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Die Truppen von König Eduard II. trafen einst bei Stirling Castle auf das schottische Heer.
© imago/United Archives International

Die Schlacht von Bannockburn: Duell um Schottland

Bei einem Schloss nahe Edinburgh treffen im Jahr 1314 zwei ungleiche Gegner aufeinander: Die Armee von Eduard II. und die unterlegene Truppe von Robert Bruce. Ist die Schlacht entschieden?

Ins grüne Tal marschiert eine der größten Armeen, die Schottland je gesehen hat. Die 2500 Pferde der englischen Kavallerie dampfen in der morgendlichen Kühle. Die Helme und Kettenhemden ihrer Reiter glitzern in der aufgehenden Sommersonne. Ihnen folgen rund 15 000 Fußsoldaten und tausende Versorgungstruppen. Hier, nahe der strategisch wichtigen Festung Stirling, in der einige seiner Besatzungssoldaten seit Monaten von Schotten belagert werden, sucht der englische König Eduard II. die Entscheidung. Die rebellischen Schotten will er vernichten, Englands Herrschaft über die nördlichen Nachbarn endlich sichern.

Und was soll angesichts seiner Übermacht schon schiefgehen an diesem 24. Juni 1314? Eduards Gegner sind klar im Nachteil. Die Schotten haben weit weniger und auch kleinere Pferde. Ihre „Armee“ ist ein zusammengewürfelter Haufen von 9000 Bauern mit Lanzen und Äxten. Dass sie nicht längst von den Engländern aufgerieben worden ist, verdankt sie nur ihrer Guerillataktik: überraschende Angriffe aus dem Hinterhalt, gefolgt von schnellen Rückzügen in die heimischen Wälder. Doch damit ist jetzt Schluss.

Die Schotten stehen vor einer bitteren Wahl. Entweder überlassen sie den Engländern kampflos Stirling Castle – und damit die Kontrolle über große Teile ihres Landes. Oder sie stellen sich Eduards weit überlegener Armee in einer Schlacht auf freiem Feld entgegen. Genau hier, zwischen der Festung und einem Bach – Schottisch: burn – namens Bannock.

Nur wenige tausend Meter trennen Eduards Truppen noch von Stirling Castle, als sich im Waldstück schräg links von ihnen etwas regt: Hunderte mit Lanzen bewaffnete Männer treten heraus und gehen langsam hinab ins Tal. Der englische König kann sein Glück kaum fassen. „Was?“, ruft er einem späteren Chronisten zufolge. „Wollen die Schotten da hinten etwa kämpfen?“ Ja, sie wollen. Was folgt, wird als Schlacht von Bannockburn in die Geschichte eingehen.

Das Gemetzel gehört bis heute zur großen Erzählung vom tapferen Widerstand

Es bündeln sich in diesen Stunden fast zwei Jahrzehnte schottischer Unabhängigkeitskriege. Der Konflikt hat das Land der Clans erschöpft, selbst Familien sind in Gegner und Sympathisanten der Engländer gespalten. Haben die Schotten jetzt noch die Kraft und den Willen, für ein unabhängiges Königreich zu kämpfen? Oder sollen sie endlich klein beigeben und ihren mächtigen Nachbarn aus dem Süden die Macht überlassen? Um diese Fragen geht es bei der jetzt beginnenden Schlacht. Und deshalb gehört das Gemetzel bis heute zur großen Erzählung vom tapferen Widerstand der Clans und Könige gegen übermächtige englische Invasoren.

Sein Schauplatz liegt an strategisch bedeutender Stelle. Die nahe Festung kontrolliert den Handel entlang einer alten römischen Straße zwischen Schottland und England. Und sie überblickt den Schiffsverkehr auf dem Fluss Forth, der sich weiter östlich in die Nordsee ergießt. Ein Jahr zuvor haben schottische Belagerungstruppen und englische Verteidiger der Burg sich hier auf einen Pakt geeinigt: Wenn binnen eines Jahres kein englisches Heer kommt, um Stirling Castle zu entsetzen, übergibt deren Kommandant die Festung kampflos den Schotten.

Was zunächst nach einer eleganten Möglichkeit klang, um Zeit für eine diplomatische Lösung zu gewinnen und Blutvergießen auf beiden Seiten zu vermeiden, führt ein Jahr später zum glatten Gegenteil: König Eduard II. muss nun, kurz vor Ablauf der Frist, mit einer Armee anrücken, wenn er die wichtige Stellung nicht kampflos den Schotten in die Hände fallen lassen will. Sein Gegenspieler auf schottischer Seite hingegen befürchtet, die Engländer könnten ausgehend von Stirling Castle das schottische Umland zurückerobern. Auch er kann daher nicht nachgeben. Der Name des 39-jährigen Schottenkönigs ist: Robert Bruce.

Eduard II. will das Werk des Vaters vollenden

So prallen im Sommer 1314 nicht nur zwei Heere, sondern auch zwei Männer aufeinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Englands König Eduard II. kämpft daheim mit dem Ruf eines Weichlings. Missgünstig beäugen Grafen und Bischöfe seine wechselnden, engen Freundschaften zu Männern, denen er oft hohe Posten am Hof verleiht. Gerüchten zufolge ist der 30-Jährige homosexuell. Kaum ein Vorwurf ist im Mittelalter besser dazu geeignet, um die Autorität eines Monarchen zu untergraben. Immer wieder gerät Eduard in Streitereien mit Adligen – und auch mit seiner Ehefrau, einer Tochter des mächtigen französischen Königs. Nun aber will Eduard II. endlich allen beweisen, dass er genauso hart sein kann wie sein verstorbener Vater Eduard I.

Der hat einst den letzten schottischen König abgesetzt. Seither regieren englische Statthalter das Land. Bis zu seinem Tod vor sieben Jahren hatte Eduard I. erbittert dafür gekämpft, dass Schottlands Mächtige seine Oberhoheit endlich vollkommen anerkennen. Der Sohn, Eduard II., will nun das Werk des Vaters vollenden.

Und Robert Bruce hat geschworen, eben dies mit allen Mitteln zu verhindern. Nicht etwa, weil der Anführer des schottischen Widerstands die englische Kultur generell ablehnt. In seiner Jugend hat der Spross eines alten normannischen Adelsgeschlechts sogar selbst am Hof in London gelebt und mehrere Sprachen gelernt. Aber als Ururururenkel eines schottischen Königs nimmt er für sich den verwaisten Thron im Norden in Anspruch. Um dieses Ziel zu erreichen, geht er über Leichen.

Schottlands König treibt Rache an

Robert Bruce gelang die Schaffung eines unabhängigen Staates. Das machte ihn zur Legende. Hier sein Konterfei auf einer Briefmarke.
Robert Bruce gelang die Schaffung eines unabhängigen Staates. Das machte ihn zur Legende. Hier sein Konterfei auf einer Briefmarke.
© Alamy Stock Photo

Halb Schottland kennt die Geschichte, wie Robert Bruce sich mit seinem ärgsten Rivalen 1306 zu einer Unterredung in einer Kirche getroffen hat. Doch anstatt dort den Streit um den Thron beizulegen, hat er den Widersacher am Altar niedergestochen. Die Freveltat im Gotteshaus ist eigentlich unverzeihlich für einen Christen. Trotzdem drücken Schottlands Bischöfe beide Augen zu und bestätigen ihn als König. Sie setzen auf Robert Bruce, damit der ihre Unabhängigkeit von der englischen Kirche bewahrt. Aus der Perspektive Londons ist die Krönung eine Kriegserklärung – und ein großes Wagnis.

Denn der Mann, der sich König Robert I. nennt, hat anfangs kein Reich, oder bloß ein von England weitgehend besetztes. Und nur wenige Gefolgsleute. Viele schottische Adlige haben sich längst mit den mächtigen Nachbarn im Süden arrangiert. Weil ihre heimischen Ländereien karg und nur dünn besiedelt sind, besitzen sie auch ertragreichere Landstriche südlich der Grenze im fruchtbareren England. Im Gegenzug haben etliche von ihnen dem englischen König die Treue geschworen.

Robert Bruce will Schluss machen mit der wachsenden Abhängigkeit seiner Landsleute. Dafür zahlt seine Familie einen hohen Preis. Nach der (Rück-)Eroberung einer Festung 1307 haben die Engländer drei seiner Brüder bestialisch ermordet, seine Schwestern und seine Ehefrau gefangen genommen, seine Tochter in ein Nonnenkloster gezwungen. Spätestens seitdem treibt Schottlands König nicht nur Patriotismus an. Sondern auch Rache.

Sein Guerillafeldzug gegen die Engländer hat Erfolg. Bis 1305 hatten englische Truppen nahezu ganz Schottland unter ihre Kontrolle gebracht. Doch seither haben Robert Bruce und seine Männer die meisten Festungen im Grenzgebiet zurückerobert und zerstört. Sie mit eigenen Männern zu besetzen kann König Robert sich schlicht nicht leisten. Der Aufmarsch von Eduards Armee vor Stirling Castle bringt nun all die mühsam erkämpften Erfolge in Gefahr: Bleibt es in englischer Hand, könnten die Invasoren von hier aus weitere Ausfälle gegen die Schotten unternehmen, ja sogar eine Rückeroberung des ganzen Landes versuchen. Und Robert Bruce weiß auch um die hohe Symbolkraft dieses Ortes.

Der Henker schnitt Wallace den Penis ab

Als junger Mann hat er im Jahr 1297 mit eigenen Augen gesehen, wie ein einfacher Schotte namens William Wallace ein Heer an der nahe gelegenen Brücke zum Sieg über die Engländer führte. Die Schlacht von Stirling Bridge hat Robert schon damals etwas Entscheidendes gelehrt: Motivierte, disziplinierte Kämpfer können, richtig eingesetzt, gegen eine Übermacht gewinnen.

Durch Wallace’ Beispiel weiß er aber auch, wie grausam die Engländer Rache nehmen können. Ein schottischer Adliger verriet ihnen 1305, wo Wallace sich aufhielt. Sie nahmen den Schlachtensieger gefangen, banden ihn hinter ein Pferd und schleppten ihn so über zwei Wochen bis ins ferne London. Dort klagten sie ihn wegen Hochverrats an. Wallace soll auf die Vorwürfe entgegnet haben: „Ich kann gar keinen Hochverrat begangen haben, denn ich bin nicht Eduards Untertan.“ Zum Tode verurteilt, musste er zunächst nackt durch die Straßen der Hauptstadt laufen, wo ihn Passanten mit Steinen bewarfen. Am Richtplatz angekommen, hängte ein Scharfrichter ihn auf – und nahm ihn, noch atmend, wieder ab. Er sollte auch das Folgende miterleben.

Der Henker schnitt Wallace den Penis ab, schlitzte ihm den Bauch auf, entnahm Organe und verbrannte sie vor seinen Augen. Schließlich köpfte und vierteilte er ihn. Das Haupt wurde auf eine Pike gespießt und ausgestellt auf der London Bridge, dem Tor der Hauptstadt nach Norden. Die restlichen Körperteile wurden aufgeteilt und in vier Städten zur Schau gestellt.

Die extrem grausame Marter – sie war üblich zur Bestrafung von Vergehen gegen den König – verfehlte allerdings ihr wichtigstes Ziel. Anstatt Nachahmer abzuschrecken, erhob sie Wallace in den Augen vieler Schotten zum Märtyrer, der innerlich ungebrochen für die Freiheit seiner Heimat starb. Im Lauf der Jahrhunderte wuchs die Geschichte des Mannes, über den man in Wahrheit wenig weiß, heran zu einem Mythos. Im Jahr 1995 füllte Mel Gibson die biografischen Lücken mit einer tragischen Liebesgeschichte. Sein Kino-Epos „Braveheart“ mit ihm in der Rolle des William Wallace errang fünf Oscars.

Eduards Plan läuft schrecklich schief

England. König Eduard II. versuchte, den Ruf loszuwerden, ein Weichling zu sein.
England. König Eduard II. versuchte, den Ruf loszuwerden, ein Weichling zu sein.
© Mauritius

Robert Bruce will nun also im Kampf gegen die Armee Eduards II. vollenden, was sein Vorbild Wallace knapp 20 Jahre zuvor begonnen hat: die Schaffung eines unabhängigen Schottlands. Deshalb treten seine Krieger am Morgen dieses 24. Juni 1314 nahe Stirling Castle aus dem Wald. Und deshalb freut sich Eduard II., als er den Aufmarsch sieht, auf die Gelegenheit zu einer offenen Feldschlacht, die er, so glaubt er, gar nicht verlieren kann.

Der englische König vertraut auf eine in Dutzenden Schlachten bewährte Taktik: Links und rechts flankiert von Bogenschützen, rückt seine mächtige Kavallerie vor. Dabei geht ein Pfeilhagel auf die Feinde nieder. Wer das überlebt, den treiben Pferde und Reiter auseinander. Wer in die Wälder flieht, den verfolgen sogenannte Messermänner. Diese Einheit walisischer Fußsoldaten soll Gegner im Kampf Mann gegen Mann im Unterholz niedermachen. Das ist der Plan. Doch als links vorm englischen Heer die Schotten auftauchen, stürmt die Kavallerie ihnen übereifrig entgegen – und die Aufmarschformation der Engländer ist sofort dahin.

Die stolzen Reiter haben erwartet, dass die Schotten schreiend weglaufen beim Anblick der Eisenrüstungen und schnaubenden Tiere. Dann wäre ihr Weg zur Festung frei und die Schlacht binnen Minuten gewonnen. Stattdessen sehen sie nun aber, wie ihre Gegner nebeneinander drei riesige Ovale bilden. Deren Außenseiten schützen die Schotten mit Schilden. Dazwischen rammen sie lange Piken schräg in den Boden, den Angreifern entgegen, und lehnen sich darauf, um den gegnerischen Aufprall abzufangen. So sehen sich die englischen Reiter drei riesigen Igeln aus Eisen gegenüber, den „Schiltrons“. Die schmalen Piken können die herangaloppierenden Pferde der Engländer kaum erkennen, und so bremsen sie erst spät ab – oft zu spät. Metallspitzen bohren sich in die Hälse der Tiere, strauchelnde Pferde werfen ihre Reiter ab. Am Boden, im Gefecht Mann gegen Mann, haben diese kaum Chancen, der schottischen Übermacht um sie herum zu widerstehen. Unter Axt- und Schwerthieben werden die Engländer niedergemacht. So berichtet es der Sohn eines schottischen Ritters, der in der Schlacht kämpfte, in einer Chronik.

Fliehende Engländer bleiben im Morast stecken

Immer mehr Reiter drängen von hinten heran. Dadurch aber fehlt ihren Kameraden weiter vorn der Platz, um ihre Rösser herumzureißen und mit gezogener Lanze erneut anzugreifen. Dadurch sterben im Gedränge noch mehr Kavalleristen. Verzweifelt versuchen die englischen Bogenschützen, die Schotten durch einen Pfeilhagel zurückzudrängen, doch ihre Geschosse treffen im Gedränge auch die eigenen Männer.

Als Robert Bruce die Kopflosigkeit der Engländer erkennt, schickt er auch bislang zurückgehaltene Kämpfer in die Schlacht, darunter seine eigene, weitaus bescheidener ausgestattete Kavallerie. Immer weiter schlagen die Schotten jetzt englische Reiter und Fußsoldaten zurück. Und nun beginnen die schottischen Versorgungstruppen im Hintergrund langsam zu verstehen, dass ihre Männer tatsächlich im Begriff sind, die englische Übermacht zu besiegen. Da stürmen auch sie schreiend aufs Feld. Sie wollen mitkämpfen, damit sie nicht leer ausgehen, wenn Tote und Sterbende geplündert werden dürfen. Die Igelformationen lösen sich auf.

Allmählich wird den Engländern klar, dass ihr Plan schrecklich schiefläuft. Eilig versuchen Fußsoldaten und Reiter, sich nach Süden zurückzuziehen. Doch der Bach Bannock, der dort fließt, ist in den vergangenen Stunden durch den Rückstau der Flut zu einem Flüsschen angeschwollen. An seinem Ufer hat sich feuchtes Marschland in einen Sumpf verwandelt. Im Morast bleiben fliehende Engländer in ihren schweren Rüstungen stecken, werden von eigenen panisch fliehenden Truppen niedergetrampelt oder von vordrängenden Schotten getötet. Tausende Engländer sterben.

Die katastrophale Niederlage schwächt Eduards Ruf

Eduard II. aber gibt noch nicht auf. Mit seinem Gefolge reitet er in aller Eile nach Stirling Castle, das ja seit zehn Jahren in englischer Hand ist. Doch dessen Hauptmann heißt seinen eigenen Herrn nicht etwa willkommen, sondern befiehlt, eilig die Tore zu schließen. Denn ihm ist nicht entgangen, wer da gerade die Schlacht gewinnt. Der König kann es kaum fassen. Nun steht er vor einer bitteren Entscheidung: Entweder belagert er seine eigene Festung, während in London Adlige weiter Intrigen gegen ihn schmieden, oder er eilt zurück nach England. Wütend und verbittert wendet Eduard II. sein Pferd zur Flucht.

So steht es in Schriftstücken des englischen Hofes. Die katastrophale Niederlage schwächt den ohnehin miserablen Ruf des Königs im eigenen Land noch weiter. Über Jahre wird er es nicht mehr wagen, größere Feldzüge nach Schottland zu führen. Doch woran Eduard in der Fremde gescheitert ist, will er jetzt umso massiver in der Heimat durchsetzen: seine absolute Macht. Dadurch provoziert der Ungeliebte seine Feinde und Rivalen allerdings so sehr, dass sie sich erstmals systematisch gegen ihn verbünden. Darunter sind seine eigene französische Gemahlin, Barone und Bischöfe.

Der Tiefpunkt ist erreicht, als König Eduard II. im Jahr 1326 in die Gefangenschaft eines aufständischen englischen Adligen gerät. Vollends machtlos und allein, muss er zugunsten seines Sohnes abdanken. Im Jahr darauf stirbt der Mann, der seine Macht über die ganze britische Insel ausbreiten wollte, mit 43 Jahren als Gefangener seiner einstigen Untertanen.

Robert Bruce gelingt, woran William Wallace gescheitert ist

Stirling Castle. Das Schloss, nordwestlich von Edinburgh gelegen, steht bis heute.
Stirling Castle. Das Schloss, nordwestlich von Edinburgh gelegen, steht bis heute.
© Wikipedia/Finlay McWalter

Für Robert Bruce beginnt mit dem Sieg von Bannockburn hingegen eine ganze Serie von Triumphen. Stirling Castle ergibt sich ihm kampflos. Gestärkt durch den unerwarteten Erfolg akzeptieren immer mehr schottische Adlige ihn als ihren König. Er kann es sich sogar erlauben, seinen Bruder mit einem Heer nach Irland zu schicken, damit dieser dort englische Besitzungen erobert. Mit Erfolg. Offiziell herrscht zwischen England und Schottland nach der Schlacht ein Waffenstillstand. Doch in Wahrheit bekriegen sich beide Lager weiterhin. Keine Seite vertraut der anderen.

Erst Eduards Tod setzt den zermürbenden Scharmützeln vorerst ein Ende. Dessen Sohn, der neue englische König Eduard III., erkennt Schottlands Unabhängigkeit im Jahr 1328 zumindest vorerst an. Und er nimmt nicht länger für sich in Anspruch, über dem schottischen König zu stehen. Zum ersten Mal begegnen sich England und Schottland auf Augenhöhe.

Damit gelingt Robert Bruce, woran William Wallace gescheitert ist: die Schaffung eines souveränen, von einem schottischen König regierten Reichs. Wie Wallace’ Märtyrertum wird auch seine Geschichte Teil der großen Erzählung vom Unabhängigkeitskampf der Schotten. Statuen erinnern vor Stirling Castle und auf dem Schlachtfeld von Bannockburn an ihn, und auf schottischen 20-Pfund-Scheinen prangt noch heute eine künstlerische Darstellung des Freiheitskämpfers.

„Geh voran, tapferes Herz, wie du es immer getan hast“

Robert Bruce wird sogar Teil der modernen Popkultur. 1939 erfinden die amerikanischen Comiczeichner Bob Kane und Bill Finger eine Figur, die dem erfolgreichen Superman Konkurrenz machen soll. Auf der Suche nach einem bürgerlichen Namen für ihren Helden fällt ihnen der schottische Nationalheld ein. Seither trägt Batmans Alter Ego den Vornamen Bruce – so schreibt Kane es Jahrzehnte später in seiner Autobiografie „Batman and Me“.

Robert Bruce erlebt noch die Krönung seines Lebenswerkes, die Anerkennung seiner Königsherrschaft durch die Engländer. Aber nie kann er vergessen, welchen Frevel er auf dem Weg dorthin begangen hat, indem er seinen schottischen Rivalen um den Thron vor einem Altar erstach. Er will diesen Mord sühnen und so bittet der 55-Jährige kurz vor seinem Tod seinen Freund Sir James Douglas, sein Herz ins Heilige Land zu tragen. König Robert I. stirbt am 7. Juni 1329 in seiner Heimat, für deren Eigenständigkeit er so lange gekämpft hat.

In seinem epischen Werk „The Brus“ beschreibt der Dichter John Barbour (1320-1395), wie Douglas mit dem Herzen in einer eisernen Urne um den Hals gehängt loszieht gen Jerusalem. Doch er kommt nur bis Spanien, wo er in einen Hinterhalt muslimischer Mauren gerät. Als er keinen Ausweg mehr sieht, schleudert er den Angreifern die Urne entgegen und ruft: „Geh voran, tapferes Herz, wie du es immer getan hast, und Douglas wird dir folgen oder sterben.“ Der treue Schotte überlebt die Attacke nicht. Zusammen mit Douglas’ Leichnam kehrt auch das Herz von Robert Bruce in die Heimat zurück. Dort ruht es bis heute in der Ruine von Melrose Abbey.

Die Unabhängigkeit seines Landes wird Robert Bruce, trotz Anfechtungen, fast vier Jahrhunderte überdauern. Erst 1707 verbindet sich Schottland mit England und Wales zum Vereinigten Königreich von Großbritannien.

Matthias Lohre

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