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Luisa Weiss in ihrer Berliner Küche. "My Berlin Kitchen" heißt auch das Buch, das sie geschrieben hat.
© Thilo Rückeis

Foodblogger in Berlin: Digitalessen

Sie sind Hobbyköche, Spaßtrinker oder gehen einfach gern essen. Doch sie fotografieren und beschreiben ihre Erlebnisse auch und stellen sie ins Internet. Über die Szene der Berliner Foodblogger.

Kaum stößt Peter Eichhorn die Tür zu der schummrigen Bar auf, trippelt aufgeregt jemand in weinrotem Morgenmantel und mit schwarzer Pelzmütze auf ihn zu. Der Mann mit Hang zu extravagantem Auftreten ist der Chef persönlich. Er führt Eichhorn zu einer Ecke, von der man den ganzen Laden überblickt, zitiert ein Klaus-Kinski-Gedicht, schiebt „heute haben wir den passenden Drink dazu“ hinterher, verneigt sich und kehrt zurück zur Theke aus dunklem Holz, wo er über 800 verschiedene Rumsorten und 80 Gins herrscht.

Die Bar „Lebensstern“ – rote Wände, Stuckdecke, weiches Licht – ist ein Ort für fortgeschrittene Trinker. Quentin Tarantino war ständig hier, im ersten Stock des Einstein-Stammhauses, als er in Babelsberg „Inglourious Basterds“ drehte.

Eichhorn legt Daumen und Zeigefinger ans Kinn – er war gerade chinesisch essen, welcher Drink passt da jetzt am besten? – hebt schließlich kaum merklich die Hand und hat schon einen Kellner an seiner Seite.

Der 44-Jährige, eigentlich Stadtführer, ist ein populärer Foodblogger, Schwerpunkt Trinkkultur. Über sich selbst sagt er: „Ich trinke schon länger, als ich schreibe.“ Auf seinem Blog „Eichi Berlin“ hat er in sechs Jahren rund 50 Bars und Kneipen entdeckt, bewertet, dazu mehr als 100 Restaurants. Jeden Drink, jedes Essen hat er selbst gezahlt, meist gibt er sich bei seinen Entdeckungstouren gar nicht als Autor zu erkennen. Er will unvoreingenommen berichten. In der Szene hat er sich Renommee verschafft. Fragt ein Gast nach einem Tipp, verweist so mancher Barkeeper auf „Eichi Berlin“.

Wie viele Leser er hat? Eichhorn zuckt mit den Schultern, nimmt einen Schluck Sazerac: Cognac, Zucker, Absinth und Peychauds Bitterste. Er ist bei Weitem nicht der einzige populäre Foodblogger Berlins. Einige haben mehr Leser als etablierte Gastro-Magazine. Die Blogs heißen „Our Food stories“, „Berliner Fresse“, „Berliner Küche“, „Berlin on a platter“, empfehlen Rezepte, Menüs, Produkte, Restaurants, Kneipen. Den meisten Bloggern ist bedrucktes Papier nicht fremd, viele haben mittlerweile auch Kochbücher und Kneipenführer geschrieben.

Online-Kritiker werden inzwischen neben altgedienten Restaurantkritikern zu Neueröffnungen eingeladen oder bekommen „ganz unverbindlich“ teure Küchenaccessoires zum Testen zugeschickt. Und sind gefragte Experten. Eichhorn saß in der Jury des Mixology-Bar-Awards, den Oscars der deutschen Barszene.

Nicht nur die Hauptstadt ist ein Hort von Foodbloggern. In ganz Deutschland gibt es mehr als 800 Blogs mit Schwerpunkt Essen, Trinken, Kochen. Dieses Jahr wurde zum ersten Mal der „German Food Blog Contest“ ausgetragen, 306 Blogs nahmen teil. Das Zentrum aber ist Berlin; etwa hundert Autoren leben hier.

Fast alle Blogger kennen sich

Peter Eichhorn schreibt über Bars und Getränke. Hier: mit verschiedenen Sorten Berliner Weiße im "Hopfenreich".
Peter Eichhorn schreibt über Bars und Getränke. Hier: mit verschiedenen Sorten Berliner Weiße im "Hopfenreich".
© Thilo Rückeis

Eichhorn, der in den 90er Jahren illegale Clubs entdeckte und seit den 2000ern nach neuen Bars Ausschau hält, rezensierte vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal eine Kneipe auf dem Bewertungsportal Qype. Schon da versuchte er, nicht einfach ein paar Eindrücke aufzuschreiben, sondern kleine Geschichten zu erzählen, den Barabend mal in Form eines Märchens zu beschreiben. 2009 startete er „Eichi Berlin“. Barkultur blieb sein Schwerpunkt und sein Lieblingsthema.

Die ersten deutschen Foodblogs gingen Mitte der 2000er Jahre online. Autoren waren meist US-Amerikaner, frisch nach Berlin umgesiedelt. Sie rezensierten vor allem Restaurants und Bars für andere Zugezogene und interessierte Berliner. Aus jener Zeit stammt der bis heute viel gelesene Blog „Berlin Reified“ – etwa: vergegenständlichtes Berlin. Vorläufer waren Fashionblogs, auch sie ein Import aus den USA. Die Seite „Stil in Berlin“ bezeugt den Übergang: Sie zeigte vor zehn Jahren Straßenmode, heute empfiehlt die Gründerin Mary Scherpe vor allem Restaurants und Cafés. Um das Jahr 2010 ging dann die zweite Generation Foodblogger an den Start, vor allem Hobbyköche, die ihre Kochversuche im kumpelhaften Plauderton dokumentierten oder gelungene Menüabfolgen posteten. Die Community ist heute gut vernetzt, fast alle Blogger kennen sich. Die Kreuzberger Markthalle Neun ist ein Treffpunkt, vor allem der FoodXchange, wo sich Hobbyköche einmal im Monat versammeln und selbst gemachte oder selbst geerntete Lebensmittel tauschen.

Foodbloggerin Luisa Weiss findet, dass sie und ihre Kollegen die Pflicht haben, transparent zu berichten. Die Deutsch- Italo-Amerikanerin ist überzeugt, dass Netzautoren wie sie heute die Gastroszene abbilden, stärker als manches Magazin. „Viele Berliner sind informierter, anspruchsvoller und experimentierfreudiger als noch vor ein paar Jahren. Das hat wohl mit den Lebensmittelskandalen zu tun, aber sicher auch mit den vielen Foodblogs“, glaubt sie. Ihr eigenes Leben hat sich dadurch jedenfalls verändert. Sie, eigentlich Lektorin, wurde Kochbuch-Autorin. „Ich könnte meine Blogs gar nicht mehr aufgeben, selbst wenn ich wollte – sie sind meine Werbung.“

Vor zwei Jahren erschien Weiss’ Buch „My Berlin Kitchen – eine Liebesgeschichte“, in dem sie (wie in den Netzbeiträgen) Rezepte mit persönlichen Geschichten verwebt. „Ich schreibe nie nur über Rezepte, sondern immer auch über das, was ich mit dem Gericht verbinde.“ Am liebsten kocht sie für Mann und Kind.

Mitte der 2000er startete Weiss, damals noch in den USA, die Online-Seite „The Wednesday-Chef“, auf der sie bis heute ihre Lieblingsrezepte dokumentiert. Ursprünglich kochte sie Menüempfehlungen aus amerikanischen Zeitungen nach, die dort traditionell am Mittwoch erscheinen, daher der Name. „Als ich mit dem Wednesday-Chef begann, war ich in den USA ein Nachzügler.“ Schon Ende der 90er Jahre erschienen in New York die ersten Foodblogs. Als Weiss 2010 in ihre Geburtsstadt zurückzog und „Berlin on a Platter“ lancierte, war sie Pionierin. Heute ist die 37-Jährige ein Schwergewicht der Szene. Ihre zwei Seiten haben zusammen fast 200 000 Leser im Monat, weltweit.

Bei ihrem aktuellen Stamm-Vietnamesen „Minh-Trang“ in der Kantstraße bugsiert Weiss mit Stäbchen geschickt Sojasprossen in eine große Schale Pho Bo, Rindfleischsuppe mit Reisnudeln, gewürzt mit einem Schuss Fischsauce. „Als ich vor fünf Jahren von New York nach Berlin kam, vermisste ich am allermeisten das asiatische Essen“, erzählt sie, eine kleine Frau mit langen schwarzen Haaren und dunklen Augen. „Natürlich gab es schon damals viele Vietnamesen in der Stadt. Aber die hatten sich auf den deutschen Gaumen eingestellt: Fast alle kochten mit wenig Gewürzen und servierten große Mengen zu günstigen Preisen.“ Bei einem Besuch in der Asia-Markthalle in Lichtenberg erfuhr sie dann, dass viele Restaurants zwei Karten führten, eine entschärfte für Langnasen und eine richtige für Asiaten. Ihr Jagdinstinkt war geweckt, sie begann „Berlin on a Platter“, einen Blog über ihre liebsten Restaurants, Cafés und Kneipen. „Mittlerweile ist es viel leichter, in Berlin authentische asiatische Restaurants zu finden“, sagt sie. Überhaupt gebe es viel mehr gute und gleichzeitig günstige Streetfoodläden als noch vor ein paar Jahren. „Auch dank der Blogs.“

Erst fotografieren - dann darf erst gegessen werden

Freitagabend, Müllerstraße im Wedding. Billigläden reihen sich an grell ausgeleuchtete Drogeriemärkte, an prall gefüllte Auslagen türkischer Gemüseläden. Meike Adam, 35, Eventmangerin, Foodbloggerin und Sammlerin exotischer Gewürze, steht im schwarzen Business-Outfit im Getümmel und kramt in ihrer Ledertasche. „Mein wichtigstes Accessoire“, sagt sie strahlend und zieht einen grauen Jutebeutel heraus. Das Sammeln kann beginnen. „Hier gibt es manchmal frischen Estragon“, sagt sie und stößt die Tür zu einem schmalen, unauffälligen Laden auf. Es riecht nach Mittelmeer, nach Zistrosekraut, Rosmarin, Thymian. Estragon gibt es nicht, also weiter.

Seit Adam vor Jahren ihren Fernseher entsorgte, entspannt sie beim Gemüseschnippeln, beim Rezeptesuchen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht ein neues Gericht ausprobiert. Und jedes ist ein potenzieller Blogeintrag. „Mein Freund klagt schon, dass sein Teller immer erst zum Fotoshooting muss, bevor er essen darf“, sagt sie lachend, während sie in einer kleinen Kaffeerösterei auf die Espressobohnen fürs Wochenendfrühstück wartet. Seit knapp vier Jahren führt sie den Blog „Smamunir“, was „Kleinigkeiten“ auf Isländisch heißt.

Mit Mitte 20 hat Meike Adam schon mal einen Blog geführt, sie schrieb „übers Leben“. Seit sie den aufgab, fehlte ihr das Kreative. Als sich in ihrer Küche dicke Ordner mit Rezepten stapelten, die sie unbedingt mal ausprobieren wollte, wusste sie: Sie würde einen Foodblog schreiben. Auch sie erzählt zu jedem Eintrag eine kleine Geschichte, etwas Persönliches, eine Anekdote, über die sie beim Einkaufen stolpert, über ein nettes Geschäft, in dem sie eine Zutat ergattert hat.

Meike Adam kauft Obst und Gemüse bei einem türkischen Händler.
Meike Adam kauft Obst und Gemüse bei einem türkischen Händler.
© Doris Spiekermann-Klaas

An diesem Abend kauft sie beim Neuland-Metzger frische Weißwürste. „Damit könnte ich vielleicht ein Risotto machen“ – und Hühnchenschenkel – „hab noch ein paar langweilige Craftbiere rumstehen, daraus probiere ich mal eine Sauce.“ Tage später steht auf „Smamunir“ ein neues Rezept: Risotto aus Italien, gebratene Weißwurst aus der Berliner Müllerstraße und rote Rüben aus Brandenburg.

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