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Dominique Horwitz in den Gassen von Heimat.
© Anke Neugebauer

Der Schauspieler hat in Thüringen ein Zuhause gefunden: Dominique Horwitz und Weimar

Weimar ist die Stadt der Klassiker. Und inzwischen auch die Stadt des Schauspielers Dominique Horwitz. Er kam, verliebte sich, blieb – und schrieb nun einen Regionalkrimi.

Um drei vorm Goethe-Schiller-Denkmal, hatte seine Agentin gesagt. Nicht in allen Städten kann man sich so unfehlbar verabreden. Aber warum schauen die Leute so, irgendwie, unfreundlich? Weil sie Goethe und Schiller allein dabei fotografieren wollen, wie sie sich seit über 150 Jahren am Bronze-Lorbeerkranz festhalten? Touristen!

Das Weimar-Wetter ist ungefähr so wie im ersten Kapitel von Horwitz’ Weimar-Roman, allererster Satz: Es war einer dieser klaren, hellen Oktobertage, an denen der Winter schon den Herbst umarmt. Sehr grenzwertig. Akut kitschgefährdet. Wo bleibt Horwitz?

Er soll ein wenig schwierig sein. Es hat auch lange gedauert bis zu dieser Verabredung. Verzögern. Verschleppungstaktik. Und dann kommt er doch, quer über den Weimarer Theaterplatz, mit einem bedingungslosen Willkommenslächeln im Gesicht. Dominique Horwitz hat sein erstes Buch geschrieben, eine Kriminalkomödie, und die spielt von der ersten bis zur letzten Seite in und kurz vor dieser Stadt. So wie auch das Leben des Autors seit vielen Jahren, genauer: seit der Gewohnheitshamburger zum ersten Mal herkam. Die Idee dieses Treffens ist: Horwitz führt durch sein Weimar.

Horwitz' Eltern sind vor den Nazis nach Frankreich geflüchtet

Sehen Sie, sagt er, darum hatte ich abgesagt. „Mein Weimar!“ Wie das klingt! Aber das gibt es nicht. Ich kann Ihnen nicht Weimar zeigen, wie dieser Sänger von BAP, wie heißt er gleich?, durch „sein“ Köln führt. Heimat! Wer hat schon eine Heimat außer Wolfgang Niedecken?

Auf dem Sockel des Goethe-Schiller-Denkmals steht „Dem Dichterpaar Goethe und Schiller. Das Vaterland.“ Was für ein schauerlicher Absender.

Horwitz’ Eltern, deutsche Juden, sind vor den Nazis nach Frankreich geflüchtet, sie führten einen Feinkostladen in Paris. Hier wurde Dominique Horwitz 1957 geboren. Er war fast 14, als die Familie beschloss, zurückzugehen nach Berlin. Kein gutes Alter, um umgetopft zu werden. Seine Sympathien für die neue Heimat waren begrenzt.

– Wohin wollen wir?, fragt Horwitz.

– Ich dachte, das wüssten Sie!

– Dann gehen wir einfach nach rechts! Rechts, das ist Richtung Schillerhaus, Markt, Schloss und Park. Bereits auf den ersten Metern grüßt Horwitz nach links und rechts, wie man das in kleinen Städten macht, wo jeder jeden kennt. Vielleicht ist Heimat auch nur das, wo jeder jeden kennt. Wo einen niemand kennt, ist zumindest niemals Heimat.

Oder grüßen die alle Wallenstein? Seit Januar 2014 steht Horwitz als Schillers General, Held des Dreißigjährigen Krieges, auf der Bühne des Weimarer Theaters. Alle drei Teile an einem Abend! Horwitz hat sofort ja gesagt, vor allem, weil er nie darauf gekommen wäre, dass einer darauf kommen würde, ihn als Wallenstein zu besetzen. Ist er nicht eher der Gegentypus eines deutschen Schranks?

Eine Phalanx von mehreren sehr kompakten Jungmännern kommt direkt auf ihn zu; keiner lässt die Absicht erkennen, auszuweichen, Horwitz auch nicht. Wollen die provozieren? Junge Männer aus Thüringen haben nicht den besten Ruf. Und dass Horwitz nicht ausweicht, hätte man sich denken können. Jeder andere, der Ohren hat wie er, die doch etwas weit in die Welt hinausstehen, hätte sie längst in eine etwas unauffälligere, etwas konventionellere Stellung gebracht. Er nicht.

Du bist nicht auf der Welt, um es Dir leicht zu machen, mag er sich gesagt haben. Du bist Jude, das kannst du nicht ändern. Und du hast diese Ohren, das kannst du zwar ändern, aber es hätte keinen Charakter. Heißt: Entweder du kommst mit diesen Ohren durchs Leben oder ... Die drei Kraftkerle laufen direkt in Dominique Horwitz hinein. Und dann: Umarmungen. Umarmungen von links, von rechts. Und noch einmal andersrum.

Was war das denn?

Ein Boxer, und was für einer!, sagt Horwitz. Gegen den habe er geboxt, als er in die Stadt kam, da war diese junge Hoffnung des Boxsports keine 15 Jahre alt. Das war 2004. Heute ist er Mitte 20, und Horwitz wird schwarz vor Augen, wenn er sich vorstellt, er müsste noch einmal gegen ihn antreten. Vor drei Jahren hat der Mann, der Jacques Brel singt wie kaum ein anderer, aufgehört zu boxen. Man müsse wissen, wann Schluss ist.

Wenn einen die städtische Jugend umarmt, darf man dann nicht beginnen, den Ort seines Aufenthalts Heimat zu nennen? Horwitz versinkt in eine Pose des Innehaltens: Nach rechts wollen wir? Eigentlich habe ich jetzt Hunger!

Diese Stadt hat sein Leben über den Haufen geworfen

Am Deutschen Nationaltheater Weimar ist Horwitz als Schillers Wallenstein zu sehen; hier bei einer Probe.
Am Deutschen Nationaltheater Weimar ist Horwitz als Schillers Wallenstein zu sehen; hier bei einer Probe.
© dpa/Martin Schutt

„Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden!“, zitiert der Kutscher Kaminski in „Der Tod in Weimar“. Goethe. Am liebsten geht Kaminski, gescheiterter Schauspieler und Lebenskünstler mit einer gewissen Gegenwartsreserve, in die Wilhelm-Meister-Schänke.

– Gehen wir in die Wilhelm-Meister-Schänke?, fragt Horwitz.

– Was, die gibt es wirklich?

– Alles in meinem Roman gibt es wirklich, fast alles.

Und dann stehen wir vorm „anno 1900“ am Goetheplatz. Das Restaurant sieht aus wie eine riesige verglaste Fin-de-Siècle-Holzveranda, die versehentlich von ihrem Haus getrennt wurde. Und hier, sagt Horwitz und zeigt auf den Brunnen davor, bindet mein Kutscher Kaminski immer seine Pferde an. Und dort, an dem Tisch fast neben der Tür, habe er 2003 gesessen, als plötzlich seine Frau vor ihm stand, also die Frau, die dann bald seine Frau wurde. Was, Dominique Horwitz hat sich in die Kellnerin des „anno 1900“ verliebt?

In die kellnernde Mitbesitzerin, berichtigt Horwitz.

Wieder wird er von allen Seiten begrüßt, der Koch erscheint persönlich, er habe gar nicht richtiger kommen können, er müsse sofort seine neue Suppe verkosten, komponiert für ein Menü, es sei mehr ein Suppen-Exposé, und noch könne er da ein wenig korrigieren.

Allmählich wird klar, was Weimar mit Dominique Horwitz gemacht hat, diesem Schauspieler, der ein Sänger ist, der zum ersten Mal mit 19 vor der Kamera stand und da seitdem nie weggegangen ist.

Diese Frau aus Arnstadt war ein Zeichen, das wusste er sofort

Diese Stadt hat sein Leben über den Haufen geworden: Er war Mitte 40, als er sie 2003 zum ersten Mal betrat, er kam zu Dreharbeiten für einen Kinderfilm, er war nicht im mindesten auf diese Stadt vorbereitet, in der die Vergangenheit viel wirklicher ist als die Gegenwart, ein Provinznest mit Neigung zum Bedeutenden, und Buchenwald, das frühere KZ, schaut auf all das herunter und zerbricht alle Worte, die einem hier einfallen wollen, Größe etwa, Ewigkeit, vielleicht auch Heimat. Warum kam diese Stadt in keiner Fernsehserie vor, in keinem TV-Krimi?

Dominique Horwitz wusste sofort, dass er das ändern musste. Er würde die Figur für einen Fernsehfilm erfinden, vielleicht sogar für eine Serie. Es müsste jemand sein, der zugleich ganz im Gestern lebt und ganz im Heute. Ein Kutscher also, ein Weimarer Kutscher. In solch konzeptionellen Gedanken saß er im „anno 1900“, gleich in den ersten Drehtagen, als da diese Thüringerin aus Arnstadt vor ihm stand und wissen wollte, was er essen möchte ... Horwitz hält inne, dann sagt er langsam: „Die Kunst des Lebens besteht darin, die Zeichen zu erkennen, die es uns sendet!“

Und diese Frau aus Arnstadt war ein Zeichen, das wusste er sofort. Es kann nicht ganz falsch sein, noch einmal in Horwitz’ Buch nachzulesen, wie diese Wunderfrau ist: Kaminski bewunderte Laura für ihre resolute Art. Sie war durch und durch Geschäftsfrau, stand mit beiden Beinen im Leben. Wenn sie kämpfte, dann mit dem Florett, falls nötig auch mit Boxhandschuhen. ... Einige Jahre hatte er selbst geboxt, da erkannte man sofort, wer Chef im Ring war.

Heimat, ist das am Ende eher ein Mensch?

Die Küche bringt die Suppen, eine etablierte Kürbis-Apfel-Ingwer-Suppe, die zu loben Dominique Horwitz nie aufgehört hat, und das Suppenexposé: Pilze und Sellerie mit Tonkabohne. Sehr komplex. Allein die Tonkabohne schmeckt nach Vanille, Rum, Waldmeister, Heublumen, Bittermandeln. Horwitz probiert, sein Gesicht nimmt einen schicksalshaften Ausdruck an. Diese Suppe ist großartig!, urteilt er und plädiert für eine minimale Akzentverschiebung.

Dieser Wallenstein ist großartig!, urteilten Kritik und Publikum nach der Premiere. Erst im Nachhinein ist ihm bewusst geworden, auf was er sich da eingelassen hatte, welche Fallhöhe dieser Dreiteiler, Regie: Hasko Weber, besaß.

Im ersten Weimar-"Tatort" spielte Horwitz den Droschkenkutscher

Am Deutschen Nationaltheater Weimar ist Horwitz als Schillers Wallenstein zu sehen; hier bei einer Probe.
Am Deutschen Nationaltheater Weimar ist Horwitz als Schillers Wallenstein zu sehen; hier bei einer Probe.
© dpa/Martin Schutt

Als wir das „anno 1900“ verlassen, hat sich draußen das ereignet, was der Autor in „Tod in Weimar“ so beschreibt: Draußen war es dunkel geworden. Früh. Wie immer zu früh. Aber noch nicht ganz!

Wir könnten jetzt zum Wittumspalais gehen, dessen Inneres Horwitz so vorstellt: Oben angekommen, wurde er auf der Stelle von Schönheit verschluckt. Die karamellfarben marmorierten Wände leuchteten, das honigfarbene Einlegparkett schimmerte, die Blumenfriese hoch über den Köpfen wirkten so leichthändig hingetuscht, als wäre das ganze Leben ein heiterer Garten. Oder sollten wir zuerst den Hauptschauplatz der Kriminalkomödie besuchen, den Ruhesitz für Bühnenkünstler fortgeschrittenen Alters, an dem sich unlängst der ruhmreiche „Schiller-Zirkel“ gegründet hat, um „Die Räuber“ einzustudieren? Die Frage, ob es diese Villa für Bühnenveteranen in Weimar wirklich gibt, verbietet sich.

Natürlich gibt es das Heim der Marie-Seebach-Stiftung.

Zweieinhalb Jahre habe er "Tod in Weimar" geschrieben

Marie Seebach, geboren 1829, gestorben 1897, wurde auf den Bühnen Europas und Amerikas gefeiert, als Gretchen im „Faust“, als Schillers Luise oder Maria Stuart. Sie verdiente Geld, sehr viel Geld, das einmal ihrem Sohn Oskar gehören sollte. Doch Oskar starb mit 32, und die Schauspielerin dachte an die Mehrzahl ihrer Kollegen, die im Alter meist nicht mehr besaßen als ihre Erinnerungen.

Die heutigen Bewohner der Villa mögen sein Buch, das hat der Verfasser von „Der Tod in Weimar“ schon gehört. Gelesen hat er dort aber noch nicht. Man werde so schnell zum Mobiliar einer Stadt, das wolle er nicht.

Im ersten Weimar-„Tatort“ mit Christian Ulmen spielte Horwitz den Droschkenkutscher, wen sonst, und spätestens als er das Seebach-Stift fand und ihm immer mehr einfiel, wusste er, dass er seinen gescheiterten Schauspieler und Fremdenführer Kaminski für sich behalten würde. Zweieinhalb Jahre habe er „Tod in Weimar“ geschrieben, viel gelernt und sich großartig unterhalten dabei, und natürlich wisse er schon, wie es weitergeht.

Aber jetzt will Horwitz weder in die Seebach-Villa noch ins Wittumspalais: Ich zeige Ihnen, was für mich Heimat ist! Wir fahren nach Tiefengruben, in das schönste Dorf Deutschlands, zwölf Minuten mit dem Auto.

Wir fahren an Nietzsches Villa vorbei, dahinter hügelt sich Thüringen

Er habe immer gewusst, dass er aufs Land gehöre und trotzdem sein Leben in großen Städten verbracht. Seit über zehn Jahren sei er nun, was er eigentlich immer schon war: Dorfbewohner. Denn er wohnt gar nicht in Weimar, sondern kurz davor – aber nicht sein derzeitiges Zuhause will Horwitz jetzt zeigen, sondern sein ehemaliges.

Wir fahren an Nietzsches Villa vorbei, von deren Balkon der verrückte Philosoph bis an sein Lebensende auf Weimar blickte, ohne es noch zu erkennen. Dahinter hügelt sich Thüringen.

Die Häuser gewöhnlicher Dörfer stehen meist Spalier an schnurgeraden Straßen, um Autos zu salutieren, die nie vor ihnen halten. Der Verkehr streicht diese Dörfer als Bleibeorte gleichsam durch. In Tiefengruben ist das anders. Es ist eins von drei Thüringer Rundangerdörfern, gebaut um Kirche und Dorfteich als symbolischer Mitte. Seit Mitte der 70er Jahre steht Tiefengruben komplett unter Denkmalschutz. Ist das nicht wunderbar?, fragt Horwitz. Wir laufen über einen Wiesenweg, der oben rund um diese Dorf gewordene Behauptung führt, es gäbe so etwas wie die vollkommene Balance von Mensch und Natur. Er zeigt auf das alte Haus, in dem er wohnte, dahinter ein Obstgarten. Er hat es verlassen, als er die Absicht des Vermieters spürte, irgendwann selbst wieder dort einzuziehen.

Es ist alles so vorläufig, so endlich, das eigene Dasein zum Beispiel. Da brauche er das Gefühl des Nichtvorläufigen, des Unendlichen, das Gefühl, dass er von Ewigkeit zu Ewigkeit bleiben könne. Und doch: „Es war das Haus meines Lebens und das Dorf meines Lebens!“ Also auch er. Der moderne Mensch hat keine Mitte. Er bejaht diesen Verlust gewöhnlich als Ausweis seiner Zeitgenossenschaft und doch ist ihm, als käme er nach Hause, wenn er Orte wie diesen sieht. Horwitz blickt im letzten Dämmerlicht des Tages auf Tiefengruben und hat ein sehr einfaches, uraltes Wort dafür: Schönheit.

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