100 Jahre Panamakanal: Kanal der kühnenTräume
Vor hundert Jahren fuhr das erste Schiff durch Panamas Wasserstraße. 82 Kilometer lang ist die abenteuerliche Passage.
Gleich da vorn im Dunst muss er beginnen, dort irgendwo muss die Einfahrt zur Fahrrinne des Panamakanals sein. Die Passagiere an Bord recken die Hälse. Grün und rot blinkende Bojen sind nur zu erahnen. Zur frühen Morgenstunde ist es schummrig, zudem liegt feiner Nebel über dem Pazifik. Unser Schiff dümpelt, wartet. Auf den Sonnenaufgang, auf das „Go“ aus der Schaltzentrale des Kanals. Jede Schiffsbewegung auf der engen Wasserstraße ist schließlich getaktet: Sechs Stunden fahren die Schiffe in Richtung Pazifik oder – wie wir – in Richtung Karibik.
Das Beste dieser Südamerikakreuzfahrt mit der „Silver Explorer“ kommt also zum Schluss. Wir sind in Lima an Bord gegangen. Jetzt, an diesem letzten Tag der Reise nach Colón, hat es nur eine Handvoll Passagiere gegen fünf Uhr an Deck getrieben. Sie warten auf den Höhepunkt ihrer Reise – die Kanalpassage.
Dann wollen wir mal sehen, wo auf diesem Kreuzfahrt- und Expeditionsschiff der gehobenen Klasse um kurz nach fünf ein Kaffee zu bekommen ist. Hatten wir nicht in der „Explorer Lounge“ unter der Brücke eine Espressomaschine gesehen? Tatsächlich, die italienische Kellnerin Simona hat schon alles im Griff. Ein großer Schluck – und wir sind hellwach. Wie auf Bestellung blinzeln uns die ersten Sonnenstrahlen am Horizont entgegen. Mit schwindendem Nebel blicken wir nun besser durch: Um uns herum liegt ein gutes Dutzend hell erleuchteter Frachtschiffe auf Reede. Auch sie müssen warten.
Immer mehr unserer 110 Mit-Passagiere entern das Aussichtsdeck. Langsam bewegt sich nun unser Schiff auf die Mitte der Einfahrt zu, die an einer Seite von einem Damm geschützt wird. Nichts haben die Ingenieure hier dem Zufall überlassen. Der „Calzada de Amador“, der die drei Inseln Isla Naos, Isla Perico und Isla Flamenco mit Panama-Stadt verbindet, schützt Schiffe vor hohen Wellen und Wind – nichts soll sie vom Kurs abbringen.
Kamera am Mast platziert
Nach Tagen in den Regenwäldern an der Westküste Südamerikas, nach Stopps auf beeindruckenden Guano-Inseln in Peru und Ecuador, nach der unwirklichen Begegnung mit einer rund tausend Tiere zählenden Delfin-Schule sind wir jetzt eindeutig wieder in der Zivilisation angekommen. Ein letztes Mal kreuzen Pelikane vor dem Bug. Dann tönt der Typhon, das Schiffshorn. Wir setzen uns in Bewegung, langsam, denn mehr als sechs Knoten sind auf der Revierfahrt vorerst nicht erlaubt. Schiffe haben schließlich einen langen Bremsweg. Ein Mitreisender platziert noch schnell am Radarmast über der „Explorer Lounge“ seine Filmkamera – jeder Augenblick der rund zehnstündigen Passage will eben dokumentiert sein.
Vor der milchig-weißen Skyline von Panama-Stadt liegt auf dem Amador Causeway ein buntes Bauwerk, das nur aus schräg ineinanderverschachtelten Dächern zu bestehen scheint. Als habe sich der Architekt das Modell eines zusammengestürzten Bierdeckel-Hauses zum Vorbild genommen: Frank Gehry, mit einer Panamaerin verheiratet, hat das „Biomuseo“ dem Land seiner Frau zum Geschenk gemacht. Das neue Haus soll für die Biodiversität der Region ein Bewusstsein schaffen. Denn noch sind Flora und Fauna hier einigermaßen intakt. Manch Passagier an Bord der „Silver Explorer“ freut sich schon auf die Sichtung von Krokodilen, die es im Panamakanal ja geben soll.
Steuerbords legt eine Barkasse an: Die Passkontrolle kommt an Bord, geht im Schlepptau von Purserette Stefanie Lehmann zielstrebig ins Internetcafé auf Deck 5. Hier ist Platz, um den Stapel an Pässen durchzustempeln. Die wichtigsten Menschen am Kanal lassen ebenfalls nicht lange auf sich warten. Ein Versetzboot bringt die Lotsen der Kanalgesellschaft, um gleich auf der Brücke das Kommando zu übernehmen und Kapitän Adam Boczek zur Seite zu stehen. Der sitzt noch beim Frühstück: „Die Durchfahrt ist für uns nicht wirklich schwierig“, sagt der Pole, „wir haben ja immer Lotsen an Bord und fahren zudem tagsüber hindurch.“
Jetzt bloß nicht anecken. Das Auf und Ab der Schiffe in den Schleusen muss immer im Fluss bleiben. Der Kanal ist schließlich eine sprudelnde Geldquelle für den Staat auf der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika. 70 000 US-Dollar musste die Reederei für die Passage der „Silver Explorer“ im Voraus zahlen. Abgerechnet wird nach Tonnage und Passagieren. Die mit gut 6000 BRZ (Bruttoraumzahl) relativ kleine „Silver Explorer“ kommt dabei noch gut weg. Größere Schiffe zahlen locker das Vier- und Fünffache dieser Gebühr. Rund 15 000 Schiffe passieren jährlich den Kanal.
Die 1962 eröffnete Amerikabrücke, Puente de las Américas (so benannt, weil sie die beiden Amerikas über den Panamerican Highway miteinander verbindet) liegt inzwischen hinter uns. Auf Höhe der Tonne 21 stehen an Land backbord schon die neuen Kräne zum Entladen jener Superschiffe bereit, die den Kanal mit ihrer Breite von mehr als 32,3 Meter noch nicht befahren können. „Post-Panamax“ werden die Schiffe genannt, die noch nicht durch den Kanal passen. Dazu zählen nicht nur die Containerriesen der neuesten Generation, sondern auch Kreuzfahrtschiffe wie die „Queen Mary 2“. Übrigens war das alte Cunard-Flaggschiff „Queen Elizabeth 2“ so gebaut worden, dass es eben noch in die Schleusen passte.
26 Höhenmeter müssen überwunden werden
Unser Schiff steuert auf die erste der drei Schleusen zu. „Slow“, bedeutet ein Schild dem Kapitän etwa eine Meile vor der Miraflores-Schleuse. Die Kammern mit ihren teils doppelten Toren funktionieren denkbar einfach: wie Wasseraufzüge. Sie sind hydraulisch betrieben und arbeiten ohne Pumpen, nur mithilfe der Schwerkraft. Das Wasser fließt von der größeren, acht Stockwerke hohen Kammer in die nächstliegende kleinere. Die Tore haben mit einer Breite von 20 Metern und einer Dicke von mehr als zwei Metern gigantische Dimensionen. Bei einem Gewicht von 800 Tonnen werden sie von 400 PS starken Elektromotoren bewegt.
Wie wir während der Passage durch Lautsprecheransagen weiter erfahren, lautet die Fortbewegungsformel auf dem Kanal: „In, up, through, down and out“. Das gilt sowohl auf der Atlantik- als auch auf der Pazifikseite. Die wichtigsten Arbeiten werden ausgeführt wie vor 100 Jahren: Da sind zum Beispiel die kleinen Ruderboote, die an jeder Schleuse warten. Ihre Besatzungen nehmen die Fangleine des Schiffs auf, um das daran befestigte Stahlkabel in der ersten Schleusenkammer an einer der bereitstehenden silberfarbenen Lokomotiven („Mulis“) einzuhängen. In seitlich angebrachten Stahltrommeln werden die Trossen des Schiffes befestigt. So wird es in der idealen Fahrspur gehalten, weder Schleuse noch Schiff werden (in der Regel) beschädigt. Schleifspuren am Schiffsrumpf werden in der Branche übrigens als „Panamakanal-Stempel“ verspottet.
An der Miraflores-Schleuse sind knapp 30 Schiffsvertäuer an Bord gekommen. Die „Silver Explorer“ gleitet mit eigenem Antrieb planmäßig um 8 Uhr 25 in die erste Schleusenkammer ein. Die Passagiere verfolgen das Prozedere vom Aussichtsdeck aus, einige stehen auch am Heck – alle verfügbaren Fotoapparate klicken. Wie vorgesehen fahren wir um 9 Uhr 25 wieder in die Wasserstraße. Und wie war’s? Kennst du eine Schleuse, kennst du alle? Nein, nein! Allein die Abmessungen der Kammern mit ihrer Länge von 305 und einer Breite von 33,5 Metern machen diese Anlage zu etwas ganz Besonderem. Mickrige 61 Zentimeter Abstand trennen die Bordwände der größtmöglichen, der „Panamax“-Schiffe von den Schleusenwänden. Gigantisch auch dies: Auf der 82 Kilometer langen Fahrtstrecke durch den Regenwald müssen insgesamt 26 Höhenmeter überwunden werden.
Bis 1999 hatten die Amerikaner die Hoheitsrechte
Weiter geht die Fahrt – viele Passagiere begeben sich jetzt erst einmal in Ruhe zum Frühstück: Sie werden bis zur nächsten Schleuse wohl nichts Entscheidendes verpassen. Wieder weist ein Pfeil an der Einfahrt der Anlage die Kammer zu, die unser Schiff ansteuern soll. Gegen 10 Uhr liegen wir im ersten Becken der Petro-Miguel-Schleuse. Die Lufttemperatur ist inzwischen über die 30-Grad- Marke geklettert. Vor uns ein Containerschiff in der nächsten Kammer – hier ist der Wasserpegel bereits einige Meter höher als bei uns. Es riecht nach einer Mischung aus Öl, Beton und Regenwald – und Schweiß.
An Bord wird gefachsimpelt – und ein wenig politisiert. Vor allem die Amerikaner an Bord – rund die Hälfte der Reisenden – sind mächtig stolz auf den von den USA gebauten und vor 100 Jahren eröffneten Kanal, über den sie bis zum 31. Dezember 1999 die Hoheitsrechte hielten. Erst dann wurden diese an die Republik Panama abgetreten. „Wir haben da viel Geld hineingesteckt“, sagt Lynn aus Albuquerque, New Mexico, „es ist ein Teil unserer Geschichte und es gab durchaus großes Bedauern, als wir den Kanal zurückgeben mussten. Natürlich sind wir sehr stolz auf diese Großtat unserer Ingenieure und darauf, hier vor einhundert Jahren das Gelbfieber besiegt zu haben, das die Franzosen hat aufgeben lassen.“
Verständlich, dass viele Amerikaner einmal in ihrem Leben durch den Panamakanal fahren wollen. „Aber Panama hat viel von seinem Charme verloren“, sagt die ehemalige Flugbegleiterin der PanAm, „leider gibt es am Kanal nicht mehr so viel Flora und Fauna, vor allem nicht mehr so viele Vögel.“ Außerdem: „Wenn man sich anschaut, wer die neuen Schleusenanlagen baut – unsere Firmen sind offenbar nicht dabei“, bemerkt Lynn bitter, „vielleicht wollten die uns hier nicht mehr.“
Nach der zweiten Schleuse durch den Tropenwald
Möglich wäre das schon. Schließlich hatte US-Präsident Bush 1989 das Land kurzfristig besetzen lassen, weil er um die Kanalrechte fürchtete, nachdem ein Staatsstreich gegen Präsident Manuel Noriega gescheitert war. Die Kanalgesellschaft bestreitet allerdings, dass US-Firmen auf einer „schwarzen Liste“ stehen. Panamas inzwischen 76-jähriger Ex- Machthaber Noriega jedenfalls wurde 1992 von einem US-Gericht wegen „Drogenhandels, Schutzgelderpressung und Verschwörung“ verurteilt und sitzt seitdem ein, seit Ende 2011 in einem Knast direkt am Kanal. Wir sehen ihn von Bord aus. Er wird „El Renacer“ genannt, die Wiedergeburt. Das passt: Noriega muss hier dreimal zwanzig Jahre absitzen.
Die zweite Schleusenanlage haben wir hinter uns gelassen, fahren mitten durch den Tropenwald und schließlich in den „Gaillard (Culebra) Cut“, eine fast 14 Kilometer lange Passage. Hier musste der Kanal in den Felsen gesprengt werden. Würde man den Aushub vom 76 Millionen Kubikmetern aus dem Cut in einen einzigen Güterzug packen, reichte der viermal um den Erdball – hat jedenfalls der Mann am Bordmikrofon errechnet.
Die Sonne steht hoch am Himmel – und brennt. Einigen Gästen ist es an Deck jetzt viel zu stickig und zu heiß. Wir fahren auf den Gátunsee zu. Hier öffnet sich eine künstliche Seenlandschaft, aus der Bergkuppen wie Inseln emporragen. Nur die Gátun-Schleuse liegt noch voraus, trennt uns noch vom Salzwasser des Atlantiks, genauer: des Karibischen Meers. Von dort kommt uns eben die „Island Princess“, ein 294 Meter langes Kreuzfahrtschiff, entgegen.
Der Wind weht jetzt kräftig, nahezu mit Sturmstärke – die Drinks werden fast aus den Gläsern geblasen. Unser Schiff darf nun zehn Knoten machen. Das Wasser changiert jetzt zwischen Hellblau und Hellgelb, rundherum eine vor Hitze flirrende Umgebung. Leises Vogelgezwitscher ist zu hören, die Ausschau nach Krokodilen oder Brüllaffen ist allerdings vergeblich. Geruch von Holzbrand liegt in der Luft – einige der Inseln im aufgestauten Gatúnsee sind noch von Indios bewohnt. Die mit Bojen gekennzeichnete Fahrrinne folgt dem ehemaligen Tal des Río Chagres. Vorbei an der Isla Barro Colorado, dann weitet sich der Stausee. Jetzt kommen die letzten, die Gatún-Schleusen. Das Schiff wird auf Meeresniveau geschleust. Willkommen in der Karibik!
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität