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Fleischsalat
© photocrew - Fotolia

Guilty pleasures: Kulinarische Sünden: Es muss nicht immer Kaviar sein

Manchmal ist wieder so ein Tag. Dann lechzen wir nach Geschmacksverstärkern, Dosenbohnen und Milchreis aus der Tüte. Fünf Bekenntnisse.

Fleischsalat

Gespräch in einem Ausflugsrestaurant, der Gast fragt, was denn empfehlenswert sei.

Kellner: „Ich könnte Ihnen ein gut gereiftes Fleischbrät an Säureregulator und Maisstärke bringen.“

Gast: „Bitte?! Das ist nicht Ihr Ernst.“

Kellner: „Wenn dieses Gericht Ihnen nicht zusagt, gäbe es noch Eigelb mit Antioxidationsmittel und Farbstoffen – auf Wunsch richten wir das auch mit Saccharose und Natriumisoadacarbonat an.“

Gast: „Wollen Sie mich veralbern? Bin ich hier in der Sendung ‚Versteckte Kamera’?“

Krause Petersilie als Dekoration

Wer denkt sich so einen merkwürdigen Dialog aus? Loriot? Anke Engelke? Nein, diese Art der Konversation ist überall denkbar, wo Fleischsalat serviert wird. Ich liebe Fleischsalat. Er erinnert an die ersten Partys und Geburtstage. Platten voll mit belegten Brötchen. Die mit Fleischsalat waren hübsch dekoriert. Streifen von eingelegter roter Paprika aus dem Glas. Streifen von grell leuchtendem „Lachsersatz“, der stark fischig roch. Häufig gab es russische Eier, also nichts anderes als ein Hügel aus Fleischsalat und halbierten, hart gekochten Eiern darauf, krause Petersilie als Dekoration. Das Zeug war, wie wir damals sagten, ein echter „Schmackofatz“. Der Duden bietet als Synonym das Wort Leckerbissen an. Heute spricht man vornehm von „Umami“, dem fünften Sinn für Geschmack.

So sah die kulinarische Adoleszenz in den 60er und 70er Jahren aus. Das Essen wurde nicht mehr selbst zubereitet, der moderne Mensch kaufte im Supermarkt. Wer schaute da schon aufs Kleingedruckte? Ich lese auch keine Beipackzettel der Pharmaindustrie, sie deprimieren mich. Wenn ich eine Tablette gegen Bauchschmerzen nehme, bekomme ich Sprachstörungen, epileptische Anfälle, ich darf nicht mehr Auto fahren. Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Lieber rasch die Pille schlucken und den Rest verdrängen.

Stabilisator, Natriumcitrate, Dextrose...

Irgendwann habe ich einen riesigen, unverzeihlichen Fehler gemacht. Ich habe die Plastikdöschen umgedreht, in denen der Fleischsalat abgepackt ist, und las: Stabilisator, Natriumcitrate, Dextrose, Wasser, Zucker, Säuerungsmittel, Citronensäure, modifizierte Stärke, Verdickungsmittel, Guarkernmehl, Aromen,  Branntweinessig, Maisstärke, Natriumacetate und – siehe oben. Kaufe ich mir nun ein Brot dazu oder frage ich meinen Apotheker?

Ach, was. Auf Zigarettenschachteln steht „Rauchen tötet“, selbst Fotos von Teerlungen und ekeligen Raucherbeinen halten die Menschen nicht ab. Selbstverständlich müsste Fleischsalat gehandelt werden wie Arzneien. DER VERZEHR DIESER SPEISEN IST UNGESUND UND MACHT DICK.

Ich werde es wieder tun. Weil süß-säuerlich klebrige Zeug einfach an die Kindheit erinnert und, selbstverständlich: wegen Umami. Und weil mal danach auch Auto fahren darf. Norbert Thomma

Milchreis essen, alles vergessen

Baked beans
Baked beans
© mauritius images

Süße Mahlzeit Milchreis

Wann immer die Welt am hässlichsten ist, koche ich einen halben Liter Milch auf, öffne ein gelbes Tütchen, kippe den Inhalt ins sprudelnde Weiß und – warte. Nach zehn Minuten und zweimal Rumrühren ist Dr. Oetkers „Süße Mahlzeit“ verzehrfertig. Zitternd führe ich den Löffel zum Mund. Ertränke alles Leid der Erde im Reis.

Wer will schon kochen, wenn er untröstlich ist? Wer kann in solchen Momenten konzentriert den Herd bewachen, damit die Masse nicht am Topfboden anbrennt? Das Tütenwunder bringe ich gerade noch zustande. Regression hat einen Namen: Dr. Oetkers Milchreis, klassisch.

Obwohl er viel zu süß ist. Obwohl er schnell zu aufgeweicht gerät. Umso besser, kauen könnte mich jetzt überfordern. Obwohl die lange Zutatenliste aus Farbstoffen und Dickungsmitteln kein Vertrauen weckt. Diesen Brei bereite ich für ein Baby zu, mich selbst. Milchreis essen, alles vergessen. Das hat schon immer funktioniert. Bis heute erreichen mich in schweren Zeiten Carepakete meiner Mutter gefüllt mit den süßen Päckchen.

Ich löffel mich zurück ins Leben. Suhle mich im Kleinkinddasein. Durchlaufe eine Metamorphose. Korn um Korn werde ich erwachsen. Bald verlangt mein Gaumen ein Kontrastprogramm. Ist der Topf ausgekratzt, ist der Prozess geschafft. Jetzt ein Steak! Julia Prosinger

Baked Beans

Alle Menschen machen Fehler. Auch beim Essen. Wenn ich mir anschaue, wovon ich mich die ersten 25 Jahre meines Lebens so ernährt habe, packt mich rückblickend das Grauen. Trotz aller Bemühungen meiner Mutter war meine Jugend kulinarisch ein endloses Bankett von Fischstäbchen, Fertigbolognese, Dosenfisch, Gummikäse und Kelloggs’s Fruit Loops.

Aber der Mensch ist ja lernfähig. Selber kochen macht mehr Spaß, ist gesünder und schmeckt besser, hab ich irgendwann festgestellt. Fehler kann man folglich vermeiden. Alle bis auf einen: Baked Beans aus der Dose.

Süß und sauer, samtweich und sättigend, warm und wohlig erfüllt mich die überzuckerte Bohnenpampe nach wie vor mit Glücksgefühlen, wie andere Leute es beim Verspeisen von Schokolade erleben mögen. Allerdings schaffen das nur die „Heinz Beanz“ und auch die nur in der Originalvariante. Die ekligen Mutationen mit „Hot Chili“ oder Würstchen drin rühre ich nicht an. Was immer sich hinter den auf den türkisen Dosen nebulös umschriebenen „Gewürz- und Kräuterextrakten“ verstecken mag, es funktioniert. Ich habe andere Sorten ausprobiert. Kein Ersatz.

Als es die Bohnen noch nicht in jedem Supermarkt gab, kam ich aus London, wo meine damalige Freundin wohnte, stets mit ein paar Dosen im Rucksack zurück, die zu hohen Feiertagen geöffnet wurden. Das Ritual habe ich beibehalten. Dass Roger Daltrey für das Cover von „The Who Sell Out“ in Baked Beans badete, finde ich nicht befremdlich. Wäre das sozial akzeptiert, ich würde es ihm sofort nachmachen. Moritz Honert

Mysteriöse Gewürzmischung

Yum Yum Suppe
Yum Yum Suppe
© Kai-Uwe Heinrich

Pizza Pasta

Es ist jedes Mal das Gleiche: Fassungslose bis angeekelte Gesichter, wenn ich von meinem liebsten Tiefkühlessen erzähle. Wie bitte? Eine Pizza belegt mit Nudeln? Wer denkt, das sei verrückt, kennt meine kulinarische Sozialisation nicht: Zu Schulzeiten ging ich mit Freunden gern zu einem Vietnamesen, der Chinapfanne im Dönerbrot servierte. Fusionsküche für Hartgesottene. Genau mein Ding.

Keine Sorge, ich esse ebenfalls Grünzeug (wenn auch nicht viel) und koche gelegentlich selbst (wenn auch nicht gut). Manchmal allerdings, nach einem langen Tag, wenn Magen und Kühlschrank ein schwarzes Loch bilden, muss der Griff ins Tiefkühlfach erlaubt sein.

Im Fall der Pizza Pasta von Dr. Oetker ist der schlechte Ruf von Fertigprodukten meiner Meinung nach sowieso nicht gerechtfertigt. Mit Leichtigkeit lässt sie ihre langweiligen Artgenossen (Salamifunghispinathawaii) meilenweit hinter sich.

Nach wenigen Minuten im Ofen entfaltet sie ihre schlichte Schönheit: Die kleinen Gabelspaghetti werden auf wundersame Weise auch ohne Wasser gar und sogar al dente. Die mysteriöse Gewürzmischung betört die Nase. Das können unmöglich nur Basilikum und Knoblauch sein. Was duftet da nur so gut? Kurzer Blick auf die Packung. Vielleicht ist es das Maltodextrin? Oder der Glukosesirup, gar der Branntweinessig?

Egal, sagt der Gourmet in mir. Was auch immer das Geheimnis dieser Pizza ist, sie wird geliebt, und zwar von vielen: Im Supermarkt um die Ecke ist sie immer schnell ausverkauft. Angie Pohlers

Yum-Yum-Suppe

Herbststurm, Graupel, Düsternis. In der nun hereinbrechenden kalten Jahreszeit muss die Wärme von innen kommen. Hängen wir also den durchweichten Mantel an die Garderobe, stopfen die Stiefel mit Zeitungspapier aus – und bereiten uns ein feines Süppchen zu.

Wenn die Energie dazu reicht. Ansonsten einfach Wasserkocher anstellen und eine Packung Yum-Yum aufreißen. Immer die mit Gemüsegeschmack. Die Portion für 39 Cent. Aus der grünen Folie fallen zwei Plastiksäckchen und ein Nudelquader (Letzterer ein beliebter Pausenknurps bei Kreuzberger Fünftklässlern). In eine Schale damit, dazu eine schmalzige Würzpaste aus der einen Tüte, aus der anderen rieselt Suppenpulver. Brodelndes Wasser drauf, drei Minuten später kann gelöffelt werden.

Aaah, heiß! Immer erst mal zu heiß. Das Zeug verleitet dazu, sich die Zunge zu verbrennen. Macht nichts, der Geschmack ist unkomplex. Salzig, brühig, diffus asiatisch. Reicht doch! Zusammengehalten wird alles von Geschmacksverstärkern, die Zutatenliste führt 21 E-Stoffe auf, sechs davon unbedenklich.

Es handelt sich bei diesem Fertiggericht aus dem Hause Wan Thai Foods also keinesfalls um ein Naturantibiotikum für die Grippesaison. Trotzdem: Die Glutamate wirken, die Weizennudeln sind angenehm bissfest und lassen sich toll schlürfen. Was da für Erinnerungen hochkommen! WG-Küchen! Okay, vor allem WG-Küchen. Noch der letzte Schluck Brühe direkt aus der Schale wärmt Leib und Seele. Sollen sie draußen doch fallen, die Blätter. Jan Oberländer

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