Beipackzettel: Die sind wenig einnehmend
Die Beipackzettel von Medikamenten versteht eigentlich kaum jemand richtig - nicht mal Ärzte selbst. Eine neue Initiative aus Politik und Patientenvertretern will das ändern.
Vielfach gefaltet stecken sie in der Packung und lassen sich nur mit Mühe entnehmen. Hat man die dünnen Papiere, notdürftig geglättet, vor sich liegen, geht es ans Kleingedruckte. Und ans Eingemachte. Denn was man versteht, wenn man erst einmal die detaillierte Auflistung chemischer Inhaltsstoffe und die Liste der in Medizinerlatein benannten Anwendungsgebiete mit zunehmender Verwirrung überflogen hat, ist am Ende die lange Liste möglicher Nebenwirkungen und eventueller Gegengründe gegen eine Einnahme des Medikaments. Dass Beipackzettel von Arzneimitteln einerseits unverständlich sind, andererseits angsterregende Lektüre und damit eines der größten Hindernisse für eine ordnungsgemäße Einnahme darstellen, ist schon seit Längerem Stein des Anstoßes. Für Patienten und Politiker. „Allgemein verständlich und gut lesbar“ sollten die Texte sein, heißt es in einer Novellierung des Arzneimittelgesetzes von 2005. „Lesbarkeitstests“ mit Versuchspersonen sollen das sicherstellen. Anwendung findet die Regelung bisher aber nur bei Arzneimitteln, die neu zugelassen werden.
„Ich würde gern einmal einen Beipackzettel zur Gänze verstehen“, sagt Ludwig Hammel. Sollte ihm eigentlich gelingen, der Mann ist schließlich als Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew (DVMB) seit Jahren in der Selbsthilfe für Menschen mit einer chronischen Krankheit engagiert. „Aber heute sind Beipackzettel selbst für Ärzte unverständlich“, meint er. Tatsächlich zeigen Studien, dass Mediziner die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Kategorisierung unerwünschter Wirkungen vorgeschlagenen Begriffe nicht richtig einordnen können: „Sehr häufig“ bedeutete in einer Befragung für viele Ärzte so viel wie „in über der Hälfte der Fälle“. In Wirklichkeit ist gemeint, dass es in jedem zehnten bis hundertsten Fall zu dieser Nebenwirkung kommen kann. Und Konsumenten? Dass die Packungsbeilagen mehrheitlich vor der Einnahme studiert werden, belegen Umfragen. Sie ergeben aber auch, dass eine große Gruppe sie für unverständlich hält oder sich verunsichert fühlt. In einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK von 2005 gaben 28 Prozent sogar an, dass sie die Lektüre von der Einnahme abgebracht hätte.
Die Hersteller haben Angst, in Haftung genommen zu werden
Die interdisziplinäre AG Beipackzettel, die die DVMB mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen ins Leben gerufen hat und an der sich verschiedene Pharmafirmen wie Pfizer oder Novartis beteiligen, will das ändern. Doch wie? „Anfangs wollten wir einfach die Fremdwörter übersetzen, doch so einfach geht es nicht“, berichtet Hammel. Inzwischen hat die Arbeitsgemeinschaft ein Programm mit sieben Forderungen zusammengestellt: Beipackzettel sollten optisch gut lesbar sein und in verständlicher Sprache abgefasst werden, sie sollten Informationen über die entsprechenden Krankheiten und über den Nutzen des Mittels enthalten, die Darstellung sollte strukturiert und übersichtlich sein, Einsatz von Bildern, Piktogrammen sowie Info- und Hinweiskästen wären wünschenswert. Hilfreich wäre auch weiterführende Literatur.
Hammel stellte diese Forderungen kürzlich bei einem gesundheitspolitischen Gespräch in der Saarländischen Landesvertretung in Berlin vor. Mit einer Initiative, der der Bundesrat Ende 2015 in seltener Eintracht zustimmte, macht sich die saarländische Gesundheitsministerin dafür stark, einheitliche europäische Vorgaben zur Verbesserung der Lesbarkeit von Packungsbeilagen zu erreichen. Keine einfache Aufgabe, denn rechtliche Vorgaben und haftungsrechtliche Interessen der Firmen werden weiter dafür sorgen, dass die Texte mit zahlreichen fachlichen Detailangaben befrachtet sind. Immerhin wurden Vorschläge gemacht. Man könne doch eine leichter lesbare „Kurzanleitung“ für Laien beigeben, schlug Manfred Saar vor, Präsident der Apothekerkammer des Saarlandes. Oder das Schriftstück ganz von der Packung trennen. Statt es mühsam zu entnehmen, zu entfalten und nach der Lektüre wieder hineinzuknuddeln, solle man es sich doch lieber vom Apotheker ausdrucken lassen. Zudem wäre es zumindest denkbar, eines Tages ganz auf Informationen im Netz zu setzen.
Ob nun elektronisch, für Blinde und Sehbehinderte vorgelesen, ausgedruckt oder gefaltet: Das Gespräch mit dem verordnenden Arzt kann das alles nicht ersetzen. Doch dafür fehlt häufig Zeit, und wichtige Fragen fallen den Patienten oft erst auf dem Weg nach Hause ein. Und: Was ist mit der Einnahme von nicht verschreibungspflichtigen Präparaten? Neben dem Apotheker ist hier der Beipackzettel besonders wichtig. Etwas Mut macht eine Forsa-Umfrage von 2011. Laut ihr liegen Beipackzettel im Verständlichkeits-Ranking schwieriger Texte deutlich vor Versicherungsverträgen und vor den Vordrucken zur Steuererklärung. Immerhin.
Adelheid Müller-Lissner