Entstehung des Panamakanals: Ein Schiff wird kommen
Für diese Wasserstraße sind Zehntausende gestorben, Hunderttausende verloren ihr Vermögen, ein Staat wurde eigens geschaffen. 1914 ist es so weit: Der Panamakanal eröffnet.
Zuerst versuchen es die Franzosen. Ferdinand M. Vicomte de Lesseps hat bereits als Erbauer des Suezkanals großes Ansehen erlangt. Jetzt wagt er sich, als Präsident an der Spitze der „Compagnie universelle du Canal interocéanique de Panama“, an ein ähnlich gigantisches Projekt. Doch de Lesseps ist kein Ingenieur, sondern Visionär. Er will seinen Kanal auf Meereshöhe graben lassen. Ganz ohne Schleusen. Er hat das Terrain vor Baubeginn im Januar 1882 nicht einmal vermessen lassen.
Eine Verbindung von Atlantik und Pazifik, das gilt nicht nur als größtes technisches Vorhaben seiner Zeit, sondern auch als Verheißung, als großes Abenteuer. Für die Franzosen wird es bald zur Katastrophe – nicht allein wegen der schlechten Planung, sondern auch wegen der vielen Malaria-Fälle. Erreger und Übertragungsweg sind noch nicht bekannt. In den Krankenhäusern werden die Beine der Betten in Wassernäpfe gestellt, damit das Ungeziefer nicht die Gestelle hochklettert. Das schafft ungewollt neue Brutstätten. Die Zahl der Todesopfer steigt dramatisch. Täglich pendelt ein Leichenzug zwischen Panama-Stadt und Colón, der Provinzhauptstadt an der Atlantikküste. Zum Teil werden Tote in Essigfässer eingelegt und nach Europa verschifft – Anschauungs- und anatomisches Versuchsmaterial für medizinische Fakultäten und Krankenhäuser. Neben Malaria erkranken die Arbeiter auch an Gelbfieber, Typhus, Pocken, Lungenentzündung und Ruhr; Lebensmittelvergiftungen, Schlangenbisse und Sonnenstiche enden oft ebenfalls tödlich. In der Regel ist ein Drittel der bis zu 4000 Arbeiter ständig krank. Wird heute an den Bau des Kanals unter den Franzosen erinnert, ist häufig von 22 000 Toten die Rede. Exakt belegt sind diese Zahlen nicht. Damals dokumentierten die Buchhalter ohnehin nur die toten Weißen.
Die Region um den Suez war flach, der Isthmus von Panama ist voller kleiner steiler Berge; der höchste Punkt der anvisierten Kanalstrecke liegt 100 Meter über Meereshöhe. Im Dschungel müssen riesige Bäume und das Unterholz per Hand mit Axt und Machete gefällt werden. Die Arbeiter fürchten sich vor Pumas und Jaguaren. Nachts erschweren Mücken, Spinnen und Ameisen den Schlaf. Auch klimatisch gerät der Bau in Panama weit anspruchsvoller als das vorangegangene Projekt von de Lesseps. Die Luftfeuchtigkeit liegt einen Großteil des Jahres bei 98 Prozent.
Als Ferdinand de Lesseps erkennt, dass der Erdaushub für einen Kanal auf Meeresspiegelhöhe technisch nicht zu bewältigen ist, plant er um. Zu spät. 1889 ist das Unternehmen pleite, 287 Millionen US-Dollar sind in den Sand gesetzt. Die Anleger, die der Strahl- und Überzeugungskraft des Suezkanalerbauers vertraut haben, sind ihr Geld los. Die Nachfolgefirma „Compagnie nouvelle du Canal de Panama“ gibt schließlich 1899 wegen finanzieller Schwierigkeiten auf. Von der Pleite sind rund 800 000 Franzosen direkt betroffen.
Wie vorteilhaft eine Verbindung beider Ozeane wäre, ist zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahrhunderte bekannt. Der Spanier Vasco Núñez de Balboa hat die Landenge 1513 als erster Europäer durchquert. Seitdem fasziniert die Idee Herrscher, Händler und Wissenschaftler. Auch Kaiser Karl V. und später Alexander von Humboldt suchen nach einer Möglichkeit.
Die USA zetteln eine Revolution an
Doch es dauert – nach dem Reinfall der Franzosen – bis zum Jahr 1902, ehe ein weiterer Staatsmann einen ernst zu nehmenden Anlauf unternimmt: Theodore Roosevelt, frisch gewählter Präsident der USA, lässt den Franzosen die Bauruinen, Maschinen und Rechte für 40 Millionen Dollar abkaufen. Den Bau will er aus strategischen Gründen. Er möchte die alleinige Seemacht und Kontrolle der Karibik erlangen. Aus dem Vertrag mit dem Königreich England, der eigentlich einen Kanal in Nicaragua vorsieht, kauft er sich deshalb frei.
Roosevelts drängendstes Problem: Panama ist nicht souverän, sondern eine Provinz Kolumbiens. Die Vereinigten Staaten können sich mit dem Land nicht über Bau- und Nutzungsrechte verständigen. Deshalb zetteln sie eine Revolution an, bei der auch US-Soldaten anlanden. Zum ersten Präsidenten der neuen Republik wird Manuel Amador Guerrero gewählt, ein Arzt und Nationalistenführer.
Zu den wichtigsten Vertragspunkten, die am 26. Februar 1904 nach der Unterzeichnung in den USA und in Panama verkündet werden, gehören die Neutralität des Panamakanals, die Gleichheit aller Flaggen in der Benutzung, die Zahlung von zehn Millionen Dollar an Kolumbien, eine Miete der 1474 Quadratkilometer großen Kanalzone für 250 000 Dollar im Jahr sowie der Schutz von Panama gegen Angriffe und die Stationierung von US-Militär in der sogenannten extraterritorialen Kanalzone auf unbestimmte Zeit.
Unter amerikanischer Leitung beginnen die Arbeiten ab 1905 von Neuem. Mit Dynamit und schwerem Gerät wird das Gestein zerlegt und abgeräumt. Energisch geht die Kanalgesellschaft gegen die Ausbreitung der Malaria- und Gelbfiebermücken vor, die im Zuge des medizinischen Fortschritts inzwischen als Überträger der oft tödlich verlaufenden Krankheiten erkannt worden sind: Sümpfe werden zugeschüttet oder trockengelegt, Wasserflächen verölt, Brutstätten abgebrannt. Gleichwohl sterben von 1906 bis 1914, statistisch gesehen, immer noch zwei Menschen täglich. Der Mitteleinsatz der Amerikaner ist immens. Die neuen Herren am Kanal erkennen auch, dass einzig und allein das Transportmittel Eisenbahn in der Lage sein wird, den Aushub beiseitezuschaffen, der durch Aussprengungen der Fahrrinne anfällt. Rund 153 Millionen Kubikmeter Erde werden schließlich über die Jahre hinweg bewegt.
Vor eine der schwierigsten Aufgaben stellen Planer und Arbeiter die sogenannten Culebra-Felsen, sie bilden den höchsten Punkt der Strecke. Am Durchstich, dem Culebra Cut, reißen die Zähne der Bagger ab. Sie müssen durch den Felsen hindurch, um die 82 Meter hohe Wasserscheide zwischen den Ozeanen zu überwinden. „Wenn es um 100 Millionen Kubikmeter in einem einzigen Durchstich von nicht mehr als 14 Kilometer Länge geht, dann stehen wir vor einer Aufgabe, die größer ist als jedes andere Vorhaben in der Geschichte der Technik“, schreibt John Frank Stevens, in den Jahren 1906 bis 1908 Chefingenieur beim Bau des Panamakanals. Immer wieder gibt es Rückschläge. Vor allem in der Regenzeit kommt es zu Erdrutschen. Die Fahrrinne muss 12,5 Meter tief sein, doch von den Seiten rutscht ständig Gesteinsmasse nach. So legt man den Durchstich breiter und weniger steil an – mit der Konsequenz, dass man noch mehr Aushub hat. Dieser wird in Terrassen oberhalb des Cuts abgelegt. Bei längeren Starkregenfällen lösen sich die Terrassen in ihre Bestandteile auf, und die Arbeit auf dem 12,7 Kilometer langen Streckenabschnitt beginnt von Neuem. Mehrfach muss die zentrale Gebirgskette des Isthmus von Panama ausgebaggert werden. Mit dem zutage geförderten Material, zumeist Felsen und Kalkstein, könnten 63 Pyramiden ägyptischer Ausmaße aufgetürmt werden. Im Mai 1913 ist es schließlich geschafft. Die Errichtung der Schleusen – den größten Betonkonstruktionen jener Zeit – markiert den Schlusspunkt der Bauarbeiten.
Der Erste Weltkrieg hat Folgen für den Kanal
Als Erstes passiert am 7. Januar 1914 das französische Kranschiff „Alexandre La Valley“ den Kanal. Offiziell eröffnet wird der Wasserweg jedoch erst am 15. August 1914: An diesem Tag passiert das Paketboot „Ancon“ unter US-Flagge die neue Verkehrsader in voller Länge. Der Erste Weltkrieg verhindert größeren Jubel an den Ufern. Auch zu dem geplanten Auftrieb von über hundert Kriegsschiffen, die sich am 1. Januar 1915 auf der Reede Hampton Roads im US-Bundesstaat Virginia versammeln und dann über Panama zur Eröffnung der Panama-Pazifischen Internationalen Ausstellung nach San Francisco weiterreisen sollen, kommt es unter diesen Vorzeichen nicht.
Der Krieg hat noch weitere Folgen für den Kanal. Zwar unterstreicht er die strategische Bedeutung des Wasserweges, weil Flotten vergleichsweise schnell vom Atlantik in den Pazifik und umgekehrt verlegt werden können. Doch bereits vorgesehene Bauprojekte werden nun nicht mehr in Angriff genommen. Die Budgets gehen in die Kriegswirtschaft.
Erst 1920 können die Eröffnungsfeierlichkeiten nachgeholt werden: US-Präsident Woodrow Wilson gibt am 12. Juli noch einmal offiziell den Schiffsverkehr frei.
In der Folgezeit wird der Kampf um den Kanal nicht mehr gegen Gestein ausgefochten, sondern um die Frage, wer und zu welchen Bedingungen darauf fahren darf. Dass der Fünf-Meilen-Streifen neben dem Kanal unter US-Hoheit liegt, wollen viele nicht hinnehmen. In den 1930er und 1960er Jahren gibt es deswegen schwere Ausschreitungen. 1964 bricht die liberale Regierung Panamas unter Präsident Roberto Francisco Chiari Remón nach erneuten Unruhen die diplomatischen Beziehungen zu Washington ab.
Die amerikanischen „Gringos“ stehen zunehmend als arrogante und raffgierige Imperialisten da. Schließlich handelt US-Präsident Jimmy Carter mit Panamas Präsidenten Omar Torrijos neue Verträge aus: Der Kanal sei zurückzugeben, ist Kerngedanke und Kernforderung, und so geschieht es auch. Ab Ende 1999 werden der Kanal, die ihn umgebende Zone sowie die Infrastruktur schrittweise in die Hände Panamas gelegt.
Heute gilt der Kanal, mit Blick auf den stetig wachsenden Welthandel mit immer größeren Schiffen, zunehmend als veraltet und ineffizient. Bereits 2005 ist der Ausbau beschlossen worden. Die neuen Schleusenanlagen – eine auf der Karibik-, eine auf der Pazifikseite – sind im Rohbau. Immer noch. Zunächst war ihre Fertigstellung für den Herbst 2014 geplant – zum 100-jährigen Jubiläum des Wasserweges. Doch der Termin ist geplatzt. Es gab Streiks, Baustopps und Nachverhandlungen mit dem spanischen Baukonsortium Gupc. Nun ist von Ende 2015 die Rede. Man liegt 60 bis 65 Prozent hinter den ursprünglichen Zielvorgaben zurück, heißt es. Durch die Verzögerungen beim Ausbau entgehen dem mittelamerikanischen Staat Zuweisungen der Kanalgesellschaft in Milliardenhöhe. Der Panamakanal ist eine der wichtigsten Einnahmequellen.
Außerdem wird bald die jahrhundertealte Alternativvariante zum Panamakanal Wirklichkeit: Im Dezember sollen in Brito an der Atlantikküste die Arbeiten für einen Kanal quer durch Nicaragua aufgenommen werden. Diesen Traum hatte schon Frankreichs Napoleon III., Nicaraguas Präsident Daniel Ortega will das Projekt realisieren. Um die genaue Route macht die Regierung noch ein großes Geheimnis. Die USA, die einst das Recht zum Bau eines Kanals zwischen Atlantik und Pazifik in Nicaragua besaßen, sind diesmal nicht an den Planungen beteiligt. Der neue Kanal wird mit chinesischem Geld gebaut.
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