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Der goldene Buddha in Mulagandhakuti Vihara zeigt die Prediger Geste, die an Gautamas erste Lehre in Sarnath erinnert.
© Aleksandra Lebedowicz

Indien: Eine Reise ins Herz der Erleuchtung

Im Nordosten Indiens finden westliche Touristen zwischen Studentenblumenkränzen und Pappelfeigen ihren Weg zu Siddhartha Gautama – dem historischen Buddha.

Der Weg zum Baum der Erleuchtung führt über den roten Teppich. Statt Blitzlichtgewitter gibt es Regenschauer. Graue Wolken hängen über der goldenen Spitze des Mahabodhi-Tempels. Besucher strömen herbei. Vor dem Eingang türmen sich Ledersandalen, bunte Flipflops und weiße Sneaker. Auf heiligem Boden läuft man barfuß. Auch bei Regen.

Bodhgaya, die Stadt im Nordosten Indiens, ist für Buddhisten – wie Mekka für Muslime – der heiligste Ort der Welt. Hier, im Bundesstaat Bihar, einer der ärmsten Regionen des Landes, liegen die Ursprünge der fernöstlichen Lehre. Vor etwa 2500 Jahren, so die Überlieferung, wanderte Siddhartha Gautama durch diese Gegend. Er hatte sein Leben als Prinz hinter sich gelassen und suchte nun nach Erleuchtung. Sechs Jahre lang lebte er in strenger Askese, hungerte sich fast zu Tode. Bis ihm eines Tages ein Bild aus der Kindheit in den Sinn kam, wie er sorgenfrei und von Freude erfüllt im Schatten eines Rosenapfelbaums saß. Könnte das der Weg zum inneren Frieden sein? Er brach das Fasten ab, um sich am Ufer des Niranjana-Flusses unter einer Pappelfeige niederzulassen. In tiefe Meditation versunken, erkannte er die sogenannten „Vier Edlen Wahrheiten“, die Grundlagen des Glaubens, und wurde zum Buddha, dem „Erwachten“.

Hat es Gautama wirklich gegeben?

Heute führt Shantum Seth, ein Zen-Lehrer aus Neu-Delhi, Reisende aus dem Westen auf die Spuren des Religionsstifters. Seit 30 Jahren organisiert er solche Pilgerfahrten. Die Idee stammt, wie er sagt, vom Buddha selbst. In seiner letzten Lehre empfahl dieser seinen Anhängern, die wichtigsten Stationen seines Lebens zu besuchen, und versprach Seelenheil als Belohnung. Damit wurde Buddha zum Vater des spirituellen Tourismus. Er hat die moderne Wallfahrt erfunden, lange vor Christus und Mohammed.

Aber hat es Gautama wirklich gegeben? „Im Pali-Kanon, der ältesten buddhistischen Schriftsammlung, wird er als Sohn des Königs aus dem Shakya-Volk erwähnt“, sagt Seth. Auch der Geburtsort, die Stadt Kapilavastu, werde genannt. Beides Indizien dafür, dass er tatsächlich gelebt hat. 1898 wurden seine Reliquien im nordindischen Dorf Piprahwa nahe der Grenze zu Nepal ausgegraben. Schmuck, Goldgefäße und eine Urne mit Knochenfragmenten. Teile des Fundes sind noch bis Ende März im Züricher Museum Rietberg zu sehen.

In einer Nische im Mahabodhi-Tempel sind Buddhas Fußabdrücke in Stein gemeißelt. Hunderte Studentenblumengirlanden und unzählige Stupas, halbrunde Schreine, schmücken die Anlage. Die Besucher schieben sich im Uhrzeigersinn um den Tempelturm aus Ziegelsteinen. Nackte Füße versinken im vollgesaugten Vlies, der Geist in Gedanken. Schon der altindische König Ashoka verehrte diesen Ort. Ließ hier vor rund 2300 Jahren den ersten Tempel bauen. Nach vielen Eroberungskriegen schwor er aller Gewalt ab und ging dann noch in die Geschichte als Friedenskaiser ein. In seinem riesigen Reich blühte der Buddhismus auf, um sich rasch weit über seine Grenzen hinaus zu verbreiten.

Ajanta, „Louvre des alten Indiens“

Heute ist nicht mal jeder hundertste Inder Buddhist. Gautamas Lehre hat im Land der Hindus seine Kraft verloren. Doch ihr Einfluss ist vielerorts noch sichtbar. Auch in der Kunst. Davon konnte man sich zuvor bei einem Ausflug nach Maharashtra im Westen Indiens überzeugen. In den Wäldern einer Hochebene, eine knappe Stunde Busfahrt von der historischen Stadt Aurangabad entfernt, liegen in einem abgelegenen Canyon die wohl größten Kunstschätze Asiens verborgen: die Ajanta-Höhlen.

Eine schmale Treppe schlängelt sich an der steilen Basalt-Felswand entlang. Drumherum üppiger Dschungel. Beim Aufstieg raubt einem die Schwüle den Atem. Gehfaule lassen sich deshalb für 1500 Rupien (etwa 18 Euro) von Sänftenträgern hinaufbalancieren. Kleine Mädchen in bunten Kleidern huschen mühelos vorbei. Unten im Tal plätschert der Waghora-Fluss, oben zieren Reliefs und Skulpturen rund 30 Höhlen. Detaillierte Wandmalereien erzählen die Jataka, Lehrgeschichten über Buddhas frühere Inkarnationen, zeigen ihn als Affenkönig oder goldene Gans. Die Höhlen dienten als Klöster für buddhistische Mönche. Ihre Lage war kein Zufall, in der Nähe verlief eine wichtige Handelsroute.

Die ältesten Bilder sind rund 2200 Jahre alt. Trotzdem blättert die Farbe nicht ab. „Schaut da auf den Elefanten“, ruft der Guide. Die Augen des Tieres scheinen die Betrachter in alle Richtungen zu verfolgen. Wie bei Mona Lisa. Trompe-l’œil, die Illusionsmalerei, kannten sie schon in der indischen Antike. Manche nennen Ajanta deshalb „Louvre des alten Indiens“. Fotos mit Blitz sind verboten.

Meditationszeit, ausgerechnet jetzt kribbelt der Fuß

Orange ist das neue Schwarz. Besucher und Mönche im Mahabodhi-Tempel tragen die Farbe des Buddhismus.
Orange ist das neue Schwarz. Besucher und Mönche im Mahabodhi-Tempel tragen die Farbe des Buddhismus.
© Aleksandra Lebedowicz

Das gilt auch im Mahabodhi-Tempel von Bodhgaya. Am Ende eines schmalen Gangs thront ein goldener Buddha. Pilger aus Sri Lanka, ganz in weiß gekleidet, tragen Opfergaben herein: Lotusblumen und Khir, den süßen Reispudding. Buddha lächelt sanft herab. Hinter dem Tempel zwitschern Vögel. Der Bodhibaum ist ein großzügiger Gastgeber. Seine breite Krone macht sich gut als Regenschirm. Dass die Pappelfeige kein Original ist, sondern ein Ableger des heiligen Urbaumes, stört keinen. Zen-Lehrer Seth lässt seine Klangschale ertönen. Meditationszeit. Ausgerechnet jetzt kribbelt der Fuß, juckt der Rücken.

Heimlicher Blick in die Runde. Mönche mit Smartphones in der Hand und tiefen Falten im Gesicht rezitieren Mantras. Novizen in Safrangelb zählen ihre Gebetsketten ab. Waisenkinder sprechen unter Aufsicht einer Nonne eifrig Gebete. Dazwischen schleichen ein paar Touristen mit Spiegelreflexkameras und Meditionationskissen umher.

„Schaut auf das Bodhiblatt“, sagt Shantum Seth und lädt mit seiner sanften Stimme zur Meditation ein. „In dem Blatt könnt ihr die Sonne, den Regen und die Erde sehen. Die Generationen von Menschen, die hier gewesen sind ...“ Mit ausgestrecktem Kopf beobachtet man, wie die Wolken langsam der Sonne weichen. Milchige Lichtstrahlen flimmern durch die herzförmigen Baumblätter. Alle scheinen die friedliche Aura zu genießen.

In Sarnath hielt Buddha seine erste Lehrrede

Tuut, tut, tut, tuut. Beherztes Hupen ist auf Indiens Straßen ein gängiges Kommunikationsmittel. Es dröhnt ununterbrochen. Hinter der Frontscheibe erstreckt sich die fruchtbare Gangesebene. Reisfelder glitzern wie Silbertabletts. Lehmhütten sprenkeln die Landschaft. Hier und da ragt eine einzelne Palme in den Himmel. Nach zwei Stunden Fahrt von Bodhgaya taucht an den Hügeln von Rajgir die Zyklopenmauer auf. Die Überreste aus dem Reich des Königs Bimbisara dienen den heutigen Einwohnern offenbar als Wäschetrockner. Hunderte Saris liegen in der Sonne.

In Rajgir traf Siddhartha Gautama noch als Wanderasket auf König Bimbisara. Beeindruckt vom frommen Mönch bot ihm der Herrscher die Hälfte seines Reiches an. Gautama lehnte ab. Versprach aber wiederzukehren, sobald er Geistesfreiheit erlangt haben werde. Er hielt sein Versprechen. „In der Regenzeit blieb Buddha häufig hier“, sagt Shantum Seth während eines Spaziergangs im Bambushain Veluvana, wo das erste Kloster für Buddhas Orden entstand. Im Teich mitten im Park soll er gebadet haben. Der Blick schweift über die glatte Oberfläche. Kurz darauf watscheln Gänse ans Ufer und treiben gemächlich ins Wasser.

Im Buddhismus seien die Zugvögel ein Sinnbild der Sangha, der Gemeinschaft, erklärt Seth. Jetzt versteht man, weshalb Wildgänse-Reliefs den majestätischen Dhamek-Stupa schmücken, der über den Ausgrabungen von Sarnath thront, noch eine wichtige Pilgerstätte im Nordosten Indiens. In dem weitläufigen Park, wo Rehe frei herumlaufen und Einheimische Picknick machen, hielt Buddha nach der Erleuchtung seine erste öffentliche Predigt – und setzte damit das Rad der Lehre in Bewegung. Ein Hauptsymbol des Buddhismus, das Mahatma Gandhi auf die indische Flagge brachte.

Varanasi, die heiligste Stadt der Hindus

Nach Sarnath reist man über die Millionenstadt Varanasi, anderthalb Flugstunden von Neu-Delhi entfernt. Der Legende nach hat Gott Shiva sie gegründet. Mehr als 2000 Tempel soll es hier geben. Der erste Eindruck? Indisches Gewusel. Kühe blockieren die Straßen, Tuk-Tuks drängen sich vorbei, Jugendliche warten am Krishna-Supermarkt. Rauchwolken steigen auf. Die heiligste Stadt der Hindus ist für ihre Ghats berühmt, Treppen, die zum Ufer des Ganges führen. Dort verstreuen Gläubige die Asche von Verstorbenen. Wer in Varanasi verbrannt wird, erreiche das Nirvana, heißt es.

Man selbst ist froh, den Nachmittag herumwandelnd im Hirschpark zu verbringen. Nach kurzer Meditation am Dhamek-Stupa lohnt ein kleiner Abstecher zum benachbarten Mulagandhakuti Vihara. Drinnen schmücken pastellfarbene Fresken japanischer Künstler den verschnörkelten Bau. Draußen wächst ein Bodhibaum. Seine ausladenden Äste sollen die Rückkehr des Buddhismus nach Indien versinnbildlichen.

Buddha selbst verkündete seine Lehre als Bettelmönch noch 45 Jahre. Bis er der Überlieferung nach mit 80 starb. Nach seinem Tod entwickelte sich vor allem Nalanda, die größte Klosteruniversität Asiens, unweit von Rajgir, zum intellektuellen Zentrum des Buddhismus.

Mönche aus ganz Asien wollten nach Nalanda

Vieles, was über den Ort bekannt sei, stamme aus den Reiseberichten des chinesischen Mönchs Xuanzang, der über die Seidenstraße nach Indien pilgerte, erzählt Seth beim Rundgang durch die Ruinen von Nalanda. Teile von Klöstern, Stupas und Tempeln sind freigelegt. Der Großteil schlummere aber noch unter der Erde vergraben.

Kaum vorstellbar, dass hier einst 10 000 Mönche aus ganz Asien Astronomie, Mathematik und Medizin studierten. Die Anwärter mussten sich den Fragen eines rigorosen Gatekeepers stellen, berichtete Xuanzang. Nur die Klügsten durften hinein. 1193 stürmten türkisch-muslimische Eroberer Nalanda. Allein die drei Bibliotheken sollen monatelang gebrannt haben. Die Klosterruine gehört seit 2016 zum Unesco-Weltkulturerbe.

Bei der Rückfahrt ins Hotel hängt die Sonne tief über der Gangesebene und taucht den Himmel in oranges Licht. Die Farbe der Erleuchtung.

Reisetipps für Indien

Hinkommen

Am schnellsten mit Lufthansa über München nach Neu-Delhi in zehn Stunden, ab 730 Euro. Das Visum kostet circa 70 Euro, online beantragen unter indianvisaonline.gov.in/evisa

Unterkommen

Mahabodhi Hotel Bodhgaya, Doppelzimmer 52 Euro, mahabodhihotel.com, Lemon Tree Hotel in Aurangabad, Doppelzimmer 70 Euro, lemontreehotels.com

Rumkommen

Pilgerfahrten kann man zum Beispiel buchen unter buddhapath.com

Mehr Infos über buddhistische Pilgerstätten in Indien: indiathelandofbuddha.in

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