Geschenkkolumne: Die Karte ist die Botschaft, nicht das Gekritzel auf der Rückseite
Ich kann Karten nicht widerstehen. Aber dann weiß ich nicht, was ich draufschreiben soll. Der Schriftsteller Jurek Becker hilft.
Zu meinen Neujahrsresolutionen für 2018 gehörte ganz offiziell: Keine Karten mehr kaufen. Ich hab’ nämlich genug davon, zweieinhalb Schubladen voll. Das reicht bis ans Ende meines Lebens. Ich hab’s mir sogar in den neuen Kalender geschrieben – keine Karten kaufen! Hat auch nichts genützt. Sicher, am Anfang war ich noch diszipliniert. Wenn ich in eine schöne Papeterie kam oder einen Museumsshop, vor allem auf Reisen, habe ich mir die Bilder angeschaut, sie bewundert, die Karte in die Hand genommen, um sie noch mehr zu bewundern, und mir am Ende auf die Finger gehauen. Nein! Nein! Nein. Bald wurde daraus ein Jein. Ich kann einfach nicht widerstehen.
Wenn ich die Lebenszeit addiere, die ich mit der Suche nach der in diesem einen Moment für diesen Menschen passendsten Karte verbracht habe, komme ich auf einige Monate. Ganz zu schweigen von dem toten Kapital, das da in meinen Schubladen schlummert. Postkarten gehen nämlich ins Geld, unter einem Euro läuft gar nichts mehr. Illustrierte im Sonderformat kosten schon mal das Drei- bis Fünffache. Aber das sind sie auch wert. Gute Bilder sind ein Geschenk für sich, das man ins Regal stellen kann.
Ich brauche originelle, schöne, lustige, romantische Karten, weil mir beim Glückwünschen und zu sonstigen Anlässen nichts Originelles zu schreiben einfällt. Ha, werden Sie sagen, das Schreiben ist doch Ihr Beruf! Aber das ist was anderes. Um persönliche Worte bin ich verlegen. Also ist die Karte die Botschaft, nicht das, was ich auf die Rückseite kritzle.
Schönschreiben statt Yoga
Das schöne Motiv muss nämlich auch noch meine Handschrift wettmachen. Da erhalte ich regelmäßig Beschwerden. Vielleicht sollte ich mich mal coachen lassen. Das gibt’s! Ist gerade sogar angesagt. Das Magazin der „Süddeutschen“ hat daraus eine Titelgeschichte gemacht. Angeblich soll das „Handlettering“ die Malbücher für Erwachsene ablösen. Und dazu sehr gesund sein: „Schönschreiben tut der Seele gut“, hat der Schweizer Hörfunk verkündet. Es sorge für innere Ruhe. Schönschreiben statt Yoga. Aber dann wären meine laschen Worte ja lesbar. Keine gute Idee. Bei Urlaubspostkarten gibt’s allerdings den gegenläufigen Trend, wie ich jetzt gelesen habe. Der Bestseller unter den Urlaubspostkarten 2017 war ein Modell, bei dem man die Botschaft nur noch ankreuzen muss.
Leider bin ich nicht Jurek Becker, mein großer Held in Sachen Karten. Der Schriftsteller konnte nämlich beides, wunderbare, knallbunte, witzige Motive entdecken (ein paar davon liegen auch in meiner Schublade) – und auf der Rückseite so schreiben, dass einem das Herz aufgeht.
Ich habe nie eine von ihm bekommen. Dafür, in sehr sehr jungen Jahren, einmal einen Brief. Da hatte ich ihm, begeistert von der ersten Seminararbeit meines Lebens, ebendiese geschickt. Es ging um seinen Roman „Irreführung der Behörden“. Wenn ich daran denke, werde ich heute noch rot. Jurek Becker nicht, er schrieb eine liebevolle Antwort.
Seine schönste Kartenpost kann man jetzt als Buch kaufen: „Am Strand von Bochum ist allerhand los“. Allein seine Anreden! Du Pudelmütze. Mein Fischbrötchen. Sehr geehrter Bratklops. Du unverhoffte Wendung. – Würde mir glatt welche davon klauen, wenn sie nicht so unverkennbar Beckerisch wären. Also kaufe ich nur das Buch, zur Inspiration. Und zum Verschenken.
Von Susanne Kippenberger
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