Berliner Schnauzen: Der Wickelbär
Sie leben in Zoo oder Tierpark, wir nähern uns ihnen wissenschaftlich.
Als sich die Tür zum Gehege im Nachttierhaus öffnet, noch bevor sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen, sieht man pfenniggroße Punkte, die das Licht reflektieren. Sie bewegen sich, zwei Paare, jeweils nach oben, nach unten, zur Seite. Plötzlich springt eines der dunklen Spiegelpaare wie ein Wesen aus dem Schattenreich heran, die Gestalt eines schlanken Tieres mit einem langen Schwanz nimmt Formen an – und schnüffelt. Ah, Bananen, Pfirsiche, Birnen, Rote Johannisbeeren und obenrauf ein paar Schwarzkäferlarven. Was kann es für einen Wickelbären Schöneres geben? Er greift sich rasch eine der Süßigkeiten aus dem metallenen Napf.
Fünf Exemplare leben in der Anlage, ein Männchen, drei Weibchen und ein im vergangenen Oktober geborenes weibliches Jungtier. Sie sind an die Pfleger gewöhnt, meckern, wenn ihre Futterschale nicht rechtzeitig an ihrem Platz steht. „Wie eine Mischung aus Ziege und Elster“, findet Heiner Klös, der als Zoologe die Tiere betreut. Besucher können das wegen der dicken Glasscheiben nicht hören, genauso wenig wie die Lockrufe des Männchens, wenn ein Weibchen „heiß“ ist. Dann zwitschert er fast wie ein Vogel, damit sie betört wird. Als Kleinbär verfügt er damit über eine ziemlich einzigartige Palette an Lauten.
Warum hat der Wickelbär so spitze Zähne? Er braucht sie nicht
Das hat auch Wissenschaftler zuerst verwirrt. Der Wickelbär bewegt sich in den Regenwäldern Mittel- und Südamerikas hauptsächlich in Bäumen fort, springt von Wipfel zu Wipfel, hängt sich mit seinem kräftigen Schwanz an Äste, „um Schweinebaumeln zu machen“, wie Klös sagt, und greift mit seinen gut ausgeprägten Vordergliedmaßen nach Früchten. Klammeraffen haben ein ganz ähnliches Verhalten und leben im selben Biotop. Für die Biologen, die Potus flavus beschrieben, war die Sache deshalb klar: affenähnlicher Körper plus Greifschwanz plus nachtaktiv gleich Lemur.
Dann schauten die Wissenschaftler genauer hin. Sein Körperbau und sein Schädel haben mehr Ähnlichkeiten mit Bärenarten, die auch auf Bäumen leben, – etwa dem Malaienbären – als mit Affen. Und noch etwas fiel den Forschern auf. „Er hat 36 kleine scharfe Zähne“, sagt Klös. Damit ist der Bär ein Raubtier. Warum er seine Zähne hat, das ist bis heute nicht geklärt. Der Wickelbär frisst zu 90 Prozent Obst, manchmal räubert er ein Nest mit Eiern und nimmt Ameisenlarven zu sich. Braucht man dafür dieses Gebiss?
"Honey Bear" heißt der Pseudo-Halbaffe auf Englisch
Der 90 Zentimeter lange Pseudo-Halbaffe mit der Stupsnase, den beweglichen Ohrmuscheln und den Kulleraugen wurde schließlich zum Kleinbären deklariert. Im Englischen heißt er seitdem Honigbär, ein Name, den er wegen seiner Vorliebe für Süßes mit dem Malaienbären teilt.
Weil er so knuffig aussieht, wenn er durch das Geäst springt, überhaupt bewegungsfreudig und kaum gefährlich ist, versuchten viele Lateinamerikaner und Europäer, den Wickelbären als Haustier zu halten. Heiner Klös erinnert sich noch, wie in den 1970er Jahren einige Exemplare in der Zoohandlung am Kurfürstendamm angeboten und die Tiere manchmal in Stubenkäfigen gehalten wurden. Der Zoologe schüttelt den Kopf. Das muss für die Herumkletterer eine wahre Folter gewesen sein.
Lebenserwartung: im Zoo bis 30 Jahre
Fütterungszeit: täglich 11 Uhr
Interessanter Nachbar: Erdferkel, Nachtaffe, Ringelschwanzmungo