Heckler & Koch: Deutsche Kleinwaffen-Exporte töten Millionen Menschen
Nicht Panzer oder Kampfjets töten weltweit die meisten Menschen in Kriegen, sondern Kleinwaffen. Einige der beliebtesten Modelle stammen von der deutschen Firma Heckler & Koch. Und sie tauchen auch in Regionen auf, in denen sie gar nicht sein dürften.
Heckler & Koch ist die tödlichste Firma Europas. Diesen Satz kann man bei Protestaktionen und Podiumsdiskussionen hören, auf Flugblättern und im Internet lesen. Wer bei der Rüstungsschmiede im baden- württembergischen Oberndorf anfragt, ob der Satz denn nachvollziehbar sei oder ob das Unternehmen nicht juristisch dagegen vorgehen wolle, erhält: keine Antwort.
Wann immer sich in der Öffentlichkeit darüber empört wird, dass Deutschland zu den drei führenden Rüstungsexportnationen der Welt gehört, richtet sich der Fokus rasch auf die großen, milliardenschweren Deals, die Verkäufe von U-Booten oder Panzern. Dabei, sagen Kritiker, seien Exporte von Kleinwaffen – also solchen, die bloß von einer einzigen Person gehalten und bedient werden – deutlich verheerender. Weil keine andere Waffengattung mehr Leben beende.
Der Spruch mit der tödlichsten Firma Europas stammt von Jürgen Grässlin, 55, Buchautor und Waffenexperte aus Freiburg. Seit fast 30 Jahren versucht er, Aufmerksamkeit auf die Exporte des wichtigsten deutschen Kleinwaffenproduzenten Heckler & Koch zu lenken. Dessen Erfolgsmodelle, die Sturmgewehre G3 und G36, werden weltweit von Militärstrategen befreundeter Staaten geschätzt. Aber auch von Diktatoren, Bürgerkriegsmilizen und anderen Menschenrechtsverletzern, außerdem Terrorgruppen. Nicht selten kommen bei kriegerischen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten H&K-Waffen zum Einsatz.
Gibt es überhaupt Regionen auf der Welt, in denen man keine Produkte von Heckler & Koch findet? Doch klar, sagt Jürgen Grässlin. Erstens in Teilen des ehemaligen Ostblocks, wo immer noch der Kalaschnikow die Treue gehalten wird. Zweitens in der Antarktis.
Wie viele Menschen sterben täglich durch H&K-Waffen?
Eigentlich hatte Grässlin ein ganz anderes Leben geplant. Als junger Mann wollte er mit seiner Frau nach Afrika gehen, dort eine Schule aufbauen. Dann erzählten ihm Freunde vom deutschen Waffenhandel und den Folgen für Entwicklungsländer. Da dachte er: Wie unsinnig wäre es, hier wegzugehen, wenn ich doch vor Ort etwas verändern kann. 2800 Vorträge hat er seitdem gehalten, ist Vorsitzender des anerkannten Rüstungsinformationsbüros in Freiburg und Sprecher der bundesweiten Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, wurde für seine Arbeit mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.
In seinem neuen Werk „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“ (Heyne-Verlag) hat Jürgen Grässlin geschätzt, wie viele Menschen durch Waffen von H&K ums Leben gekommen sind. Zugrunde legte er Datenmaterial des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, von Militärs, Flüchtlingsorganisationen und H&K-Mitarbeitern. Es seien 114 Menschen pro Tag, sagt Grässlin, insgesamt mehr als zwei Millionen seit Beginn der G3-Produktion in den 1950er Jahren. Heckler & Koch nennt solche Zahlen „selbst gebastelte Berechnungen und statistische Spielereien“, die objektiv nicht überprüfbar seien.
Nach Angaben der Bundesregierung sind die deutschen Sturmgewehre allein auf offiziellem Weg in mehr als 80 Staaten gelangt, durch legale Exporte, genehmigt vom Bundeswirtschaftsministerium, in heiklen Fällen auch vom geheim tagenden Bundessicherheitsrat, dem die Kanzlerin vorsteht. Mindestens 13 weitere Länder haben sich Lizenzen erkauft, damit sie auf eigenem Boden und dauerhaft die deutschen Sturmgewehre nachbauen dürfen – darunter etwa Pakistan, Saudi-Arabien, Türkei und Iran. Wohlgemerkt: Dies sind die Staaten, die Deutschland für vertrauenswürdig hielt.
Das Zauberwort "Endverbleibserklärung"
Weiterhin werden die Sturmgewehre aber auch in etlichen Ländern eingesetzt, die nach deutschem Recht niemals Waffen der Bundesrepublik geliefert bekommen dürften. Was nur bedeuten kann, dass Kunden ihre Ware an Drittstaaten weiterverkauft haben. Heckler & Koch weist in dieser Frage jede Schuld von sich, das Zauberwort lautet: Endverbleibserklärung. Die muss jedes Land unterschreiben, das von der Bundesregierung für würdig befunden wird, deutsche Waffen zu erhalten. In dem Schreiben verpflichtet sich das Empfängerland, die erhaltenen Waffen nicht an Drittländer weiterzugeben. Dass dies dennoch mehrfach geschehen ist, lässt sich nicht leugnen – nur übernimmt die deutsche Firma dafür keine Verantwortung. Ein Sprecher erklärte: „Eine kriminelle Beschaffung von Waffen in anderen Ländern kann weder durch uns noch durch die Bundesregierung kontrolliert oder sanktioniert werden, sondern dies muss durch die staatlichen Polizei- und Justizbehörden vor Ort geschehen.“
Gemäß den politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport der Bundesregierung würden, sobald eines der Käuferländer gegen die Endverbleibserklärung verstößt und dies nachgewiesen wird, sämtliche Waffenlieferungen ins Land gestoppt. Wo aber nichts nachgewiesen wird, muss auch nichts gestoppt werden. Trotzdem halten Bundesregierung und Heckler & Koch unbeirrt an der Parole fest: Das Kontrollsystem funktioniert!
Manche Zahlen gibt das Unternehmen von sich aus preis. Zum Beispiel wie viele Spenden zwischen 2002 und 2011 an Bundestagsparteien geflossen sind: 70 000 Euro an die CDU, 20 000 an die FDP und 3000 an die SPD. Unterstützt würden solche Parteien, „deren sicherheitspolitische Programmatik die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland als Nato- Partner in den Mittelpunkt stellt“.
Wie sehr Exporte und Lizenzverkäufe den Sicherheitsinteressen Deutschlands schaden können, zeigt das Beispiel Irans. In den 1960er Jahren galt das Land noch als Verbündeter des Westens. Schah Mohammad Reza Pahlavi ersuchte die Bundesregierung, das G3 im Iran nachbauen zu dürfen. 1967 halfen deutsche Ingenieure beim Bau einer kompletten Fabrik, verrieten das notwendige Know-how. Die Anlage produzierte auch nach der Islamischen Revolution 1979 weiter, bis heute gilt das G3 als Standardwaffe der dortigen Armee. Gleichzeitig produziert der Iran für Drittländer, rüstete etwa die Truppen des Gewaltherrschers Idi Amin in Uganda aus. Zigtausendfach wurde das G3 auch in den Sudan verkauft: Dort wurde es von Milizen zur Ermordung der Zivilbevölkerung eingesetzt.
In den schmutzigsten Kriegen Afrikas wird das G3 aber langfristig vom moderneren G36 abgelöst, glaubt Jürgen Grässlin. Das ist nämlich leichter und kürzer. Und passt somit viel besser in Kinderhände.
Am 1. September liest Jürgen Grässlin in Berlin aus seinem „Schwarzbuch Waffenhandel“: um 13 Uhr im Brauhaus Hasenheide in der Hasenheide 69, um 18 Uhr im Ökumenischen Zentrum Wilma in der Wilmersdorfer Str. 163. Mehr Infos und Termine in anderen Städten finden Sie hier.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt - und weshalb Taliban mit G3-Sturmgewehren prahlen...
Von Libyen bis Iran: 15 Beispiele, wo H&K-Waffen benutzt werden
LIBYEN 2011 finden Rebellen beim Sturm einer Gaddafi-Residenz eine große Stückzahl illegal gelieferter G36. Heckler & Koch betont, es habe die Sturmgewehre nicht an Libyen verkauft. Sie stammten vielmehr aus einer Lieferung an Ägypten.
GEORGIEN Im Jahr 2008 zeigt das ARD-Magazin „Report Mainz“ mehrere Fotos georgischer Spezialkräfte in der Konfliktregion Südossetien – ausgerüstet mit illegal dorthin gelangten G36-Sturmgewehren. Heckler & Koch bestreitet Lieferungen in das Krisengebiet, auch die Bundesregierung betont, die Waffen seien „nicht von deutscher Seite“ dorthin gelangt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bis heute nicht.
MEXIKO Heckler & Koch wird nach einer Strafanzeige von Jürgen Grässlin verdächtigt, illegal G36 in Unruheprovinzen geliefert zu haben, für die keine Genehmigungen erteilt wurden. Zunächst stritt das Unternehmen den Vorwurf ab, inzwischen wird ein „dringender Tatverdacht gegen zwei langjährige Mitarbeiter“ eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärte jedoch, sie ermittle gegen einen größeren Personenkreis.
SAUDI-ARABIEN Die Rüstungsdeals mit dem Königreich empören Kritiker besonders: Trotz massiver Repression und schwerster Menschenrechtsverletzungen erhielt Saudi-Arabien gleich mehrere Nachbau-Erlaubnisse – für die Maschinenpistole MP5, das G3 und im Jahr 2008 für das G36.
AFGHANISTAN/PAKISTAN In Propagandavideos beweisen Taliban aus dem Swat-Tal, dass sie nicht nur mit Kalaschnikows, sondern auch mit deutschen Kleinwaffen gegen den Westen kämpfen - unter anderem mit G3-Sturmgewehren inklusive Zielfernrohr, womit sie auch aus großen Distanzen auf den Gegner - zum Beispiel Bundeswehrsoldaten - schießen können.
SOMALIA Im zerrütteten Staat wird das G3 sowohl von berüchtigten Milizen als auch von der Armee gebraucht. In Somalia gefundene G3 stammen aus Oberndorf und Lizenzfabrikationen.
IRAN Das Land erhielt 1967, damals noch als Verbündeter des Westens, die Lizenz zum Bau des G3. Bis heute ist es Standardwaffe der Armee, noch immer wird produziert. Beobachter glauben, das G3 sei über den Iran unter anderem in den Sudan und dort in die Hände der brutalen Dschandschawid-Milizen gelangt.
GAZA-STREIFEN Dass Mitglieder islamistischer Gruppen im Besitz von H&K-Waffen sind, konnte mehrfach dokumentiert werden. Auch Kämpfer des militärischen Flügels der Hamas haben öffentlich mit solchen geprahlt. Vermutlich stammen die Waffen aus iranischer Lizenzproduktion.
INDONESIEN Das „Asian Defence Journal“ nennt den Inselstaat „H&K-country“. Unter Diktator Suharto wurden G3 und MP5 eingesetzt, auch bei Massakern in Ost-Timor. Als Bruneis Armeechef 2000 zum Staatsbesuch kam, durfte er eine MP5SD testen. .
VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE Auch auf der „Internationalen Jäger- und Reitermesse“ in Abu Dhabi werden H&K-Produkte präsentiert. Bei einer anderen Messe am selben Ort zeigte Saudi-Arabien in Lizenz gefertigte G36 – was laut Kritikern einen Verstoß gegen die Endverbleibserklärung bedeutet.
TÜRKEI Der Nato-Partner erhielt 1967 die Lizenz zum G3- Nachbau. Viele Jahre lang wurde das Sturmgewehr zur Bekämpfung kurdischer Rebellen eingesetzt.
USA
Auch das Geschäft in den Vereinigten Staaten ist für Heckler & Koch enorm wichtig. Schließlich ist dort der größte Kleinwaffenmarkt der Welt.
THAILAND 1971 erhielt Thailand die Rechte zum Nachbau des G3. Exemplare dieser Produktion fand man später bei Rebellengruppen im Nachbarland Birma.
SUDAN Im nordostafrikanischen Staat ist das G3 weitverbreitet. In den 1980er Jahren wurden die Sturmgewehre aus Saudi-Arabien geliefert, seit den 1990ern aus dem Iran sowie Pakistan.
PHILIPPINEN Das G36 wird von Spezialeinheiten sowie der Präsidentenwache eingesetzt. Das Vorgängermodell G3 war lange Zeit eine der Standardwaffen der Armee. Über korrupte Militärs gelangten zahlreiche Exemplare auf den Schwarzmarkt.
Sebastian Leber
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