülpen – auch wenn er dafür, unter Grillos Druck, erst einmal seine eigene, traditionell zerstrittene Partei so revolutionieren, so auf ihn zentrieren muss, dass sie sich derzeit selbst nicht wiedererkennt.
Das Volk favorisiert Renzi
Das Volk steht eindeutig auf Renzis Seite. Ein Drittel der Wählerstimmen sollte er nach aktuellem Stand der Umfragen abräumen, das wären gute acht Punkte mehr, als seine Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl 2013 eingefahren haben. Grillo dagegen könnte auf 21 Prozent zurückfallen; praktisch sieht er nur mehr eine Möglichkeit zur Gegenwehr: Renzi lächerlich zu machen. Als Satiriker hat Grillo lebenslange Berufserfahrung in solchen Dingen. Renzi, das hat er bei einer erstaunlichen Parlamentsrede vor dem EU-Gipfel im März so eindeutig und so unpopulistisch klar gemacht wie kein italienischer Politiker in mindestens den letzten zehn Jahren, ist glühender Europäer. Grillo ist exakt das Gegenteil, weil er auch noch das letzte Stammtischargument im Volk gegen den Euro, gegen die „abgehobene EU-Bürokratie“, gegen das „nicht mehr Herr Sein im eigenen Haus“, gegen die von Brüssel und Berlin aufgezwungene, „Italien kaputt machende Austeritätspolitik“ aufgreift und verstärkt. Will Renzi die Bilanzregeln der EU – also beispielsweise die Defizitgrenze – so weit wie möglich ausreizen, so will Grillo sie schlicht abschaffen.
Berlusconi poltert hinterher
Und der alte Platzhirsch? Silvio Berlusconi darf aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerbetrügereien nicht kandidieren, aber doch Wahlkampf treiben. Das tut er unter vollem Einsatz, aber die Umfragen sehen seine Partei abgeschlagen auf dem dritten Platz.