Vis in Kroatien: Die neue "Mamma Mia"-Insel
Auf Vis sind sie an Invasoren gewöhnt. Früher kamen Soldaten, heute Abba-Fans. Denn gerade wurde hier der Musical-Film „Mamma Mia 2“ gedreht.
Alter Mann, denk an den Blutdruck! Doch Zelko Vitalic redet, schimpft, wütet. Das Leben des 62-Jährigen rauscht mit Ausrufezeichen vorbei. In den 80er Jahren hatte jeder Arbeit! In den 90er Jahren haben sie die Sardinenfabrik zugemacht! Heute schaffen wir es nicht, die Touristenzahl zu regulieren!
Vitalic trägt eine Sonnenbrille, Jeans und ein zu großes Polo-Shirt. Seine Oberarme sind sonnengerötet, seine Haare altersergraut und seine Zähne schiefgewachsen. Jeden Tag schippert er Touristen von der kroatischen Insel Vis zum Eiland Bisevo. 45 Minuten, die rechte Hand steuert, die linke gestikuliert.
Am Ziel klettern die Besucher aus Zelkos Boot, reihen sich mit indischen Familien und britischen Partyboys in eine Schlange ein, Sarong klebt an Muscle-Shirt, und dann steigen die Wartenden in ein Motorboot um, das sie in die Blaue Grotte führt. Dorthin, wo das Licht so schimmert, als befände man sich mitten in einem Edelstein.
Im Krieg wurde die Fähre eingestellt
Nach Bisevo wollen alle, die auf Vis Ferien machen. Und das werden immer mehr. Lange war die Insel für Urlauber gesperrt. Auf dem 90 Quadratkilometer großen Felsklotz (die doppelte Fläche des Bezirks Neukölln) unterhielt Jugoslawien Armeestützpunkte, Tito ließ einen geheimen Marinehafen in die Felsen hineinhauen, und während des kroatischen Unabhängigkeitskriegs in den frühen 90er Jahren war die Insel vom Festland sogar komplett abgeschnitten. Die Fähre nach Split, zwei Stunden über himmelblaues Wasser und vorbei an Felsen so scharf wie Neptuns Dreizack, wurde über eineinhalb Jahre lang eingestellt.
Die Bewohner von Vis harrten aus. Sie wussten vielleicht, die Geschichte, sie geht vorüber, die Soldaten, sie würden abziehen. Das hatten sie in Jahrtausenden gelernt. Die Römer bauten das erste Spa der Insel, die Venezianer wuchtige Verteidigungstürme, Napoleons Truppen zwei plumpe Festungen und die Habsburger Straßen.
Mussolinis Faschisten hinterließen einen italienisch eingefärbten Dialekt. Strade, sagen die Menschen aus Vis, wenn sie die ulica meinen, die aus der Stadt ins Dorf führt. Das Leben auf Vis schien eine Abfolge von militärischen Intermezzi zu sein.
Der vorerst letzte Einfall der Barbaren
Zelko lächelt plötzlich. Auf dem Rückweg in die Hafenstadt Komiza zeigt er auf ein verlassenes Industriegebiet: die Sardinenfabrik, in der er als Lagervorsteher arbeitete, bis sie Mitte der 90er Jahre schloss. Der vorerst letzte Einfall der Barbaren begann an diesem Ort. Im vergangenen August rückten 60 Trucks und 40 Kleinlaster an.
Hollywood campierte sechs Wochen auf der Insel, um die Fortsetzung von „Mamma Mia“, dem Abba-Musical, zu drehen. In Zelkos früherem Arbeitsplatz schlugen sie ihr Hauptquartier mit Garderobe, Maskenbildnern und Produktionsstab auf. Nächste Woche kommt der Film in die Kinos.
Es war eine freundliche Übernahme. Die Schauspieler Pierce Brosnan und Amanda Seyfried posteten kitschige Bilder auf ihren Instagram-Profilen. Die Strände von Srebrna waren für Tanzchoreografien und nicht für Manöver abgesperrt. Eigentlich spielt die Geschichte in der Ägäis, vor zehn Jahren wurde noch vor Ort gedreht, doch inzwischen sind die Inseln dermaßen überlaufen, dass die Produzenten unmöglich dort filmen konnten. Zum Glück gibt es Vis, die abgeschiedene Insel.
Gabi Novak ist die Größte
Einsame Buchten, zu denen man per Boot oder auf kurvenreicher Piste gelangt. Thunfische im Wasser, Wein an Land, Zelko wollte auch nie weg aus diesem Paradies. Ja doch, er kenne diese schwedische Tanzformation, zu deren Liedern im Film jeder über den Sandstrand wackelt, als wäre dieser ein Watteteppich und kein Kieselsteinbett. Aber so richtig in Schwung, sagt der Alte, kommt er bei Gabi Novak von der Insel Hvar, die ein jugoslawischer Popstar wurde und bis heute in Kroatien wie eine Heilige verehrt wird.
In Komiza legt der Kapitän wieder im Hafen an, wo der venezianische Verteidigungsturm wie eine massive Kleckerburg am Kai steht. Zelko meckert, eine Jacht hat seinen Ankerplatz besetzt, seine Tirade fliegt durch die Bucht, und sofort kommt ein besorgter Skipper aus einem der Cafés angelaufen. Was nun folgt, klingt nach einer schwer verständlichen italienischen Seifenoper, an deren Ende sich beide Kontrahenten auf einen Bootsparkplatz einigen.
Vom kalifornischen Licht und trägen Katzen
Wie die Menschen, so die Insel: an Einsamkeit gewöhnt, von Massen überwältigt. Im Sommer trampeln Touristen aus der ganzen Welt durch die Hauptorte Kut, Loku und Komiza, bewundern die Kalksteinkirchen, schlecken am Eis oder fahren mit dem Mountainbike über die steilen Hügel.
Längst nicht jeder findet eine Unterkunft. Die Zahl der Übernachtungsplätze ist im Gegensatz zur Nachbarinsel Hvar gering. Wie wird das erst werden, sollte ein „Mamma Mia“-Boom einsetzen, ähnlich dem in Griechenland vor zehn Jahren?
Bedenken gegen den Aufschwung hegen vor allem ältere Insulaner. Menschen wie Zelko, die in der Mitte ihres Lebens aus der Sicherheit ihres Daseins gerissen wurden, die von der Welt nichts anderes wollten, als dass diese sie in Ruhe ließe. Damit ist es vorbei, genauso wie mit Tito und dem Ostblock. Kroatien liegt nun in der Europäischen Union, hat den Euro- Beitritt beantragt und gilt als eine der beliebtesten Urlaubsregionen Südeuropas.
Zwei Laternen und zwei Restaurants
Zelko lebt davon, von außen betrachtet. Im Inneren hält ihn die Nostalgie zusammen. Wenn es im Herbst ruhiger wird, zieht er zu seiner Familie in das Dorf Okljucna zurück, fängt Fische und knurrt. Hatten sie nicht alle ein besseres Auskommen, als es Jugoslawien noch gab?
Nein, das verbittet sich Tatjana Kristofic. Die 45-Jährige stellt eine Schale mit frisch gepflückten Kirschen ab und erzählt. Vis hatte in den 80er Jahren Armee, Fischfang und angeblich 13 000 Einwohner, von denen heute knapp 3500 übrig sind. Es gab „zwei Laternen und zwei Restaurants“, als sie mit 17 zum ersten Mal die Insel betrat.
Ihre Eltern waren in den 70ern mit ihr nach Westdeutschland gegangen, vor der Enge, die Zelko so gefiel, waren sie geflüchtet und zogen ihre Tochter im Westen Berlins auf.
Tito hielt sich auf der Insel versteckt
Tatjana erinnert sich an die alten Zeiten. Jeder aß zu Hause, auf der Straße trotteten junge Männer in Marineuniform umher in der Hoffnung auf ein Abenteuer, den Zapfenstreich im Nacken. Der Außenposten des jugoslawischen Militärs, nur 80 Kilometer von der italienischen Küste entfernt, die man gut sah, wenn der trockene Nordwind blies, dieser Felsen in der Adria war einfach tot.
Besucher erahnen diese Ereignislosigkeit, fahren sie mit dem Auto über die hügelige Insel. Vorbei an Weingütern, der überwucherten Landebahn, von der im Zweiten Weltkrieg die Alliierten ihre Angriffe flogen, und vorbei an der Höhle, in der sich Tito 1944 versteckt hielt. Alte Fotos an der Straße erinnern an ihn. Darauf sitzt er an einem Tisch, neben ihm das Markenzeichen für autoritäre Führungspersönlichkeiten: ein deutscher Schäferhund.
In der Heide drum herum duften Thymian und Oregano. Mittelalterliche Kleinstkirchen trotzen dem Wind. Unter Zypressen verfallen Armeebaracken zu Jugendtreffpunkten. Freiraum für die Dorfteenager. Sex, Drogen, Einsamkeit.
Erst nach Amerika, dann nach Vis
Nach Ende des Kroatienkriegs 1995 in diese Welt zurückkehren, wo die Familie ein Haus besaß? Da war Tatjana längst in Kalifornien und lebte einen anderen Traum. Sie arbeitete in Los Angeles als Massagetherapeutin, praktizierte Yoga und genoss das Gefühl, das Zelko vermutlich als das schlimmste empfand: dass man sich jeden Tag neu erfinden konnte. Für ihn war das Strafe, für sie Privileg.
13 Jahre blieb sie in Amerika, dann kaufte sie den anderen Familienmitgliedern das verfallende Haus in Kut ab und kehrte zurück. Sie richtete eine kleine Herberge ein, nannte sie „Villa Vis“, sechs Zimmer mit Bad, eine Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss und eine enge Wendeltreppe nach oben.
Die mittelalterliche Siedlung Kut überragt ein eckiger Glockenturm aus weißem Kalkstein, typisch für die dalmatinische Region. Exakt berechnetes Quader-Baumeistertum, sprirituelle Sachlichkeit, die feinen Verzierungen der italienischen Kirchen fehlen. In den Gassen kreuzen Katzen den Weg, legen sich auf die warmen Steine. Wird der Untergrund zu heiß, maulen die Tiere ihre Klagen heraus, miau, und schleppen sich auf eine Treppe im Schatten. Plumps.
Ein Kellner erzählt von Pierce Brosnan
Tatjana Kristofic entschlackt Insulaner und Gäste mit Yoga-Kursen, sie bereitet morgens frische Pfannkuchen zu und rennt nachmittags durch Luka, um Frühlingszwiebeln zu besorgen, weil sie ein ganz bestimmtes Rezept im Kopf hat. Tourismusboom hin oder her, die Versorgungslage entspricht der einer abseits gelegenen Insel. Es gibt nicht alles zu kaufen. Oder nur an einem Ort. Den zu finden, ist nicht so einfach.
An der Uferpromenade, die Kut und Luka verbindet, steht die Sonne tief. Die Farben werden kalifornisch. Sonnenuntergangsorange tränkt die schweren Mauern und scheint auf stolze Palmen. Im Garten des Restaurants „Villa Kaliopa“ servieren Kellner Aperitifs und den Fang des Tages. Thunfisch. Einer der Kellner erzählt von Pierce Brosnan, der vergangenes Jahr mit seiner Frau zum Abendessen hierherkam.
Ein Prominenter, was heißt das schon. Der Mann zieht ein Gesicht wie drei Tage Sonnenbrand. Am Ende will jeder das eine, sagt er: essen. Und wenn es voll wird, müssen auch die wichtigen Menschen warten. Man könne nicht hexen, er gestikuliert auf einmal wie Zelko und zeigt auf Plätze unter den Palmen, wo sie dann Tische hinstellen, in Ecken des Gartens, in die sie Wein, Salate, Fisch schleppen, natürlich hopphopp, schnellschnell, fixfix. Er gerät in Rage. Junger Mann, denk an den Blutdruck!
Reisetipp für Vis
Reisetipps für Vis
HINKOMMEN
Von Berlin mit dem Flugzeug nach Split (zum Beispiel mit Easyjet ab 140 Euro) und anschließend mit der Fähre nach Vis. Die Schiffe fahren drei Mal am Tag, die Fahrtdauer variiert zwischen 90 Minuten und mehr als zwei Stunden. Der Fahrplan ist unter jadrolinija.hr einzusehen, Ticket ab 7 Euro.
UNTERKOMMEN
Die Villa Vis liegt in Kut auf der Nordseite der Insel, Jakšina ulica 11. Besitzerin Tatjana Kristofic spricht Deutsch. Doppelzimmer mit Frühstück kosten ab 120 Euro:
INFO
Mehr touristische Details: croatia.hr