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Katja Demirci schreibt regelmäßig über Yoga.
© Mike Wolff

Katja Reimann macht sich locker: Die Welt auf den Kopf stellen

Yoga gilt gemeinhin als sogenannte Entspannungstechnik. Stimmt natürlich. Und auch wieder nicht. Neulich, als ich mich auf eine besonders entspannende Stunde freute, wurde es stressig.

Von Katja Demirci

Jede Übung werde dazu dienen, uns auf das finale Highlight der Praxis vorzubereiten, erklärte die Lehrerin. In Gedanken ging ich all jene Übungen durch, die meiner Ansicht nach die Bezeichnung „Highlight“ verdienen und zu denen ich in diesem Augenblick garantiert nicht in der Lage sein würde. Handstand etwa.

Ist es möglich, eine Yogaklasse zu verlassen, wenn man sich nach der Ankündigung eines Highlights denkt: nö, heute nicht? Schwierig. Selbstverständlich blieb ich auf der Matte. Das Highlight war der Schulterstand, Sarvangasana oder, ganz einfach: die Kerze. Schulterstand klingt natürlich besser. Für jemanden, der so schlaff ist, wie ich mich an diesem Abend fühlte, ist Sarvangasana keine Traumübung. Aber es ist auch kein Handstand. Also blieb ich.

Die Kerze gehört, irgendwie logisch, zu den Umkehrhaltungen im Yoga. Weil der Kopf unten ist und die Füße in der Luft. Diesen Haltungen werden allerlei positive Eigenschaften zugeschrieben, ich habe das nach einer furchteinflößenden Kopfstand- Übungssession mal gegoogelt. Sie sollen bei Schlafstörungen helfen, warum, habe ich vergessen. Dass sie für eine bessere Durchblutung des Kopfes sorgen, leuchtete mir auch ohne jede weitere Erklärung ein. Dann gibt es noch psychologische Begründungen: Wenn du die Verhältnisse nicht ändern kannst, ändere deine Perspektive.

Die Yogalehrerin an diesem Abend erzählte Ähnliches. Umkehrhaltungen helfen, sagte sie, wenn eure Welt mal kopfsteht. Ich zuppelte Beine und Po auf der Matte zurecht. Blödsinn, dachte ich. Wenn meine Welt kopfsteht und ich auch, dann ändert sich ja doch nichts. Was hilft, wenn sich alles dreht, ist: fest mit beiden Füßen auf dem Boden stehen.

Ich faltete Decke und Matte zu einem kleinen Podest und platzierte mich rücklings so, dass meine Schultern noch grade so darauflagen. Das gehört so – um den Nacken zu schonen. Langsam hob ich meine Beine in die Luft und stützte meine Hände in den Rücken. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf lief. Das Kinn gegen die Brust gedrückt, schaute ich zuerst auf meinen Bauch, dann auf meine Knie und schließlich auf die Zehen.

In diesem Moment dachte ich nicht an eine Umkehr der Verhältnisse, sondern an ein Bild aus einer Ausstellung, das mir im Gedächtnis geblieben war. Es zeigt den ersten Ministerpräsidenten des Staates Israel, Ben Gurion, 1957 im Kopfstand am Strand von Herzliya. Es ist ein entzückendes Foto. Auch, weil der Kopfstand federleicht aussieht, Gurion dagegen, nun ja, eher nicht.

Ich war damals sehr erstaunt. Dass ein alter Mann freiwillig auf dem Kopf steht! Noch dazu, dass eine öffentliche Person nicht nur zum Kopfstand stand, sozusagen, sondern ihn angeblich zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit machte.

Gurions Ehefrau war von seinem sportlichen Ehrgeiz nur wenig angetan. „Soll er doch damit zum Zirkus gehen“, hat sie angeblich gesagt. Ich aber bilde mir gern ein, dass Gurion das tatsächlich tat, um mal die Perspektive zu ändern, und nicht, um seinen Kopf zu durchbluten. Weil ich die Vorstellung schön finde, dass auch ein Politiker sich um andere Sichtweisen bemüht. Yogaromantik.

Vielleicht fällt es Angela Merkel nur deswegen so schwer, in Krisen schneller Position zu beziehen. Weil sie vor einem gewissen Punkt keine Zeit findet, sich mal in Ruhe auf den Kopf zu stellen. Totaler Quatsch. Schwungvoll rollte ich aus der Kerze ins Sitzen. Um mich herum drehte sich alles.

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