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Sigmund Jähn aufgenommen nach seinem erfolgreichen Flug mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 im August 1978.
© pa/dpa

Sigmund Jähn im Interview von 2018: „Eigentlich bin ich ein Waldmensch“

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erzählte Sigmund Jähn, wie er auf seinen Weltall-Flug zurückblickt. Anlässlich seines Todes hier noch einmal das Interview.

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Sigmund Jähn, erster deutscher Raumfahrer, ist am Sonntag gestorben. Im August 2018 sprach der Tagesspiegel mit ihm, vor allem über das damalige 40-jährige Jubiläum seines Weltraumfluges.

Herr Jähn, waren Sie ein wenig neidisch, als Alexander Gerst neulich zur Internationalen Raumstation aufbrach?
Nein, ich bin doch Realist, und für so einen Flug komme ich natürlich nicht mehr infrage. Aber ich war in Baikonur dabei, wie schon bei Gersts erstem Start. Ich kann Ihnen Bilder auf meinem Telefon zeigen, gucken Sie mal hier.

Auf dem Foto sind die Triebwerke einer Rakete von unten zu sehen.
Ich war in diesem Loch, wo die Rakete schließlich gezündet wird. Da darf kaum jemand hin. Das große Theater ging los, die Rakete wurde aus dem Werk gezogen, die Gäste warteten. Plötzlich legt mir ein Ingenieur, den ich kenne, er wird so alt sein wie ich, seine Hand auf die Schulter. Komm mit, sagt er, wir gehen mal unten rein! Außer uns war nur der Chefkonstrukteur dabei. Wenn du behandelt wirst wie einer, der dazu gehört – da freust du dich. Es wird wahrscheinlich das letzte Mal gewesen sein, dass mich dort noch Leute kennen.

Auf Ihrer Anrichte steht ein Buch über Gerst, mit einer persönlichen Widmung: „Dein Freund Alex“.
Er hat mich gebeten, das Vorwort zu schreiben, und auch meine Einladung nach Baikonur geht wohl auf ihn zurück. Alex ist ein kluger, ehrlicher Mann, mit ganz viel Emotion.

Sind Sie jetzt in Gedanken bei ihm und wissen jeden Tag genau, was er im All tut?
Ehrlich gesagt komme ich dazu gar nicht. Allein die vielen Briefe, die mich erreichen. Es gehört sich, dass man antwortet, und die meisten sind auch so nett geschrieben. Eigentlich ist das nicht zu beherrschen. Man denkt, es lässt nach, aber dann kommen wieder neue. Vergangenes Jahr zu meinem Achtzigsten brachte der Briefträger zwei, drei Tage lang richtige Stapel. Gelesen habe ich alles, aber man muss sich ja Gedanken machen. Deshalb ist ein Großteil noch unbeantwortet.

Sie deuten mit Ihrer Hand einen halben Meter hoch. Was schreiben Ihnen die Leute?
Direkte Liebeserklärungen von jungen Frauen sind nicht dabei. Manche möchten nur ein Autogramm, das geht leicht über die Bühne. Andere wollen mir sagen, wie sehr sie sich über meinen Flug gefreut haben. Vor allem Leute aus dem Osten, ich bin ja ein Überbleibsel der DDR. Doch es sind auch viele Westdeutsche dabei.

In den kommenden Wochen werden Sie vermutlich wieder Unmengen an Briefen erreichen. Vor 40 Jahren, am 26. August 1978, starteten Sie als erster Deutscher ins All, verbrachten eine Woche auf der sowjetischen Raumstation Saljut 6. Wie feiern Sie das?
Es wird eine Veranstaltung geben, unter anderem mit dem russischen Bordingenieur unserer damaligen Besatzung, und zwar in der Raumfahrtausstellung in Rautenkranz ...

... Ihrem Heimatdorf im sächsischen Vogtland. So halten Sie das seit jeher bei den Jubiläen?
Ach wo. Wenn man dran denkt, trinkt man mal ein Glas Bier oder einen Schnaps. Gern erinnere ich mich an den 25. Jahrestag, das war eines meiner schönsten Erlebnisse. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hatte eine Feier in Markneukirchen organisiert.

Rund 25 Kilometer von Ihrem Heimatort entfernt.
Dort gab es eine entsprechende Halle. Der damalige Bundespräsident Johannes Rau kam vorher mit dem Hubschrauber zur Rautenkranzer Ausstellung. Auch große Leute aus Dresden waren anwesend, und alle von denen glaubten, dass sie danach im Hubschrauber weiterfliegen könnten. Die Zeit war so getaktet, dass sie sonst früher mit dem Auto hätten losfahren müssen. Aber Rau hat gesagt: Mit mir fliegen der Jähn und der Bürgermeister. Eine Stunde hat er mit uns geredet. Ihm gegenüber habe ich höchste Achtung empfunden.

In der DDR galt Ihre erfolgreiche Mission als Beweis für die Überlegenheit des sozialistischen Systems. Sie selbst wurden zur Propagandafigur. Hatten Sie das Gefühl, eine Rolle spielen zu müssen?
Nicht in dem Sinne, dass ich ein Parteipropagandist gewesen wäre. Schon während der Ausbildung im Sternenstädtchen bei Moskau wurden wir aber darauf vorbereitet, in die Öffentlichkeit zu gehen. Zum Beispiel mit Frage-Antwort-Spielen nach einem möglichen Flug. Mir war das alles egal. Die Aussicht, ins Weltall zu fliegen, war so reizvoll, da musste ich nicht abwägen.

„Eigentlich bin ich ein Waldmensch“

Der Kosmonaut Sigmund Jähn (links) und der ESA-Astronaut Alexander Gerst 2017 bei der Verleihung der Urania-Medaille.
Der Kosmonaut Sigmund Jähn (links) und der ESA-Astronaut Alexander Gerst 2017 bei der Verleihung der Urania-Medaille.
© Jörg Carstensen/dpa

Im Westen war man weniger begeistert von Ihnen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb damals, der „erste richtige Deutsche“ werde erst zwei Jahre später ins All fliegen.
Damit war Ulf Merbold gemeint, der vom falschen zum richtigen Deutschen mutiert war.

Sie meinen, weil er die DDR 1960 verlassen hatte?
Er ist nur 30 Kilometer von meinem Ort entfernt geboren! Auch deshalb haben wir uns immer ganz gut verstanden, vor 1989 und danach.

Sie gelten als heimatverbunden, trotzdem sind Sie nie ins Vogtland zurückgekehrt. Lebt es sich hier, in Strausberg bei Berlin, ruhiger als in Rautenkranz, wo Sie immer der Lokalheld wären?
Ach, so sind die Rautenkranzer nicht. Man kennt sich, und man spricht sich mit Du an, wie früher auch. Ich wollte ursprünglich in Marxwalde, heute Neuhardenberg, bleiben, wo ich Flieger gewesen war. Aber der damalige Verteidigungsminister sagte mir nach meinem Flug 1978: Sie müssen näher an Berlin heran. Ich war dann ja ständig unterwegs, habe überall meine Geschichten erzählt. Und von Berlin aus geht das natürlich leichter.

Strausberg war Sitz des DDR-Verteidigungsministeriums. In Ihrer Straße, direkt am See gelegen, wohnten einige hochrangige NVA-Offiziere.
Das war eine luxuriöse Gegend. Unser Haus gehörte ursprünglich der Armee. 1978 war der Vorbewohner gerade pensioniert worden und ausgezogen. Das passte gut. Als dann die Bundesrepublik kam, ging es zunächst an die Treuhand. Ich hatte Glück, es ein zweites Mal kaufen zu können.

Es heißt, Ihr großes Hobby sei es, Bäume zu pflanzen: 160 allein in Rautenkranz …
… Sie müssen bloß hier aus den Fenstern gucken! Vorne und hinten ist alles dicht. Einer meiner Enkel, der diese Hütte vielleicht mal übernehmen darf, hat auch schon welche gepflanzt. Das finde ich schön. Diese Serbische Fichte da, die so gut gewachsen ist, stammt übrigens aus Rautenkranz.

Sehnen Sie sich nach Verwurzelung?
Das hat sich einfach so ergeben. Vier Wochen nach meinem Raumflug rief mich eine Frau aus dem Forstbotanischen Garten in Eberswalde an, die Verantwortliche für die deutsch-sowjetische Freundschaft. Sie sagte: Wir würden Sie gerne zu uns einladen. Ich hatte gute Laune und habe zugesagt, unter einer Bedingung: Bitte keine Blumen und Ehrenjungfrauen! Beides hatte ich schon zur Genüge erlebt. Und so hat mir der Leiter in Eberswalde eben eine Schale mit Bäumchen überreicht.

Ihre Begeisterung für die Luftfahrt weckten ausgerechnet die alliierten Bomber im Krieg. Hatten Sie keine Angst vor denen?
Ich war sieben, acht Jahre alt und wusste gar nicht, dass die Bomben fliegen. Wahrscheinlich waren die auf dem Weg nach Plauen, um dort ihre Last abzuwerfen. Wir sahen damals als Kinder zum ersten Mal überhaupt Flugzeuge! Zum Spielen haben wir Zelte gebaut, Pilze gesammelt, sind Ski gefahren. Eigentlich bin ich eher ein Waldmensch.

Alle, die die Welt vom All aus gesehen haben, sagen das Gleiche: Wie verletzlich die Erde wirkt und dass man Konflikte danach ganz anders sieht. Verändert sich dort oben wirklich so rasant die Perspektive?
Dass man ein anderer Mensch wird, glaube ich nicht. Aber wenn man schon etwas in dieser Richtung mitbringt, festigt sich das. Was wir anzetteln als Menschheit, ist doch wirklich kaum zu glauben. Dass wir Atomwaffen entwickelt haben, mit denen man den halben Planeten auslöschen kann. Jetzt im Alter denke ich häufiger: Du hast Glück gehabt, aber gilt das auch noch für deine Kinder und Enkel? Ich habe mich zum Beispiel neulich an eine Geschichte erinnert, wollt ihr die hören?

Erzählen Sie mal.
Mein Vater hat mich 1944/45 mitgenommen zu dem Sägewerk, in dem er arbeitete. Dort gab es ein Dutzend russische Kriegsgefangene. Einen von denen hörte ich sagen: „Roosevelt kaputt, Stalin kaputt i Hitler kaputt“ – dann verstehen wir uns. Die waren sehr lieb zu mir als Kind, einer hat mir ein Holzgewehr geschnitzt. Ich glaube, diese Erlebnisse haben mich davor bewahrt, die Russen negativ zu sehen, wie manche das tun. Später habe ich in Moskau an der Militärakademie studiert.

Neben Ihnen gab es bis kurz vor dem Start einen zweiten DDR-Kandidaten für den Weltraumflug: Eberhard Köllner. Damit sich Ihr großer Traum erfüllte, musste seiner platzen.
Es ist Eberhards Verdienst, dass er sich nie etwas hat anmerken lassen. Vielleicht dachte er eine Zeit lang, er wäre der Bessere gewesen. Vielleicht stimmt das sogar. Er ist ein sehr guter Praktiker. Andererseits konnte ich zum Beispiel die Sprache besser, ich habe Russisch schon in der Schule sehr gern gehabt. Eberhard und ich haben nach wie vor ein gutes Verhältnis. Seine Frau und er kommen manchmal zum Kaffeetrinken vorbei.

„Ein Objekt flog neben uns mit“

Sigmund Jähn war der erste Deutsche im Weltraum.
Sigmund Jähn war der erste Deutsche im Weltraum.
© Mike Wolff

Was war das bewegendste Naturschauspiel im All?
Die Sonnenaufgänge, alle 90 Minuten. In der Kapsel ist man schnell unterwegs, umrundet die Erde an einem Tag 16 Mal. Die Sonne kommt langsam hinter der Erde hervor: Erst ein heller Schein von rechts, dann so ein Schwalbenschwanz, der größer und größer wird, und plötzlich ist die Sonne da. Ein Farbspiel sondergleichen, verrückt. Natürlich weiß man das vorher, aber wenn es passiert, freut man sich trotzdem.

Und da sind selbst bei einem erklärten Atheisten wie Ihnen keine religiösen Gefühle aufgekommen?
Nein. Es gab bei den Russen einen Witz. Chruschtschow fragt den Kosmonauten Gagarin: Hast du den lieben Gott gesehen? Der bejaht. Chruschtschow: Schon gut, aber sag’s keinem weiter! Später fragt der Papst den Kosmonauten das Gleiche. Gagarin antwortet: Nein. Und der Papst: Wusste ich’s doch, aber sag’s keinem weiter!

Sie haben hier eine Tasche mit Raumfahrt-Souvenirs: Kosmonautennahrung, Saugschläuche ... Was ist diese Apparatur aus Plastik und Stoff?
Oh, die ist für den Urin. Darum gab es eine Verkleidung, und das Ganze war an ein Saugsystem angeschlossen. So wurde der Urin schließlich bis in einen Eimer abtransportiert. Zu meiner Zeit schleuste man den noch aus.

Das heißt, der Eimer trieb dann im All, wie ein Ufo?
Ja, der flog in einer gewissen Entfernung neben uns mit. Man hat mich ein paar Tage im Unklaren gelassen, ich sah dieses Objekt und wusste nicht, um was es sich handelte. Der Kommandant, Wladimir Kowaljonok – das war so ein Bursche – hat später erzählt, wir hätten da oben einen „Nachbarn“ gehabt, der uns verfolgte. Auf einem Kongress in Moskau kam deswegen mal ein Mann auf mich zu. Als ich die Geschichte klarstellte, wurde er richtig böse: Sie belügen uns! Das war so einer, der an Wesen aus dem All glaubte.

Herr Jähn, im Film „Good Bye Lenin“ wird ein Doppelgänger von Ihnen Nachfolger von Erich Honecker – und öffnet die deutsch-deutsche Grenze.
Der Regisseur Wolfgang Becker saß, wo Sie jetzt sitzen. Der wollte gern, dass ich mitspiele. Für mich war von Anfang an klar, das mache ich nicht. Obwohl ich finde, dass der Film gut geworden ist. Es war ein Glücksfall, dass den ein Mann aus dem Westen gedreht hat. Der hatte es nicht nötig, alles aus der DDR in den Dreck zu ziehen.

Von Ihrer Weltanschauung sind Sie nie abgerückt.
Vielleicht hatte Marx doch recht. Vielleicht wird es noch mal eine menschliche Gesellschaft geben, in der nicht einer Milliarden besitzt, während der andere gerade so durchkommt.

Wo haben Sie selbst den Mauerfall erlebt?
In Riad. Da gab es eine Konferenz der „Association of Space Explorers“, organisiert vom saudischen Astronauten Sultan bin Salman. Am Abend des 9. November fuhren meine Frau und ich zum Flughafen Schönefeld, wir hatten Schabowskis Pressekonferenz gesehen, ohne uns allzuviel dabei zu denken. Am Morgen sagt plötzlich einer beim Frühstück: In Berlin saufen sie Sekt auf der Mauer! Ich hatte die Aufgabe, den nächsten Kongress im Jahr 1990 vorzubereiten. Daraus wurde dann nichts. Und zu den folgenden Kongressen bin ich nicht mehr gefahren, nach Malaysia oder sonstwohin. Dazu fehlten mir dann auch die finanziellen Möglichkeiten.

Die SED/PDS wollte Sie damals in den Parteivorstand holen. Sie lehnten ab. „Ich sollte wieder benutzt werden“, haben Sie mal gesagt.
Ich eigne mich nicht für laute Reden.

Die Büste von Ihnen, die es bis 1990 in Berlin gab, steht heute im Sächsischen Landesamt für Statistik.
Das wusste ich nicht. Als nach der Wende überall Statuen in den Graben geschmissen wurden, habe ich nur gesagt: Nehmt sie doch weg, wenn sie keinen Sinn mehr hat. Damit war es dann auch gut.

Und was ist aus der Auszeichnung „Held der DDR“ geworden?
Unsere Orden sind alle weg. Aber den Titel „Held der Sowjetunion“ darf ich noch tragen. Bloß heißt der dort jetzt „Geroi Rossijskoj Federazii“, Held der Russischen Föderation.

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